Der jüngste Anschlag der pakistanischen Terroristen ereignete sich am Montag in der Hauptstadt Islamabad. Ziel war ein Gerichtsgebäude, in dem mehrere Prozesse stattfanden. 24 Menschen wurden getötet, unter ihnen ein Richter und mehrere Anwälte. Zahlreiche Personen wurden verletzt.
Islamabad ist in den letzten Jahren von Terrorakten relativ verschont geblieben. Der Anschlag vom Montag war der schlimmste seit 2008. Damals war das Marriott-Hotel in Islamabad angegriffen worden. 40 Personen kamen damals ums Leben. Die Bevölkerung der Hauptstadt ist nach dem jetzigen Terrortakt dementsprechend erschüttert und beunruhigt.
Immer mehr Angriffe
Der Anschlag hat einen politischen Hintergrund. Er ereignete sich zu einem Zeitpunkt, in dem Ministerpräsident Nawaz Sharif versucht, Verhandlungen mit den Taliban zu führen. Sharif war im vergangenen Mai gewählt worden. Während frühere Regierungen Gespräche mit den Terroristen ablehnten, kündigte Sharif prominent in seinem Regierungsprogramm „Verhandlungen mit den Taliban“ an.
Doch zehn Monate lang war nichts geschehen, ausser dass die Angriffe der Taliban immer häufiger und immer heftiger wurden. Es zeigte sich auch, dass die islamistischen Extremisten immer mehr Anhänger und Mitarbeiter in den zentralen Gebieten von Pakistan fanden, im Punjab und in Karachi, nicht mehr bloss in den Stammesgebieten des Nordens, an der afghanischen Grenze, wo ihre Macht begonnen hatte und wo sie Gebiete beherrschen, die voll unter ihrer Kontrolle stehen.
Unentschlossenheit
Immer mehr griffen die Taliban auch „harte Ziele“ an: Armeeeinheiten und Regierungsinstitutionen. Früher attackierten sie vor allem „weiche Ziele“: Märkte, Volksansammlungen aller Art, Gaststätten, Volksfeste religiöser Natur.
Viele Kritiker warfen dem Regierungschef Unentschlossenheit vor. Er habe vor den Wahlen viel versprochen: Reformen aller Art, eine Versöhnungspolitik mit Indien und ein Ende des Terrorismus. Doch geschehen sei gar nichts. Spekuliert wurde, ob die Armee den Regierungschef am Handeln hindere, weil sie andere Ziele verfolge als er - oder ob sie gar darauf warte, die Macht selbst in die Hand zu nehmen.
Fehlstart
Dann schliesslich, Anfang Februar dieses Jahres, wurde der lange erwartete Verhandlungsbeginn mit den Taliban doch noch angekündigt. Er begann aber mit einem Fehlstart. Die Taliban hatten nicht ihre eigenen Vertreter in die Verhandlungen geschickt, sondern drei ihnen wohl gesonnene Geistliche. Die Regierung hielt daraufhin ihre Vertreter zurück, weil zunächst unklar war, ob die drei Geistlichen wirklich im Namen der Taliban sprachen und sprechen konnten. Dies wurde schliesslich geklärt.
Die Regierung ihrerseits schickte Vermittler in die Gespräche – und keine bevollmächtigten Unterhändler. Die Gespräche begannen. Mitte Februar erklärten die drei Geistlichen, sie würden nun in die Stammesgebiete im Norden reisen, um den Talibanführern die Vorschläge der Regierung zu unterbreiten.
Sie plädierten für einen "Waffenstillstand" solange die Verhandlungen dauerten. Immer betonten sie, dass sie nur als Vermittler sprächen, nicht als Bevollmächtigte der Taliban.
20-köpfiger Führungsrat
Die Führung, der pakistanischen Taliban besteht offiziell aus einem Führungsrat von rund 20 Personen. Diese halten sich in unterschiedlichen Regionen der nördlichen Grenz- und Stammesgebiete auf. Manchmal befinden sie sich sogar auf der afghanischen Seite der Grenze.
Wenn sie zusammentreten, geschieht dies normalerweise in Nord Waziristan, dem Gebiet, das am stärksten unter der Kontrolle der Taliban steht. Es gibt auch die Punjab-Taliban und Taliban-Aktivisten in Karachi. Doch inwieweit sie einer Kontrolle der Talibanführung in den Grenzgebieten unterstehen, ist unklar. Wahrscheinlich arbeiten sie nur gelegentlich zusammen.
23 Soldaten „hingerichtet“
Kaum hatten die Vermittler ihre Abreise bekannt gegeben, verübten die Taliban einen vernichtenden Schlag gegen die Regierungstruppen. In der Mohmand-Region der Stammesgebiete wurden 23 Soldaten des pakistanischen Frontier Corps kaltblütig ermordet.
Sie befanden sich seit Juni 2010 in Gefangenschaft der dortigen Taliban. Diese erklärten, die "Hinrichtung" sei eine Reaktion auf Morde der pakistanischen Sicherheitskräfte. Armeeangehörige hätten, so die Taliban, Stammesleute, die sich in ihrer Gefangenschaft befanden, umgebracht. Die Sicherheitsoffiziere bestreiten dies.
Gegenschlag der Armee
Die Regierung unterbrach darauf die eben erst begonnenen Gespräche. Die Luftwaffe führte am 13. und 18. Februar Angriffe in Nord Waziristan durch und erklärte, sie habe "mindestens 15 Personen getötet". Manche Beobachter glaubten, dass die Armee nun gegen die Taliban in den Stammesgebieten durchgreifen werde.
Die Taliban-Sprecher und ihre Vermittler erklärten, jede Militäraktion würde mit einem Fiasko enden. Sie würde nur dazu führen, dass noch mehr Menschen zur Flucht gezwungen würden und dass ihr Leiden nur noch grösser werde.
Morgenröte?
Am 1. März verkündeten die Taliban per E-Mail einen einmonatigen Waffenstillstand, um die Friedensgespräche wieder in Gang zu bringen. Die Regierung sprach von einer positiven Entwicklung und erklärte sich bereit, die Gespräche wieder aufzunehmen. Ein Treffen werde „in einem oder in zwei Tagen" verabredet.
Die Befürworter von Gesprächen mit den Taliban sahen Morgenröte. Vielleicht, so sagten sie, werde der "Waffenstillstand" halten. Dann sei Zeit gewonnen, um die Verhandlungen allen ernstes zu beginnen.
Das ist kein Zufall
Die Kritiker allerdings erinnerten daran, dass die Taliban-Führung keineswegs alle Taliban kontrolliere. Deshalb sei ein "Waffenstillstand" fragwürdig. Tatsächlich ist "Waffenstilstand" eigentlich ein Begriff, der auf Heere zutrifft, die unter militärischer Disziplin stehen. Wenn terroristische Gruppen ihn verkünden, ist er fragwürdig, weil es sich dabei meist um Täter und Gruppen von Tätern handelt, die aus ideologischen Motiven von sich aus handeln und denen ein Stillhaltegebot nicht ohne weiteres aufgezwungen werden kann.
Der spektakuläre Anschlag vom Montag in Islamabad fand denn auch kurz vor Aufnahme der geplanten „Friedensverhandlungen“ statt. Schon einmal ereignete sich das gleiche Szenario. Gespräche wurden angekündigt. Kurz bevor sie begannen, wurden sie durch einen grausamen Terroranschlag torpediert. Das ist kein Zufall. Offensichtlich steckt die Absicht dahinter, die Friedensverhandlungen zu verhindern.
Gespaltene Taliban?
Es ist denkbar, dass die Taliban-Führung selbst ein doppeltes Spiel treibt. Vielleicht gibt sie vor, verhandeln zu wollen, doch dann verhindert sie Verhandlungen gleich wieder mit einem Anschlag. So könnte sie auf Zeitgewinn spielen - etwa bis die Amerikaner aus Afghanistan abgezogen sind. Das wäre eine denkbare Erklärung für solch ein widersprüchliches Verhalten.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Taliban gespalten sind. Es gibt Gruppen, die einen Waffenstillstand als zweckmässig erachten. Andere aber lehnen ihn ab und tun alles in ihrer Macht stehende, um Verhandlungen zu verunmöglichen.
Am Ende der Weisheit
Sollte diese Strategie gewisser Taliban-Gruppen weiter aufgehen, würden Friedensverhandlungen in immer weitere Ferne rücken. Regierungschef Nawaz Sharif stünde dann bald bedenklich nah am Ende seiner Weisheit.
Seine einzige Alternative wäre, die Bevölkerung und die Armee zu mobilisieren und zu einem vereinten Widerstand gegen den Terrorismus aufzurufen. Kann er das überhaupt?
Ein dritter Versuch?
Wird die Armee ihm zustimmen und folgen? Lässt die Bevölkerung sich von einer Regierung mobilisieren, der sie wenig traut, nachdem sie seit sieben Jahren eher von den Terrorgruppen mobilisiert worden war?
Nawaz Sharif muss sich entscheiden, ob der diesen Weg beschreiten will - und beschreiten kann. Seine Hoffnungen, dass die Taliban mit sich reden lassen könnten, sind nun schon zum zweiten Mal in die Brüche gegangen. Wird er es - weil er keine Alternative sieht - ein drittes Mal versuchen?