Ein Buch, einfach geschrieben und gewiss kein literarisches Meisterwerk, macht seit kurzem Furore in der politischen und politisch interessierten Szene in deutschen Landen. Kein Wunder – berichtet darin doch eine Aussteigerin aus dem Innenleben jener Partei (oder besser, jenes Sammelbeckens aus Rechtsnationalisten, Unzufriedenen und sicher auch echt Besorgten), auf die, quasi in Schockhaltung, die etablierte Politik und grosse Teile des Bürgertums starren wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange: die Alternative für Deutschland, kurz AfD.
Mitarbeiterin von Frauke Petry
Die Autorin Katharina Schreiber, 28 Jahre alt und aus Dresden, war 2013 Mitglied geworden und hatte anschliessend sowohl bei der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) wie auch als enge Mitarbeiterin der einstigen (aber inzwischen kalt entmachteten und daraufhin entnervt zurückgetretenen) Parteivorsitzenden Frauke Petry rasant Karriere gemacht. 2017, von einer glühenden Anhängerin des national-konservativen Denkens zu einer offensichtlich total desillusionierten Realistin gewandelt, verliess sie die Partei und gilt dort seitdem als „Verräterin“.
Vergebliche Verbotsversuche
Entsprechend hat es bereits Versuche gegeben, das Buch gerichtlich verbieten oder zumindest per einstweilige Verfügung die Auslieferung untersagen zu lassen. Unter anderem von dem aus dem oberschwäbischen Ravensburg stammenden Götz Kubitschek, der mittlerweile als eine Art Vordenker der „Neuen Rechten“ fungiert. Kubitschek ist Verleger und Chef der neurechten Denkfabrik „Institut für Staatspolitik“ auf dem einstigen Rittergut Schnellroda im sachsen-anhaltinischen Saale-Kreis.
Schreiber berichtet in ihrem Buch über das enge Verhältnis zwischen Kubitschek und dem immer wieder durch rechtsradikale Äusserungen von sich reden machenden AfD-Fraktionschef im thüringischen Landtag, Björn Höcke. Kubitschek scheiterte mit seinem Verbotsantrag ebenso wie die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Vertriebenenpolitikerin Erika Steinbach, deren Desiderius-Erasmus-Stiftung seit dem jüngsten Parteitag in Augsburg zur AfD gehört. Damit hat die Partei Zugang zu erheblichen staatlichen Geldmitteln.
Konspirative Praktiken
Das Buch ist ein richtiger Stich ins Wespennest. Denn es gewährt tiefe Einblicke in das Innenleben einer sich zunehmend konspirativ verhaltenden Organisation, die zwar ihrerseits lautstark das Recht zur Meinungsäusserung („Das wird man ja schliesslich noch sagen dürfen“) einfordert, dies jedoch selbst der eigenen Anhängerschaft nicht zugesteht.
Wer Kritik auch nur leise äussert, sieht sich schnell ausgegrenzt. Die erste Aufregung um das Schreiber-Buch „Inside AfD“ hatte es gegeben, als der Europa-Verlag von den kurzen Passagen berichtete, in denen die Autorin über Zusammenkünfte der damaligen Parteivorsitzenden Frauke Petry mit dem inzwischen zum Innenstaatssekretär avancierten früheren Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maassen schrieb.
Wer hinter den Gallionsfiguren steht
Doch das war und ist an sich lediglich ein Appetit-Anreger zum Lesen. Denn das wirklich Interessante, Erregende, ja Erschütternde sind die Schilderungen Franziska Schreibers über die Vorgänge in der Partei selbst. Wie die ursprünglich einmal von EU- und Euro-kritischen Wirtschaftern und Wissenschaftlern um den einstigen Manager Hans-Olaf Henkel und den Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke gegründete „Alternative für Deutschland“ immer mehr in die Hände von Rechtspopulisten geriet, um von diesen schliesslich vollständig übernommen zu werden.
Folgt man den Erzählungen, dann haben dort längst auch nicht mehr die scheinbaren Gallionsfiguren wie Alexander Gauland, Alice Weidel oder Beatrix von Storch das Sagen, sondern Leute wie Björn Höcke oder Götz Kubitschek. Von ihnen werden Aussprüche kolportiert, man dürfe ja noch nicht alles sagen, aber wenn „die Zeit da ist“, werde „aufgeräumt“ – in den Sendern und Redaktionsstuben der „Lügenpresse“ und auf dem gesamten politischen Parkett.
„Inside AfD“ ist eigentlich ein Lernbuch. Ein Nachschlagewerk für alle, denen der hierzulande einstmals unbestrittene Schwur „Nie wieder!“ noch als Leitmotiv für ihr Leben gilt. Erich Kästner, der grossartige Satiriker und zeitgenössische Beobachter, hatte nach der nationalsozialistischen Katastrophe gesagt, der Widerstand gegen die Nazis hätte 1928 erfolgen müssen, 1933 sei es bereits zu spät gewesen. Vieles an der politischen Entwicklung der vergangenen Jahre lässt diese Warnung wieder aufleben.
Katharina Schreiber: Inside AfD. Bericht einer Aussteigerin, Europa Verlag, München 2018, 221 Seiten.