Aber leider übertreibt er immer wieder - und nimmt den Mund zu voll.
Da gibt es die „500 besten Songs aller Zeiten“, „die besten Filme aller Zeiten“, „den schnellsten Boxkampf aller Zeiten“, die „heisseste Fussball-WM aller Zeiten“ und - auch das sei nicht verschwiegen - den „traurigsten Nobelpreis aller Zeiten“, wie die FAZ am 3. Oktober 2011 lebhaft klagte.
Bei diesen Superlativen kann auch die NZZ mithalten. Am 12. Januar 2011 brachte sie einen Artikel mit dem Titel: „Grösster Blödsinn aller Zeiten“. Der Bürgermeister der schönen Stadt Freiburg im Breisgau hatte sich mit diesen Worten zu einer Verordnung für die Luftreinhaltung geäussert.
Dieser Bürgermeister, er heisst Dieter Salomon, hätte sich wohl ganz unsalomonisch aufgeregt, wenn ihn etwa ein kluger Journalist der NZZ gefragt hätte, was er denn meine. Alle Zeiten: Ist das also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Das setzt bei der Diagnose des „grössten Blödsinns aller Zeiten“ umfassendes Wissen und zugleich prophetische Gaben voraus. Herr Salomon wäre dann nicht nur dem Blödsinn in Geschichte und Gegenwart auf den Grund gegangen, sondern wüsste schon, dass es blöder nimmer kommt. Das wäre immerhin ein Hoffnungsschimmer. Dann bliebe uns wenigstens der „grösste Rettungsschirm aller Zeiten“ erspart.
Wenn es um die „grössten ... aller Zeiten“ geht, hebt sich automatisch die Stimme. Ruhig oder gar gedämpft kann davon nicht die Rede sein. Entsprechend haben die lärmenden Nationalsozialisten pausenlos vom „grössten ... aller Zeiten“ schwadroniert. Ihr Anführer war, ja was wohl? - der „Grösste Feldherr aller Zeiten“. Hinter vorgehaltener Hand nannten ihn die heimlichen Oppositionellen GröFaZ, gesprochen: Gröfaz.
Wer bei der Wahrheit bleibt, wird einen Superlativ auf das Heute beziehen. Sein Ton ist leiser. Denn er weiss, dass hinter dem Heute ein Morgen kommt, das Dinge bringt, die wir uns heute noch gar nicht träumen lassen. Ist das nicht das grösste Geheimnis aller Zeiten?
S.W.
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