Donald Trump hat unlängst auf entsprechende Pressefragen erklärt, er denke darüber nach, den Whistleblower Edward Snowden, der vor sieben Jahren die Öffentlichkeit über die Methoden zur Überwachung des gesamten Telefon- und Internetverkehrs der amerikanischen Bevölkerung und weit darüber hinaus informierte, zu begnadigen. Nicht zuletzt diese unerwartete Äusserung hat offenbar die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» veranlasst, ein langes Interview mit Snowden zu führen. Der heute 36-jährige Amerikaner lebt seit sieben Jahren in Moskau im politischen Asyl. Das telefonisch geführte Gespräch vermittelt interessante Einblicke in die Denkweise und die Motive des umstrittenen Whistleblowers.
Kein ideologischer Eiferer
Eines wird aus seinen Erklärungen deutlich: Snowden ist kein ideologisch fixierter Eiferer. Er stellt unumwunden fest, dass er den Giftanschlag gegen den russischen Oppositionellen Nawalny für ein Verbrechen hält und dass bei der Diskreditierung von Oppositionellen Russland «an der Spitze» stehe. «Es muss Ermittlungen geben und alle, die damit zu tun haben, gehören ins Gefängnis.» Das sind kritische und mutige Aussagen über ein Land, das Snowden immerhin Asyl gewährt. Aber er macht ebenso geltend, dass auch durch staatliche Agenturen der USA Menschen illegal getötet würden, etwa durch Drohnen-Angriffe im Ausland.
Die bekannte amerikanische Historikerin Jill Lepore hat vor einiger Zeit in einem langen Aufsatz im «New Yorker» argumentiert, die entscheidende Frage zur Beurteilung des Snowden-Falls laute: Ist er ein Patriot oder ein Verräter? Die Historikerin gibt darauf selber keine eindeutige Antwort, sondern meint, die gesetzliche Grundlage dazu sei undurchsichtig (murky). Lässt man aber den widersprüchlichen legalistischen Filigran beiseite, so lässt sich durchaus eine klare grundsätzliche Einschätzung begründen: Snowden hat als Whistleblower der Demokratie einen wichtigen Dienst geleistet, weil er die Öffentlichkeit über Praktiken der Geheimdienste informierte, von denen sie bisher keine Kenntnis hatte.
Die Praxis einer durchgehenden Überwachung des Telefon- und Internetverkehrs durch die NSA (National Security Agency) stützt sich zwar auf den sogenannten Patriot Act, der nach dem 9/11-Terroranschlag vom Kongress erlassen worden war. Doch die Öffentlichkeit wurde über diese Bestimmung nicht informiert und, wie die Historikerin Lepore betont, die NSA hatte in einer Anhörung rundweg bestritten, dass ihre Behörde die Daten von Millionen von amerikanischen Bürgern sammle.
Erinnerung an Ellsbergs Pentagon-Papers
Solche unbegrenzten Fischzüge ohne Begründung und legislative Kontrolle sind mit einer glaubwürdigen Demokratie nicht vereinbar. Mit solchen Methoden verwischen sich zumindest in diesem Bereich die Unterschiede zwischen einer demokratisch und freiheitlich organisierten Gesellschaft und autoritären oder diktatorischen Mustern à la Russland oder China.
Man kann Snowden zwar vorwerfen, dass er mit seinen Enthüllungen das von ihm unterzeichnete Schweigegebot über seine Tätigkeit für die NSA gebrochen hat. Doch dem lässt sich mit guten Gründen entgegenhalten, dass die Aufklärung über pauschale staatliche Verstösse gegen eine verfassungsmässige Grundfreiheit der Bürger schwerer wiegt als ein solches persönliches Versprechen.
Kein Wunder hat Daniel Ellsberg, der 1971 geheime Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg an die Presse weitergab, in einem Artikel für den britischen «Guardian» erklärt, Snowdens Whistleblowing gebe den Amerikanern die Chance, «etwas zurückzudrängen, das gleichbedeutend mit einem Putsch der Regierung gegen die Verfassung ist». Der US Supreme Court hat später die Veröffentlichungen Ellsbergs als verfassungsmässig beurteilt.
Viele Amerikaner, möglicherweise sogar die Mehrheit, scheinen zwar nach dem Schock der 9/11-Terroranschläge im Jahre 2001 die Überwachsungsmethoden der NSA als notwendig zu akzeptieren, um neue derartige Anschläge zu verhindern. Dann aber hätte man die Öffentlichkeit auch offen über diese Praxis informieren müssen, anstatt sie zu leugnen. Snowden hat dieses Versäumnis aufgedeckt und deshalb verdient er keine Verfolgung durch den amerikanischen Staat.
Macht Trump etwas richtig?
Präsident Obama ist am Ende seiner Amtszeit gefragt worden, ob er vor dem Auszug aus dem Weissen Haus Edward Snowden begnadigen werde. Er antwortete, er könne niemanden begnadigen, der nicht von einem Gericht verurteilt wurde. Er glaube aber, Snowden habe «einige berechtigte Sorgen angesprochen». Tatsächlich hat Obama am Ende seiner Präsidentschaft die Whistleblowerin Chelsea Manning begnadigt, die als Militärangehörige im Irak grosse Mengen von Geheiminformationen öffentlich gemacht hatte. Sie war deswegen zu einer drakonischen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Weshalb nun ausgerechnet Trump über eine Begnadigung Snowdens nachdenkt, bleibt zwar rätselhaft, weil er früher dessen Enthüllungen als Landesverrat angeprangert hatte.
Sollte Trump aber doch noch die Weichen für eine freie Rückkehr Snowdens in seine Heimat stellen, so müsste man ihn für einmal für eine gute und notwendige Tat loben.