Man belegt Feinde nicht mehr mit abwertenden Ausdrücken wie Schwein oder Affe, Gelber oder Schlitzauge, man nennt sie auch nicht mehr „Untermenschen“, wie es die Deutschen zeitweilig für richtig und angemessen hielten. Doch bei aller Subtilität unserer Zeit: Abwertung muss nach wie vor sein. Daher hat sich das Wort „selbsternannt“ eingebürgert. Das klingt nicht nach pöbelhafter Verbalinjurie und erfüllt gerade deshalb seinen Zweck.
Die Welt wimmelt nur noch so von „selbsternannten“ Gotteskriegern, Stammesführern oder Bürgermeistern und Gouverneuren wie derzeit im Osten der Ukraine. Die westlichen Medien haben das Attribut „selbsternannt“ so fest an manche Namen geklebt, dass es wie ein unverzichtbarer Abwehrzauber wirkt.
„Selbsternannt“ bedeutet: Da masst sich jemand ein Amt an, das ihm nur von anderen, sei es durch Wahl oder im Rahmen einer Hierarchie“, verliehen werden könnte, aber nicht verliehen worden ist. Wer sich selbst ernennt, ist im Grunde ein erbärmlicher Wicht. Er bläst sich mit einer Bedeutung auf, die er faktisch nicht hat.
Der Feind: ein Wicht. Mit dieser Erkenntnis hat man ihn wenigstens schon einmal moralisch vernichtet, bis die robusteren Kräfte den physischen Rest erledigen. Aber wie immer, wenn so wunderbar klar zwischen „us and them“ unterschieden wird, gibt es einen gewaltigen blinden Fleck.
Kein „selbsternannter“ Gotteskrieger, Bürgermeister oder Gouverneur kommt ohne eine hinreichend grosse schlagkräftige Gruppe aus. Ohne seine Gefolgschaft ist er nichts. Täglich, stündlich muss er sich gegen Rivalen durchsetzen und seine Anhängerschaft konsolidieren. Das ganze ist natürlich anarchisch und folgt nicht den demokratischen Spielregeln, die bei uns gelten - sofern wir einmal Ränkespiele in Hinterzimmern und Wahlergebnisse bei minimalen Wahlbeteiligungen ausblenden.
Aber das Wort „selbsternannt“ hat noch eine andere Konnotation: Jemand bildet sich ein, er sei für ein bestimmtes Amt besonders geeignet oder gar berufen. Das ist der Grössenwahn des Feindes! Wie aber kommt jemand in demokratischen Staaten ganz nach oben, wenn er von seinen ausserordentlichen Führungsqualitäten nicht absolut überzeugt ist? Von diesen Aspirationen handeln zahllose Anekdoten. Und wie steht es mit Ärzten oder Geistlichen, wenn diese keine „innere Berufung“ spüren?
Und wenn es ans Verhandeln geht: Wird man dann von „selbsternannten Verhandlungspartnern“ sprechen oder bloss froh sein, dass da jemand ist, der die nötige Autorität hat, ein Ergebnis auch bei seinen Anhängern durchzusetzen?