Kein handzahmer SRG-Claqueur
Dass Roger Schawinski nun mit einem fulminanten Buch gegen die radikale No-Billag-Initiative rechtsnational-libertärer Interessengruppen in die Abstimmungsarena reitet, entbehrt ja nicht einer pikanten Note. Hatte der prominente Medienpionier, der einst entscheidend zu einer Diversifizierung der helvetischen Radio- und Fernsehlandschaft beigetragen hatte, nicht lange Jahre zu den hartnäckigsten Kritikern der SRG (Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft) gehört? Und jetzt also wirft er sich mit Verve ins Getümmel um die Abstimmung vom 4. März, um ausgerechnet das Überleben dieses nationalen Medienkolosses zu verteidigen. Ein Paradox?
Schawinski ist sich solcher Fragen natürlich bewusst, und er weicht der Beantwortung in seinem Buch nicht aus. Er habe nie gegen die Existenz der SRG gekämpft, sondern nur gegen dessen Monopol als flächendeckende Anbieterin von schweizerischen Radio- und Fernsehprogrammen, argumentiert er. Das klingt plausibel, wenngleich man gegen den Terminus Monopol-Betrieb angesichts schon immer vorhandener ausländischer Konkurrenzsender und ihres bedeutenden Marktanteils einiges einwenden kann. Ausserdem outet sich der Autor in seinem neuen Buch keineswegs als handzahmer SRG-Claqueur. Vielmehr kritisiert auch er teilweise vehement verschiedene Entscheidungen der SRG-Führung, die nach seiner Analyse dazu geführt haben, dass sich in jüngster Zeit die Stimmung gegen den öffentlich-rechtlichen Medienkoloss empfindlich verschlechtert hat.
Noch mehr Marktanteil für ausländische TV-Sender?
Fraglos gehört Schawinskis zu den besten und erfahrensten Kennern der helvetischen Medienszene, insbesondere was den Fernseh- und Radiomarkt betrifft. Schliesslich ist er seit Jahrzehnten in exponierten Positionen auf diesem komplexen Feld aktiv engagiert, sowohl als Unternehmer als auch als Journalist (heute für seinen eigenen Radiosender Radio 1 und als Interviewer für sein Talk-Programm «Schawinski» im Fernsehen SRF.)
Schawinski schreibt in seiner Streitschrift gegen die No-Billag-Initiative nicht um den heissen Brei herum. Er formuliert klar und präzise, um was es bei dieser Volksabstimmung am 4. März im Kern geht und welches die konkreten Konsequenzen einer Annahme der Initiative wären. Es geht um den möglichen Einsturz einer «tragenden Säule» unseres bisherigen demokratisch organisierten und sorgfältig austarierten nationalen Mediensystems. Doch der Autor beschränkt sich keineswegs auf blosse Behauptungen, wie es die Verfechter der extremen No Billag-Initiative häufig tun. Er baut seine Argumentation mit einer Vielzahl konkreter Fakten und Zahlen auf, über die er aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen im helvetischen Medienmarkt sehr gut Bescheid weiss.
So weist er mehrfach darauf hin, dass die ausländischen TV-Sender bereits heute einen Zuschaueranteil von 60 Prozent buchen können. Eine Auflösung der SRG – nach Schawinskis Argumentation eine nahezu unabwendbare Folge einer No-Billag-Annahme – oder auch nur eine radikale Einschränkung des bisherigen nationalen Fernsehangebots würde diesen ausländischen TV-Stationen Tür und Tor zu einer massiven Aufstockung ihres Marktanteils in der Schweiz verhelfen. Darüber sprechen die Initianten der Initiative und ihre Gefolgsleute wie Blocher und andere SVP-Hardliner natürlich nicht, denn das stünde ja im Widerspruch zu ihren notorischen Unkenrufen gegen ausländische Einflüsse und Einmischungen.
Rasante SRG-Finanzkrise bei Ja zu No Billag
Im 4. Teil seines Buches setzt sich Schawinski detailliert mit den Folgen auseinander, die sich aus einem Ja zur No Billag-Initiative ergeben würden. Zunächst stellt er klar, dass der Bundesrat bis zum Jahresende 2018 Ausführungsbestimmungen erlassen müsste, wie die von der Initiative zwingend verlangte Abschaffung von Radio- und Fernsehgebühren in die Tat umgesetzt werden soll. Niemand wisse heute genau, welche unmittelbaren Konsequenzen das haben werde. Doch die Einnahmen der SRG würden sofort drastisch zurückgehen, argumentiert Schawinski.
Denn nach einer Annahme der No-Billag-Initiative dürfte «eine grosse Zahl von Personen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, was das Inkasso erheblich erschweren wird». Und dieser Trend werde sich von Monat zu Monat verstärken. Bereits innerhalb weniger Monate werde das zu einer ernsthaften Liquiditätskrise führen, weil ein grosser Teil der über 1.2 Milliarden an Gebührengeldern und damit die Haupteinnahmequelle der SRG versiegen würde.
Der neue SRG-Generaldirektor Gilles Marchand hat denn auch in einem Interview erklärt: «Uns blieben nur Monate, um allen 6000 Mitarbeitern zu kündigen.» Dies sei keine haltlose Drohung, sondern ein realistisches Szenario. Der Bundesrat könne, so Schawinski weiter, nur während der neunmonatigen Übergangsphase Massnahmen ergreifen, um die unmittelbaren Auswirkungen der No-Billag-Initiative abzuschwächen. Danach gilt das vom neuen Gesetz kategorisch vorgeschriebene Verbot zur Erhebung von Radio- und Fernsehgebühren.
Ende für «Echo der Zeit» und Tagesschau
Schawinski geht in seinem Buch, das in einzelnen Kapiteln auf einem Frage-Antwort-Muster aufbaut, auch auf das gelegentlich vorgebrachte Argument ein, das Parlament könnte die Kosten für die SRG künftig in Form von Steuern erheben und damit das umstrittene Gebührenmodell, bei dem alle Bürger den gleichen Betrag bezahlen, ersetzen. Damit würde die SRG dann ähnlich finanziert wie etwa die ETH oder die Landwirtschaft.
Der Autor hält diese Ausweichmöglichkeit für unrealistisch. Erstens würde dies von den SRG-Gegnern sofort als «krasse Verletzung des Volkswillens» denunziert und dagegen das Referendum erhoben. Und zweitens könnte eine solche Lösung kaum so schnell umgesetzt werden, dass ein finanzieller Kollaps der SRG zu verhindern wäre. Restlos auszuschliessen aber ist eine Umstrukturierung des bisherigen Gebührenmodells auf ein Steuermodell vielleicht doch nicht, auch wenn der Durchsetzung einer derartigen Alternative sehr hohe Hürden entgegenstehen.
Laut Schawinski gibt es kaum Zweifel, dass die SRG bei einer Annahme der No-Billag-Initiative noch vor dem Auslaufen ihrer Konzession Ende 2018 in Liquidation gehen oder gar den Konkurs anmelden müsste – vor allem wegen der hohen Kosten für die Sozialpläne, für die Beträge «in der Höhe von mehreren hundert Millionen anfallen» würden. Für die Zuschauer und Zuhörer der SRG-Programme hätte das gravierende Konsequenzen. Hochwertige und seit Jahrzehnten etablierte Informationssendungen wie das «Echo der Zeit», «Rendez-vous am Mittag» oder die «Tagesschau» würden verschwinden. Verschwinden würde auch mit hoher Wahrscheinlichkeit der Radiosender SRF 2 Kultur, den zwar nur ein schmales Hörersegment konsumiert, der aber ein höchst wertvolles Programm anbietet, das kein privater Betreiber finanzieren würde.
Steilvorlage für Medienunternehmer Blocher?
Doch nicht nur das. Auch die meisten lokalen Radio- und Fernsehstationen, die von privaten Unternehmungen und Verlegern betrieben werden, könnten nicht überleben, weil sie in erheblichem Ausmass aus dem Gebührentopf der SRG finanziert werden. Daraus könnte wiederum eine Steilvorlage für einen ambitiösen Unternehmer wie den SVP-Strategen Christoph Blocher werden, der über ein milliardenschweres Vermögen verfügt. Schawinski hält es jedenfalls nicht für ausgeschlossen, dass Blocher bei einem Wegfall der Zuschüsse aus dem SRG-Topf die Radio- und Fernsehstationen des Aargauer Verlegers Peter Wanner, dessen Finanzsituation er als riskant beurteilt, übernehmen könnte. An Ehrgeiz, sein in den letzten Jahren zusammengekauftes Medien-Fürstentum weiter auszubauen, fehlt es dem nationalkonservativen Taktgeber offenkundig nicht, wie man weiss.
In diesem Zusammenhang stellt Schawinski denn auch die Frage: «Wird die Schweiz mit No Billag also eine ‘Berlusconisierung’ erleben, wie es viele Kritiker befürchten.» Seine Antwort: «Nein, viel schlimmer.» Berlusconi kontrollierte in Italien als Regierungschef drei private TV-Kanäle und die habe er schamlos zur Förderung der eigenen politischen Karriere genutzt. Aber daneben gab es noch drei öffentlich-rechtliche RAI-Kanäle, die mit Gebühren unterstützt wurden. Nach einem Ja zu No Billag gäbe es in der Schweiz keine garantierte flächendeckende Versorgung von Fernsehen und Radio mehr mit einem gemäss Leistungsauftrag breiten Informationsangebot, das seriösen journalistischen Kriterien folgt. Kurz, argumentiert Schawinski, es werde im bisherigen dualen helvetischen Radio- und Fernsehangebot von öffentlich-rechtlichen und lokalen Stationen «kein Stein auf dem andern bleiben».
Demagogisches Reizwort «Staatsmedien»
Ist er berechtigt, die SRG-Sender als «Staatsmedien» zu bezeichnen, wie es deren erklärte Gegner und neuerdings sogar der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer tun? Der Begriff wird zweifellos in bewusst demagogischer Absicht in die Debatte geworfen. Er suggeriert, dass die SRG-Sender durchwegs am Gängelband des Staates zappeln – natürlich auch inhaltlich, wie das in autoritären und totalitären Regimes von China, über Russland bis Iran und Saudiarabien der Fall ist und wie das schon Hitler und Stalin praktizierten.
Dabei kann jeder, der insbesondere die öffentlich-rechtlichen Informationsprogramme in der Schweiz, Deutschland oder England mit einigermassen offenen Ohren und Augen wahrnimmt, wissen, dass diese unter besonders kritischer Beobachtung stehenden Anstalten mit öffentlichen Kontrollinstanzen sich ernsthaft um echte Meinungsvielfalt bemühen und – dank substanziellen Gebührenressourcen – in der Regel auch einen seriöseren, breiter aufgefächerten Journalismus betreiben als rein kommerzielle Sender. Wenn Chefredaktoren gewisser Schweizer Blätter pauschal gegen «Staatsmedien» polemisieren, so entbehrt das auch insofern nicht der Ironie, als einige unter ihnen ja gerne in eigenen Talk-Programmen auftreten, die vom angeblich überflüssigen «Staatsmedium» SRG ausgestrahlt und erst noch finanziert werden.
Wie viel investiert der SVP-Stratege in den Abstimmungskampf?
Wer sind eigentlich die Initianten, die diese Kahlschlag-Initiative gegen die SRG lanciert haben, ohne dem Bürger die geringste konkrete Vorstellung zu vermitteln, was denn an deren Stelle treten könnte oder sollte? Es waren ursprünglich 26 junge Leute aus dem Umfeld der jungen SVP und der Jungfreisinnigen, die in einer grösseren Bierrunde auf die Idee verfielen, man sollte sich gegen die «staatliche Zwangsgebühr» zur Wehr setzen, respektive diese per Volksinitiative gleich völlig abschaffen. Später sprangen die meisten Teilnehmer aus diesem Kreis wieder ab von dem Projekt. Doch die Initiative kam immerhin zustande. Heute gilt der libertäre Aktivist Olivier Kessler, der nach dem Studium an der HSG vorübergehend Chefredaktor der rechtsnationalen Postille «Schweizerzeit» war, als führender Kopf des Initiativkomitees.
Die Volksinitiative schien anfänglich kaum Chancen auf Erfolg zu haben. Das hat sich inzwischen geändert, seit im Spätherbst eine erste Umfrage signalisierte, dass eine Mehrheit der Stimmenden sich für No Billag entscheiden könnte. Rückenwind verschaffte dem radikalen Vorstoss gewiss auch der Umstand, dass Blocher erklärte, er werde für No Billag stimmen. Die ihm besonders nahestehende Zürcher SVP-Kantonalpartei hat mehrheitlich ebenfalls entschieden, die Vorlage zu unterstützen. Wie viel Geld der Herrliberger Milliardär in den Abstimmungskampf investieren wird, wird man wohl nie genau in Erfahrung bringen können.
Brexit und No Billag – gleiche Mechanismen
Fest steht jedenfalls, dass ihm ein No-Billag-Erfolg nicht nur ideologisch ins Konzept passen, sondern auch als Medien-Drahtzieher neue Perspektiven eröffnen würde. Allerdings sind nicht alle SVP-Granden bereit, auf dieser medienpolitischen Tabula-rasa-Welle mitzureiten, sodass auf nationaler Ebene in dieser Partei möglicherweise Stimmfreigabe beschlossen werden könnte. Von den Freisinnigen, die im Parlament gegen No Billag gestimmt hatten, erwartet man für den Wahlkampf eine Nein-Parole.
Schawinski zieht am Schluss seines Buches über die Hintergründe und die Folgen der No-Billag-Initiative eine Parallele zur Brexit-Abstimmung vom Juni 2016 in Grossbritannien. Eine Annahme von No Billag werde «die Schweiz zwar nicht in vergleichbarer Weise erschüttern» wie der Brexit-Entscheid das Vereinigte Königreich. Aber die Mechanismen seien die gleichen. Es wäre ein von rechtsnationalen und rechtspopulistischen Kreisen «mittels Ressentiments und gezielten Falschinformationen geschürter Entscheid, dessen Konsequenzen die Stimmbürger nicht abschätzen können».
Der Autor geht in seiner Analyse noch einen Schritt weiter und sieht in der Unterstützung der SVP-Strategen für den SRG-Kahlschlag ein willkommenes Rezept, ihrem Ziel, «den Staat in seinen Grundfesten anzugreifen», einen wesentlichen Schritt näherzukommen. Denn der moderne Sozialstaat mit seinen gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen und sein im Radio- und Fernsehbereich für die verschiedenen Sprachgruppen austariertes Mediensystem sei für libertäre Hardliner schwer erträglich. Deshalb möchte ihn die SVP – oder jedenfalls ihre ideologischen Schrittmacher – «massiv zurückstutzen».
No No Billag durch detaillierte Information
Die Schweiz wäre bei einer Annahme von No Billag das einzige Land unter den zivilgesellschaftlich fortgeschrittenen Staaten der Welt, die über keinerlei öffentlich-rechtlich organisierten Medien mehr verfügen würde. Es wäre, schreibt Schawinski, ein «als Denkzettel getarnter Schildbürgerstreich, der mit Sicherheit gewaltigen Schaden anrichten würde». Deshalb müsse «mithilfe möglichst detaillierter Informationen alles getan werden, dass es nicht dazu kommt, sondern zu einem ‚No No Billag‘». Dazu leistet der Medienprofi Schawinski mit seinem faktenreichen Buch einen hoffentlich wirksamen Beitrag.
Die SVP wird übrigens auch im Falle einer Ablehnung von No Billag den Kampf für eine enge Eindämmung des SRG-Kolosses weiterführen. Sie hat angekündigt, dass sie bei einer Niederlage am 4. März eine Initiative zur Begrenzung der jährigen Gebühr auf 200 Franken pro Haushalt (heute sind es 365 Franken jährlich) lancieren werde. Doch das wäre dann wieder eine ganz andere Debatte, bei der um unterschiedliche Grössenordnungen und nicht mehr um die totale Versenkung einer nationalen Institution gerungen würde. Zunächst geht es darum, den für den 4. März anvisierten extremistischen Kahlschlag zu verhindern.
Roger Schawinski: No Billag. Die Gründe und die Folgen.Verlag Wörtersee 2018. 176 Seiten. Taschenbuch CHF 12.00, E-Book CHF 10.00.