Tausende nahmen am zweiten Tag des neuen Jahres in Turin Abschied von Rita Levi Montalcini. Sie, die geniale jüdische Wissenschaftlerin, Nobelpreisträgerin und Senatorin auf Lebenszeit, wurde 103 Jahre alt. Wenige Stunden vor ihrem Tod sass sie am Computer und arbeitete. Sie, die Neurologin, entdeckte, dass sich auch ein altes Hirn weiterentwickeln kann, vorausgesetzt man gebraucht es. Ihre Botschaft rüttelt auf: Lass dich nicht gehen, arbeite, kämpfe bis zur letzten Stunde, lass das Leben nicht sinnlos an dir vorbeiziehen, denn plötzlich ist es vorbei. Sei nicht lethargisch, mache etwas aus deinem Leben. „Nicht die Jahre, die du gelebt hast, zählen, sondern die Botschaft, die du vermittelt hast.“ Oder: „Gib dem Leben nicht Jahre, sondern fülle die Jahre mit Leben.“ Nicht nur als Medizinerin, sondern auch als politische Philosophin macht sie Mut – gerade heute, wo viele müde und desillusioniert in die Zukunft blicken. Kämpfe, lass dich nicht von populistischen Schreihälsen (in Italien und anderswo) verführen, wehre dich gegen die Gier der heutigen Zeit. Ein harmonischer Pakt zwischen menschlichem, finanziellem und wissenschaftlichem Kapital ist nötig und möglich. Setze dich dafür ein. Vor allem: „Habe keine Angst vor der Krise.“ „Meine Intelligenz ist bescheiden“, sagte sie, „meine einzigen Stärken sind mein Engagement und mein Optimismus.“ Optimismus war für sie keine Gutmenschen-Phrase. Optimismus als Kraft – die letzte Neujahrsbotschaft von Rita Levi Montalcini. (Heiner Hug)