Thomas Buomberger (Spezialist Kunstraub) und Guido Magniaguagno (ehemals Vizedirektor des Kunsthauses Zürich) haben das „Schwarzbuch“ herausgegeben. Mit dem alarmierenden Untertitel: "Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?" - Immerhin zuletzt ein abschliessendes Fragezeichen. Die Herausgeber betonen eingangs, die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Buehrle sei nicht mehr mit der früheren Waffenschmiede zu vergleichen und gehöre heute dem russischen Oligarchen Viktor Vekselberg; aber der Name Bührle bleibe auf immer ein Reizwort für die Verknüpfung von „Waffen und Kultur“.
Das „Schwarzbuch“ erschien zeitgleich mit dem Spatenstich für den Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses, der 191 Kunstobjekte – Bilder, Skulpturen und gotische Holzfiguren – als „permanente Einheit“ zeigen wird. Bedingung war die Volksabstimmung im November 2012. Eine Kündigung des Leihvertrags wäre frühestens 2034 möglich – und sogar dann unwahrscheinlich, denn die öffentlich einsehbare Stiftungsurkunde nennt die Zürcher Bevölkerung als Adressaten. Das Kunsthaus jubelte 2012: Hier werde „neben Paris das bedeutendste europäische Zentrum für französische Malerei des Impressionismus entstehen“.
"Bombastischer Neubau"?
Zwar bestreiten die Herausgeber das Kaliber des Stiftungssammlung nicht, wenn sie auch einiges Zweitklassiges wahrgenommen haben wollen und mehrmals (mit Recht) monieren, museumspädagogisch sei die erzwungene Einheit der Stiftungssammlung im neuen Haus ein Unsinn; Bührles Impressionisten hätten zusammen mit den hauseigenen präsentiert sein sollen. Aber der (vertrauliche) Vertragswortlaut hält nun mal die „permanente Einheit“ fest. Den Kampf gegen den „bombastischen Neubau“ – so qualifiziert ihn unverdient das „Schwarzbuch“ - haben die Autoren verloren.
Die Farbe „schwarz“ gilt jedoch dem Aspekt der Raubkunst, dem „Schatten“, der nach Mutmassung der Herausgeber auf die Sammlung fallen könnte.
Schmutzige Provenienz interessierte ihn nicht
Der historische Teil des Buchs zeichnet akribisch nach, wie der deutsche Kavallerieveteran des 1. Weltkriegs, begeisterter Kunstfreund des angesagten Impressionismus, mit schwiegerväterlichem Geld die Oerlikoner Fabrik übernahm und auf der 20mm-Flabkanone sein Imperium aufbaute. Als Kunstsammler war E.G. Bührle auch in den 30er und 40er Jahren zugriffig – als unter der Naziherrschaft über Europa „Raubkunst“, „Fluchtkunst“ (den Exilanten abgepresst) und „Entartete Kunst“ (in öffentlichen Sammlungen befehlsgemäss abgehängt) auf den Markt gelangte. Schmutzige Provenienz interessierte ihn nach Aussagen von damaligen Kunsthändlern nicht gross – ein krasser Unterschied zum vorsichtigen Winterthurer Sammler-Konkurrenten Oskar Reinhart.
Nach Kriegsende nötigten die Allierten den Bundesrat, sich ernsthaft mit dem peinlichen Rechercheergebnis zu befassen, dass Bührle im Kriegsverlauf 13 Gemälde erworben hatte, die jüdischen Sammlern in Frankreich geraubt worden waren. Vom berüchtigten Kunsthändler Fischer in Luzern erwarb Bührle damals elf Bilder für rund 568 000 Franken, was Fischer einen Gewinn von über 100 Prozent bescherte.
Raubgutprozess
1948/1949 fanden die vom Bundesgericht wiederwillig eingerichteten Raubgutprozesse statt, bei denen es um die Frage ging, ob die Erwerber gutgläubig gehandelt hatten. Falls ja, bezahlte der Bund eine Entschädigung für die zurückgegebenen Bilder. Bührle musste zugeben, auf einigen Bildern die Etikette ERR (Hitlers Kunstraub-Einsatzstab Alfred Rosenberg) gesehen zu haben – allerdings im falschen Glauben, es handle sich um den beraubten Pariser Kunsthändler Paul Rosenberg (!).
Bei insgesamt zwölf Bildern in Bühres Besitz befanden die Bundesrichter: fünfmal gutgläubig, allerdings mit stark reduzierter Entschädigung. „Zweifellos war es ein politisches Urteil aus Gründen einer wie immer gearteten Staatsräson“ (Buomberger). Acht der damals zurückgegebenen Bilder, mit manchmal geringem Aufschlag umgehend ein zweites mal gekauft (also legalisiert), befinden sich heute acht in der Stiftungssammlung, zwei im Besitz der Familie Bührle. Der Sammler unterhielt in der Folge „so etwas wie freundschaftliche Beziehungen mit Paul Rosenberg“, zumal dieser wieder mit Kunst handelte.
Möglicherweise überholt
Soweit ein Ausschnitt aus der reichen Belegsammlung des „Schwarzbuchs“. Einige der Belege sind möglicherweise überholt – so das Zitat aus dem Bergier-Bericht 2001, Band „Fluchtgut-Raubgut“: „Wir konnten die Fluchtgut-Erwerbungen von Emil G. Bührle nicht systematisch, sondern nur für einzelne Werke aufzeigen“. Eine Woche nach der Buchvernissage des „Schwarzbuchs“ hat der Zürcher Gemeinderat am 2. September „hitzig debattiert“, wie es mit der Transparenz um den Bührle-Bilderschatz stehe („Tagesanzeiger“).
Die Alternative Liste forderte in einem Postulat, es sei „vollständiger Zugang“ zum Archiv der Stiftung Sammlung Bührle und eine „unabhängige Provenienzforschung“ zu gewährleisten. Dem laut NZZ „äusserst schmalen, von links und rechts kritisierten“ dreiseitigen Bericht des Stadtrats ist ein Lob für die „in Fachkreisen heute schon als vorbildlich geltende Provenienzforschung der Stiftung“ zu entnehmen. Das Archiv der Stiftung sei „in den letzten Jahren digitalisiert worden, womit es nun digitale Belege zu allen 632 Kunstwerken gebe, die Bührle zwischen 1936 und 1956 erworben hat“. Wohlverstanden: nicht nur der 191 Werke der Stiftung, sondern auch jener, die bei der Erbteilung 1960 im Privatbesitz der Familie verblieben. Davon hat das „Schwarzbuch“ kurz zuvor nichts erfahren oder nichts schreiben wollen. Auch die Korrespondenz über die Werke sei „zum grossen Teil digitalisiert“ und würde „spätestens bei Bezug des Erweiterungsbaus zugänglich“, verspricht der Stadtrat. Die AL-Forderung nach „Unabhängigkeit“ der allein von der Stiftung besorgten Provenienzklärung wird freilich noch zu reden geben. Diskussionsstoff birgt auch die von Magnaguagno erstellte, im Buch und in der Presse breit publizierte Liste von „20 Bildern mit Lücken in der Provenienz“, von denen der ehemalige Vizedirektor des Kunsthauses nur von einem schreibt, es sei „sorgenfrei“.
Unangebracht geheimniskrämerisch
Die Beteuerungen des Stadtrats, die Stimmung des Gemeinderats und die Forderungen des „Schwarzbuchs“ scheinen in einem Punkt übereinzustimmen: Hohe Transparenz ist herzustellen und auch sichtbar zu machen. Beispielsweise in einem Kabinett im Kunsthaus: Es müsste die unerfreulichen Waffenmillliarden hinter der Stiftungssammlung, die Rechtsverletzungen rund um die Bilderkäufe offen thematisieren. Und zwar dort, im Innern des Neubaus, wo sich Besucher mit der Sammlung auseinandersetzen werden. Die im „Schwarzbuch“ geforderte Stele vor dem Kunsthaus halte ich für entbehrlich.
Der Transparenz würde auch eine Publikation des Vertrags zwischen Stiftung und Zürcher Kunstgesellschaft gut anstehen: Schliesslich hat die Zürcher Stimmbevölkerung 2012 einen städtischen Betrag von 88 Millionen Franken gesprochen. In der Medienmitteilung 2012 schrieb das Kunsthaus nur: „Über die privatrechtlichen Details der Vereinbarung geben die Parteien keine Auskunft“. Das ist bei diesem Kostenvolumen unangebracht geheimniskrämerisch.
„Mittagessen für Marxisten“
Kommt es zu einer zweiten Auflage des „Schwarzbuchs“ – die meisten Kapitel verdienen das durchaus-, könnten die Herausgeber allerdings auf einige hämische Unterstellungen verzichten, etwa auf die wiederholte Betonung, der schon in der Jugend kunstbegeisterte E.G. Bührle habe sich bloss mäzenatisch betätigt, um als „Parvenu“ endlich vom Zürcher Grossbürgertum anerkannt zu werden. Oder es handle sich bei der Dauerleihgabe des „Sammlung Stiftung Bührle“ um ein „Danaergeschenk“. Oh, diese Metaphern! Das erinnert etwas sehr an die „Mittagessen für Marxisten“, die der damals bekenntnisdurstige - heute gereifte – Mitherausgeber Magnaguagno in den 1970er Jahren organisiert hatte.
Thomas Buomberger, Guido Magnaguagno (Hrsg).
Schwarzbuch Bührle, Raubkunst für das Kunsthaus Zürich?
Zürich 2015 Rotpunktverlag, 255 S., Ca 28 Fr.
Peter Studer war Chefredaktor von TA und SF SRG. Heute schreibt er über Medien- und Kunstrecht.