Seit Herbst letzten Jahres sind iranische Kamikazedrohen die wichtigsten Waffen Russlands gegen die ukrainische Infrastruktur. Wie kein anderer Diktator der Welt steht Ali Chamenei Wladimir Putin bei.
Ali Khamenei nannte sie einmal das unverschämte Weib, ohne ihren Namen zu erwähnen. Vizeaussennministerin Wendy Sherman gehört zu den besten Iranexperten in der US-Administration. In den dreissig Jahren, die sie im State Department arbeitet, war sie hauptsächlich mit Iran-Dossiers beschäftigt. Sherman diente Hillary Clinton und John Kerry als Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten. Als Verhandlungsführerin für das Atomabkommen mit dem Iran hatte sie jahrelang mit dutzenden Gesandten aus dem Iran zu tun. In dieser langen Zeit lernte sie fast alle Iraner kennen, die irgendwie im Atomprogramm an höchster Stelle involviert waren. Khameneis Beschimpfung stammt aus dieser Zeit. Das Atomabkommen ist inzwischen tot, doch Sherman muss sich immer noch mit Iran befassen.
«Wir müssen mit mehr iranischen Drohnen und Raketen rechnen, die Russland künftig im Ukrainekrieg einsetzen wird», sagte Sherman am vergangenen Montag in Kiew. Ihr Kollege, Vizeverteidigungsminister Colin Kahl, fügte hinzu, Russland sei auf Iran und Nordkorea deshalb angewiesen, weil es einen echten Mangel an eigenen Raketenkapazitäten und Drohnen habe. Dies berichtet das Nachrichtenportal Ukrinform. Die USA seien wegen dieser Kooperationen zwischen Russland und Iran sehr besorgt. «Wir müssten weitere Sanktionen verhängen», sagte Sherman weiter.
Der Sumpf
Je mehr der Ukrainekrieg voranschreitet, desto mehr wird eine Prophezeiung wahr, die Khamenei nicht hören wollte. Der «Ukrainesumpf», in den Putin Iran hineinziehen wolle, sei eine mörderische, eine schicksalsentscheidende Falle für die Islamische Republik. So warnten in den letzten Monaten offen mehrere hochrangige Politiker, die als wichtige Diplomaten jahrelang dem Gottesstaat gedient haben. Unter ihnen befinden sich unter anderen zwei ehemalige Botschafter Irans in Moskau, ein hochrangiger ehemaliger Kommandant der Revolutionsgarden sowie der ehemalige Ausschussvorsitzende für nationale Sicherheit.
Der Ex-Botschafter Gholam Reza Anssari sprach am 10. Januar in einer Expertenrunde in Teheran offen über das, was der Islamischen Republik bevorsteht. «Mit diesen Drohnen, die wir Putin für seinen Ukraine-Krieg liefern, machen wir die Europäer zu unseren Feinden, selbst Deutschland, das wir gebeten hatten, beim Atomabkommen dabei zu sein, selbst Deutschland ist heute einer unserer schärfsten Gegner», sagte Anssari und fügte hinzu, der Iran hätte keine Diplomatie, sondern nur Ideologie.
Die eindeutigste Warnung kam Anfang April 2022 von Hossein Alaei, dem Ex-Vizeverteidigungsminister. Russland sei im Ukrainesumpf tief versunken und ziehe auch den Iran mit sich in diese Tiefe, so Alaie, ein altgedienter Militär, der zur Zeit an der Militärhochschule Imam Hossein lehrt. Der Unterschied sei, dass Russland sich irgendwann aus diesem Sumpf erheben werde, während die Islamische Republik für immer darin verschwinde, so Alaie weiter.
Heshmatollah Falahat Pischeh, der Ex-Vorsitzender des Ausschusses für nationale Sicherheit im Parlament, twitterte am vergangenen Montag: «Wieder einmal hat Russland uns hinters Licht geführt, und das ist nicht das erste Mal in der Geschichte für die Art und Weise, wie die Supermacht an unserer Nordgrenze mit uns umgeht.»
Die Unterwerfung ist vollzogen
Doch diese Warnungen kommen zu spät. Der Zug ist abgefahren. Ali Khamenei hat längst seine Entscheidung getroffen, die er offen und unmissverständlich in Putins Anwesenheit in Teheran verkündete anlässlich der ersten Reise des Kremlchefs nach seinem Angriff auf die Ukraine.
Putins Besuch bei Khamenei war ein Meilenstein in den russisch-iranischen Beziehungen. Er wollte von Anfang an die Islamische Republik in seinen Ukrainekrieg hineinziehen, und er war darin erfolgreich. Khamenei war stets bereit, sich der Grossmacht auszuliefern. Denn seine Macht ist durch zahlreiche innen- und aussenpolitische Krisen gefährdet, und Russland tritt als Garantiemacht für ihn und seinen Nachfolger auf, auch und vor allem für die Zeit nach seinem Ableben.
Strategische Koalition war das Schlüsselwort dieses Besuches. Gemeinsam gegen westliche Sanktionen zu arbeiten, auf dem Welt-Ölmarkt keine Rivalen zu sein und eine langfristige militärische Zusammenarbeit einzugehen: So stellte damals Kremlsprecher Peskow diese Strategie vor, und genauso läuft es seit damals.
Khameneis Lob für Putins Ukrainekrieg
«Mit Ihrer Initiative in der Ukraine sind Sie der Nato zuvorgekommen. Hätten Sie nicht gehandelt, hätte die Nato wegen der Krim einen Krieg vom Zaun gebrochen. Westliche Machenschaften haben zur Zerstörung der Sowjetunion geführt, doch Ihre entschlossene Führung brachte Russlands Stärke zurück», sagte Khamenei bei seiner Audienz für Putin. Kein Spitzenpolitiker der Welt, nicht einmal die Diktatoren in Belarus oder Nordkorea, haben den Ukrainekrieg öffentlich so belobigt.
Für diese Unterwerfungspolitik hat Khamenei einflussreiche Jasager um sich versammelt. Zu ihnen zählt Ali Akbar Velayati, der langjährige Aussenminister, der als engster aussenpolitische Berater Khameneis gilt, ferner die Spitzenkommandanten der Revolutionsgarden sowie Mohammad Bagher Ghalibaf, der Parlamentssprecher. Und für einfache Gemüter, die sich fragen könnten, warum es diese Nähe zu einem gottlosen Machthaber gibt, hatten Khameneis Propagandisten einen absurden Vergleich:
Nur 24 Stunden nach Putins Abreise aus Teheran verglich die Webseite Jawan, das Organ der Revolutionsgarden, Wladimir Putin mit Khalid Ibn Walid, jenem berühmten Heerführer, der mehr als hundert Schlachten gegen zahlenmässig überlegene Streitkräfte der Supermächte von damals – Römer, Perser samt ihrer Verbündeten – führte. Putin sei das beste Beispiel in der modernen Zeit für eine Verwandlung vom Saulus zum Paulus. Auch Khalid Ibn Walid sei einer der gefährlichsten Feinde des Propheten gewesen, bevor er zum Ritter des Islam und dem Helden aller Moslems wurde. Tatsächlich wird Khalid Ibn Walid noch heute in vielen islamischen Länder verehrt. Es gibt kein arabisches Land ohne eine wichtige Strasse oder Institution mit dem Namen Khalid Ibn Walid.
Mit diesem gewagten Vergleich suggerieren die Revolutionsgarden zweierlei: Khamenei habe in der heutigen Welt eine ähnliche Mission wie einst der Prophet, und Putin habe sich vom Feind zum Freund verwandelt und kämpfe gegen die islamfeindlichen Supermächte unserer Tage.