Unsere ausgebaute direkte Demokratie ist europaweit einzigartig. Sie sorgt dafür, dass Regierung und Parlament nicht zu mächtig sind und sich laufend dem Dialog mit der Stimmbevölkerung zu stellen haben. Wichtige Entscheide werden mittels Referenden zwar selten rückgängig gemacht, aber doch zu Recht hinterfragt. Gelegentlich kommen an der Urne dennoch Anliegen durch, die dem Mainstream des Politbetriebs völlig widersprechen – so z. B. die Masseneinwanderungsinitiative, das Minarettverbot oder das EWR-Nein.
Hier zeigt die Erfahrung: Hat sich in solchen Fällen der in- und ausländische Aufruhr erst einmal gelegt, werden die entsprechenden Verdikte vom politischen System in der Regel gut verdaut, und die nachfolgenden Kompromisse erweisen sich oft als tragfähig, so auch die erst in mehreren Anläufen geglückte Unternehmenssteuerreform.
Angemessen wären heute 400’000 Unterschriften
Die unterlegenen KV-Initianten monieren nun, das Initiativverfahren sei angesichts des Bevölkerungswachstums dringend anzupassen und stellen das Ständemehr – einmal mehr – zur Disposition. Vordringlicher wäre etwas anderes: Bei der Einführung des Instruments «Volksinitiative» im Jahre 1891 waren 50’000 Unterschriften nötig, was damals 7,8 Prozent der Stimmberechtigten entsprach. Hochgerechnet auf rund 5,5 Millionen Stimmbürger wären gegenwärtig aber etwas mehr 400’000 (!) Unterschriften für das Zustandekommen einer Volksinitiative nötig.
Die sukzessiv kleiner werdende Hürde von 100’000 Unterschriften beschert uns mittlerweile eine regelrechte Flut von Initiativen verschiedenster Gruppierungen. Selbst unbedeutende Parteien erhalten dadurch ein praktisches Instrument zur politischen Profilierung, in Wahljahren mehr als Gold wert! So kommen auch exotische Anliegen zur Abstimmung («Hornkuhinitiative»), und selbst der Initiativtitel darf werbewirksam gestaltet werden: Wer ist nicht gegen «Abzocker», wenn gleichnamiges Volksbegehren rasche Besserung verspricht.
Intransparente Hilfe auch durch NGOs und die Kirchen
Insbesondere die Linke beschwert sich meist lautstark – und nicht zu Unrecht – über das finanzielle Engagement zahlreicher Lobbyorganisationen im Abstimmungskampf sowie die mangelnde Transparenz der Mittelflüsse. Sie verkennt dabei, dass sie in letzter Zeit selbst massiv am Aufrüsten ist. Unterstützt wurde sie von über 100 gemeinnützigen Institutionen, die – im Gegensatz zu den politischen Parteien und Interessenverbänden – steuerbefreit sind. Woher stammen eigentlich deren 10 Millionen Werbemittel?
Ob in konkreten Fällen auch Spenden für den Abstimmungskampf zweckentfremdet worden sind, lässt sich aus den NPO-Geschäftsberichten leider nicht herauslesen. Auf Bundesebene ist das Thema Transparenz zwar angekommen, doch der Ausgang der gleichnamigen Initiative ist völlig offen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verlangt zu Recht, dass Zuwendungen von über 10’000 Franken offengelegt werden, und zwar auch Naturalspenden und unentgeltliche Leistungen.
Gemessen an vergleichbarer Werbefläche waren alleine die unzählig von den Landeskirchen zur Verfügung gestellten Fassaden wahrscheinlich Millionen wert. Es kommt dazu, dass die Kirchgemeinden steuerfinanziert sind und in politischen Fragen – wie der Bundesrat übrigens auch – eher ausgewogen, statt einseitig-polarisierend Position beziehen sollten. Wären sämtliche Kirchmitglieder vorher konsultiert worden, wären vermutlich weit weniger orange Fahnen an den Kirchtürmen gehangen. Mit dem Konzernbashing erweisen sich die betroffenen Kirchgemeinden angesichts knapper werdender Finanzen selbst einen Bärendienst: Kirchenaustritte streben neue Rekorde an und wirtschaftsfreundliche Kreise fordern einmal mehr, die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen gänzlich abzuschaffen.
Anpassung – nicht Abschaffung
Die zurückliegende Abstimmung zeigt: Es ist höchste Zeit, die beiden Instrumente unserer direkten Demokratie den heutigen Gegebenheiten anzupassen. Höhere Hürden für Volksinitiativen und Referenden haben nichts mit deren Abschaffung zu tun, sondern sie dienen der Eindämmung von Missbrauch wie persönlicher Profilierung. Qualität geht vor Quantität: Es bringt doch nichts, die Stimmbürger unzählige Male zur Urne zu rufen und dadurch minimale Stimmbeteiligungen sowie Zufallsergebnisse in Kauf zu nehmen! Es wird sich zeigen, ob der Einfluss der Lobbyorganisationen durch weitergehende Transparenzgebote zurückgebunden werden kann, ein Versuch ist es allemal wert.
Hans Rudolf Schärer hat Mathematik und Volkswirtschaft studiert und war bis zu seiner Pensionierung Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).