Für einmal sei ein Statement in eigener Sache erlaubt: Als ich im Jahr 2001 das Manuskript zu meinem ersten Buch *) schrieb, waren Begriffe wie Whistleblowing, Daten-Leak, PanamaPapers unbekannt. 15 Jahre später titelt die NZZ: „Neue Realitäten – Das Globale Dorf wird transparenter, nicht alles Legale bleibt legitim“. Besser späte Einsicht als nie.
Aus Himmel wird Hölle
Steueroasen werden im angelsächsischen Raum „tax-havens“ genannt. Als 2010 erstmals über Whistleblower geheime Bankdaten aus der Schweiz ins benachbarte Ausland flossen, war die Aufregung vielerorts gross. Sechs Jahre später bezeichnet der Economist die unter dem Begriff PananaPaters publik gewordenen Steuervermeidungspraktiken Privater und Konzerne als „Leak of the century“ (Jahrhundertleck), das einen Blick ins trübe Geschäft der „Off-shore-tax-havens“ erlaubt. Weltberühmt wurde 2013 auch Edward Snowden, der US-Geheimdienstdaten publik machte. Von Dieben und Diebstahl ist und war die Rede, doch hier interessiert etwas ganz anderes: Im Zeitalter von Big Data und Internet erhält der Begriff „geheim“ eine neue Dimension: geheim auf Abruf.
Mit Sicherheit stehen wir erst am Anfang einer Kaskade von Datenlecks (wie der Fall Ruag im Mai 2016 zum Leidwesen der „besten Armee der Welt“ auch bestätigt). Die Welt verändert sich. Eine immer besser informierte Zivilgesellschaft will wissen, was sie bisher nicht wissen durfte. Und so geraten Staatsoberhäupter, Privatpersonen, globale Konzerne, Grossbanken und international tätige Anwaltsbüros von einem Tag auf den andern ins grelle Rampenlicht. Eben noch wähnten sich diese Players im (Steuer-)Himmel, nun braten sie in der (Öffentlichkeits-)Hölle.
Diebstahl oder Dienst an der Öffentlichkeit?
Wenn also geheime Steuerhinterziehungs-Daten – Verfechter dieses Prinzips sprechen dann von legalen Steueroptimierungs-Daten – an die Öffentlichkeit geraten, stellt sich die Frage: gemeiner Diebstahl, mit Gefängnis zu bestrafen, oder legitime Aufklärungsaktion im Dienste der betroffenen Zivilgesellschaft? „Die Zeit“ fragt sich, ob – als Banken im Zuge der Finanzkrise durch die Steuerzahler mit Milliardensummen vor dem Zusammenbruch gewahrt werden mussten – diese geretteten Banken gleichzeitig oder anschliessend, „dem Staate mobiles Kapital vermögender Kunden durch Briefkastenfirmen vorenthalten“, am Anfang einer Kette von Missverständnissen stünden? Dass die Staatengemeinschaft mittlerweile diesen Briefkastenfirmen als Geschäftsmodell den Kampf angesagt hat, ist deshalb weitgehend selbst verschuldet und direkte Folge des internationalen Transparenz-Verständnisses.
„Endlich Panama!“, titelt das Blatt. „Dass nun ausgerechnet eine undichte Stelle Informationen aus Panama, der letzten, unverbesserlichen Hochburg des schmutzigen Geldes, heraussickern lässt, ist für Pross [Steuerexperte der OECD] eine Botschaft an alle: Wer nicht mit ihm und der Weltgemeinschaft kooperiert, muss mit Leaks rechnen. Niemand entkommt.“
Schweiz: Taube Ohren im Parlament
Vermehrte Transparenz ist ein Gebot der Zeit. Doch National- und Ständeräte sowie Bundesverwaltung stellen sich weiterhin taub. Das Volk („der Souverän“) darf nicht wissen, wer unsere politischen Parteien finanziert, wie unser sehr aktives Lobbying im Bundeshaus funktioniert, welche brisanten Informationen dem Publikum vorenthalten werden. Beginnen wir bei letzterem:
Obwohl wir längst ein „Umkehr-Gesetz“ angenommen haben, das Beschlüsse „im Prinzip öffentlich, statt geheim“ erklärt, mauert gemäss Sonntagszeitung der Bund, um so wichtige Informationen zurückzuhalten. Zwar scheint die freie Einsicht zu Akten und Informationen gesichert (die „Sonntagsrede“), doch verlangen einzelne Verwaltungsstellen oft abschreckend hohe Gebühren oder beauftragen gar mit Steuergeldern bezahlte Anwälte damit, den Zugang zu einem Dokument zu verhindern.
„Praktisch alle Versuche, das Zusammenspiel von parlamentarischen und externen Lobbyisten zu professionalisieren, sind im Parlament bisher abgeblockt worden“, lesen wir in der NZZ, die von „heimlifeissen Lobbyisten“ spricht. Transparente Akkreditierungsverfahren zu schaffen, welche Spielregeln und Sanktionsmöglichkeiten offenlegen, stossen auf taube Ohren. Die Vorbehalte gegen eine überfällige Öffnung sind fadenscheinig.
Das bestgehütete Geheimnis in unserem Politbetrieb bleibt unangetastet: Wer finanziert eigentlich unsere politischen Parteien? Eine neue „Transparenz-Initiative“ will da via Volksabstimmung Klarheit schaffen. Sie verlangt, dass politische Spenden über 10‘000 Franken offengelegt werden müssen. Das Polit-Establishment ist vehement dagegen. Geradezu grotesk ist das Argument des Bundesrates, eine diesbezügliche Regelung vertrage sich nicht mit der föderalistischen Tradition. Bürgerliche Parteien ahnen, gemäss „Tages-Anzeiger“, dass Transparenz ihre Spender abschrecken könnte. In einer Vimentis-Umfrage „Volksmeinung 2016“ sprachen sich allerdings 75 Prozent des befragten Volkes für eine Offenlegung solcher „Spenden“ aus.
Spitze des Korruptions-Eisbergs
Walliser Bauunternehmer bemängeln gemäss NZZ, dass bei der Offertenöffnung in der Astra (Aussenstelle des Bundesamtes für Strassen) nicht genügend Transparenz herrsche. Seit März 2016 sitzt ihr Leiter wegen Bestechungsverdachts in Untersuchungshaft und die Gerüchte jagen sich. Der Korruption wird durch solche Praktiken Vorschub geleistet.
Nicht gross erstaunen mag die Mitteilung im gleichen Beitrag, dass die Gemeindebehörde und die kommunale Baukommission in Verbier in 15 Fällen in flagranter Weise gegen Gesetze und Vorschriften verstossen haben. Baukommission und örtliche Immobilien- und Baubranche sind gemäss Expertenbericht „sehr eng“ verflochten. Erstaunen mag vielmehr, dass solche Machenschaften in anderen Gemeinden noch wenig ans Licht der Öffentlichkeit dringen.
Folgen der Intransparenz
Mangelnde Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit hat System, gerade auch in der Schweiz, wo „Traditionen“ hochgehalten werden. Doch nicht alle dieser Traditionen verdienen es, gepriesen zu werden. Eine kleine, nicht repräsentative Auswahl aus Medienberichten des Monats April 2016 – Zeitraum ein Monat – zeigt folgendes:
Die PanamaPapers offenbaren, dass unter anderem Meisterwerke der Kunst im Genfer Zollfreilager versteckt werden. So wurde publik, dass ein 25 Millionen schwerer Modigliani, geraubt von den Nazis, versteckt mit Offshore-Firmen, in Genf eingelagert ist. Das Problem der „boomenden Bunker“, wie Zollfreilager auch genannt werden, ist seit längerem bekannt. Dass sie auch als Depots für unversteuertes Vermögen gebraucht werden, ist nur zu offensichtlich. Gelagert werden dort Luxusgüter, Edelsteine und unbezahlbare Spitzenweine aus dem Bordeaux. Der Bund hat mittlerweile versprochen, „sich mit der Angelegenheit zu befassen“ – Frage bleibt, ob „dieser Goldesel nicht durch zu viel Transparenz von der Weide vertrieben würde“ (TA).
Gemäss einer löblichen, weil transparenten Statistik des Seco wissen wir, dass Walliser Baufirmen und Tessiner Hotels ihre Angestellten auf Staatskosten überwintern lassen (TA). Die relevanten Arbeitslosenzahlen klettern alljährlich vorübergehend auf hohe Werte. Am Beispiel Ascona lässt sich das anschaulich beobachten. Längs der berühmten Piazza sind einzelne Hotels/Restaurants während der sechs Wintermonate geschlossen. Andere (meist im Besitz von Deutschschweizern oder Deutschen) bleiben im gleichen Zeitraum geöffnet und arbeiten gut bis sehr gut. Ist die Winterarbeitslosigkeit von der Einstellung des Patrons abhängig?
Neue Abgastricks der Autoindustrie
Nach dem VW-Abgasskandal sickert jetzt durch, was längst kein Geheimnis mehr war. Auch andere Hersteller tricksen bei der Messung des Schadstoffausstosses. Doch erneut schweigt Bundesbern. Es werden keine diesbezügliche Erkenntnisse veröffentlicht. Wider besseres Wissen wartet man ab, was aus Deutschland publik wird. Gelebte tägliche Intransparenz.
Die Hersteller beteuern, dass die EU-Norm eine Abschaltung der Abgasreinigung erlaube, „um Motorschäden vorzubeugen“. Es darf gelacht werden. Derweil man im Astra (Bundesamt für Strassen) die brisante Entwicklung mit Aufmerksamkeit beobachtet (!), verlautet aus Japan, dass Mitsubishi die offiziellen Angaben zum Treibstoffverbrauch ihrer Autos gefälscht hat. Auch dieses Bekenntnis wird nicht Unikat bleiben – neue Transparenzgebote werden zur Folge haben, dass alle Autohersteller umdenken müssen.
Geheimhaltung der TTIP-Verhandlungen
Greenpeace veröffentlichte Ende April 2016 geheime Verhandlungsdateien zwischen den involvierten Partnern des beabsichtigten Transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP. Die von den Teilnehmern repräsentierten Zivilgesellschaften sollten nicht wissen, worüber genau verhandelt wird. Auch hier wird das vorgebrachte Geheimhaltungskonzept obsolet – es ist schlicht unzeitgemäss. Ausgehebelt werden sollen das demokratische Mitbestimmungsrecht und die Souveränität der Länder. Ob diese dem vorgesehenen Freihandel überhaupt je zustimmen? Um dies entscheiden zu können, sollten sie rechtzeitig, nicht erst nach Abschluss der Verhandlungen, informiert werden.
Ein neues Transparenz-Verständnis von Bürgerinnen und Bürgern wird alte, überholte Regeln zu Grabe tragen. Wissende Menschen sind informierte Menschen. Das Zeitalter der Geheimniskrämerei ist Vergangenheit.
*) Die Glaskugel-Gesellschaft – Transparenz als Schlüssel zur Moderne. Simowa Verlag, Bern 2002, ISBN 3-908152-11-9