Der Vorfall ereignete sich erst vor kurzem und stützt die These von Jonathan Alter. Das Weisse Haus hatte erfahren, der konservative TV-Sender Fox News werde ein Video ausstrahlen, das eine schwarze Regierungsangestellte aus Georgia als Rassistin hinstelle. Wenige Stunden vor der Sendung erfuhr die Beamtin aus dem Weissen Haus, Fox News werde die Angelegenheit gegen die Regierung Obama ausschlachten, weshalb ihre Entlassung unumgänglich sei. Die Vorhersage war richtig, aber sonst war alles falsch. Das Video war manipuliert und stammte von einem Blogger, der zur rechtskonservativen, populistischen Tea-Party Bewegung gehört. Weder Fox-News noch das zuständige Landwirtschaftsministerium noch das Weisse Haus hatten es für notwendig empfunden, die im Video aufgestellten Behauptungen zu überprüfen und die Beschuldigte zu befragen.
Der Fall ist zweifellos ein Lehrstück ueber den Skandalisierungsjournalismus von heute und zeigt, wie gefährlich es ist, übers Internet verbreitete Behauptungen ohne Nachrecherche einfach zu übernehmen. Wo aber, so die zentrale, politische Frage, waren Obamas „Beste und Klügste“ , die so einfache Regeln missachteten ?
Glaubwürdiger Kritiker
Jonathan Alter wirft einen kritischen Blick in das Innenleben von Obamas Weissem Haus. Der Kolumnist von Newsweek ist ein Anhänger Obamas und gerade deshalb ein glaubwürdiger Kritiker. Er sieht die wichtigsten Ursachen für das bisher enttäuschende Abschneiden der mit (zu) hohen Erwartungen verbundenen Regierung nicht bei den Gegnern Obamas sondern im Beraterstab des Präsidenten und bei Obama selber.
Für den Autor ist Obama ein "Produkt der grossartigen Leistungsgesellschaft der Nachkriegszeit."Die gleiche Welt, die seinen Aufstieg an die Spitze ermöglicht habe, so analysiert Alter Obamas Widerspruch, habe ihn aber auch geblendet und unfähig gemacht, aus dieser Welt auszubrechen. Es sei nur folgerichtig, dass Obama aus eben diesem Milieu seine engsten Mitarbeiter rekrutiert habe. Es handelt sich um "breit abgestützt Analytiker, die fähig sind, riesige Mengen von komplexem Material zu absorbieren und es praktisch und geistreich anzuwenden." Fast alle Berater seien Absolventen der gleichen Eliteschmieden der amerikanischen Meritokratie mit hervorragenden Abschlüssen. Obamas Alma Mater ist Harvard, die älteste Universität der USA, die sich in ihrem Wappen zum anspruchsvollen Wahlspruch "Veritas" bekennt.
Falle der Arroganz
Kein Zweifel. Für Alter besteht ein riesiger Unterschied zu den Ideologen und Falken, die zur Zeit der Administration Bush das Weisse Haus beherrschten. Obamas Weisses Haus befinde sich heute aber in einer anderen Falle. Der Autor bezeichnet sie als "Falle der Arroganz der Besten und Klügsten". Trotz ihrer Klugheit und Ueberlegenheit, und das sei das Schlimmste, seien sich Obama und seine Leute zu wenig bewusst, dass diese Falle existiere.
Wenn Obama so klug ist, warum denn, so fragt Alter, werden die USA in Afghanistan zur Geisel des korrupten afghanischen Präsidenten Hamid Karzai ? Warum dauerte es fast 60 Tage bis Obama in einer Rede aus dem Oval Office zur grössten Umweltkatatsrophe in den USA Stellung bezog ? Warum ist die Meinung so weit verbreitet, diese Administration rette Wall Street auf Kosten jener, die in der Wirtschaftskrise am meisten gelitten hätten ?
Einen hohen Grad an "Kurzsichtigkeit für die reale Welt" diagnostiziert Alter bei Obamas engsten Wirtschaftsberatern, Lawrence Summers und Timothy Geithner. Beide seien sehr eng mit jener Finanzwelt liiert, die für die Krise verantwortlich sei. Obama habe leider nie daran gedacht, einen Vertreter der realen Wirtschaft ausserhalb des Ostküstenestablishments ins Weisse Haus zu holen. Das erkläre, warum die Regierung die Gefahren der Arbeitslosigkeit und des populistischen Zorns (Tea Party) unterschätzt habe, der im Land Urstände feiere.
Obamas anfängliche Idee, für den Bereich Finanz und Wirtschaft einen Beraterstab mit unterschiedlichen, rivalisierenden Ansichten zu bilden, sei von Summers blockiert worden.
Nur nach Insistieren des Präsidenten sei im April 2009 eine Gruppe von Wirtschaftsexperten mit anderen Ansichten, darunter Paul Krugman, Joseph Stiglitz und Paul Volcker, zu einem Arbeitsessen eingeladen worden. Die Vorschläge dieser Experten für weitergehende Reformen und strengere Kontrollen des Finanzsektors seien aber nicht umgesetzt worden. Dem "Gatekeeper" (Torwächter) Summers sei es gelungen, den Präsidenten von "solch langweiligen Leuten" abzuschotten.
Die richtige Antwort – aber für wen?
Die entscheidende Schwäche von Obamas "Besten und Klügsten" sieht Alter in dem bei Amerikanern tief sitzenden Glauben , mit genug Analyse gebe es für jedes Problem immer eine richtige Antwort. Aber die richtige Antwort für wen ? Das sei die entscheidende Frage, meint Alter. Was nützen in Washington ausgedachte grandiose Analysen, die, mit Afghanistans Realität konfrontiert, in sich zusammenfallen ?
Bezeichnend ist für Alter die Tatsache, dass Obamas bisher grösster Erfolg , die Gesundheitsreform, nur deshalb möglich gewesen sei, weil sich der Präsident in diesem Fall gegen die Skepsis seiner engsten Berater David Axelrod und Rahm Emanuel durchgesetzt habe. Obama, so folgert Alter, müsse die „Kurzsichtigkeit“ in seinem eigenen Stab korrigieren und Leute mit breiterem Blickwinkel ins Team berufen, wenn er seine Präsidentschaft deblockieren wolle.
Nach dem peinlichen Vorfall mit der schwarzen Beamtin hatte sich Obama beim Opfer entschuldigt. Anstatt sich nur zu entschuldigen, so der Vorschlag eines Kommentators, hätte Obama der schwarzen Beamtin besser eine Stelle als Beraterin im Weissen Haus angeboten. So hätte der erste schwarze Präsident der USA endlich einen besseren Draht zu jener Welt bekommen, die ihm und seinen Beratern offensichtlich noch fremd sei.
Jonathan Alter. The Promise. Simon and Schuster. New York. 2010 $ 28.00