«Wars, Societies and Neon»: So der Titel der Installation der walisischen Künstlerin Bethan Huws in der Krypta des Zürcher Grossmünsters. Sie reagiert präzis und vielschichtig auf Geschichte und Geist des Ortes.
Die Krypta des Zürcher Grossmünsters ist düster. Die wenigen schmalen Fenster lassen nur wenig Licht in den von Säulen in drei Schiffe unterteilten Raum einfallen. Zudem sind Wände und der Steinplattenboden dunkelgrau, und die Details der monumentalen Statue des sitzenden Karls des Grossen sind in der Dämmerung kaum zu erkennen. Sie entstand um 1460 und erinnerte am Gossmünsterturm an die Legende vom Kaiser als Gründer der Zürcher Hauptkirche. Anstelle des Originals blickt heute eine Kopie vom Turm auf die Stadt.
Betritt man aber in diesen Tagen den dunklen Raum des Münsters, so nimmt man in der Krypta unter dem Chor intensiv farbige und so gar nicht mittelalterlich anmutende Lichter wahr. Offenbar griff da jemand selbstbewusst ein in die archaisch anmutende Situation: «Wars, Societies and Neon» betitelt Bethan Huws (geboren 1961) ihre künstlerische Intervention, zu der sie eine Arbeitsgruppe (Münster-Pfarrer Martin Rüsch, Marc Bundi, verantwortlich für Beziehungen und Interreligiösen Dialog der reformierten Kirche des Kantons Zürich, Angelika Affentranger-Kirchrath, Kunsthistorikerin) eingeladen hat. Die Einladung erfolgte im Rahmen des mehrjährigen Programms «Kunst in der Krypta des Grossmünsters Zürich», das jeweils um das Jahresende in der Krypta Künstlerinnen und Künstler zu Wort kommen lässt.
Kampf und Deeskalation
Bethan Huws erarbeitete ihre Installation aufgrund genauer Recherchen über den historischen und auch spirituellen Ort. Vor allem setzte sie sich mit Themen auseinander, die schon zur Zeit der Romanik die Menschen so beschäftigen, dass sie ihren Niederschlag in den Bildwerken – in Kapitell-Reliefs vor allem – fanden. Im Zentrum ihrer Arbeit steht eine sechsfigurige Kampf-Szene an einem der Pfeiler des Grossmünsters. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert und zeigt sechs Männer in einer schwer zu deutenden Szene: In der Mitte sticht ein Bewaffneter auf einen Kontrahenten ein, der mit seinem Schwert zurückschlagen will. Doch daran hindert ihn ein waffenloser Mann, der seinen Arm zurückhält. Auf der rechten Seite der Darstellung sind zwei Männer – ebenfalls ohne Waffen – in ein Gespräch vertieft. Eine mögliche Interpretation aus heutiger Sicht könnte sein: Im Zentrum tobt ein Kampf, doch die beiden seitlichen Männer-Paare bemühen sich um Deeskalation.
Bethan Huws gibt dem «Guido-Relief» (so wird es genannt, weil das erhobene Schwert mit diesem Namen versehen ist), das die Kirchenbesucher im schattigen Kircheninneren kaum bemerken, in der Krypta eine ganz neue Dimension. Zum einen vergrössert sie das Kleine ins Riesige. Zusätzlich intensivieren die leuchtenden Farben der Neon-Zeichnung die Präsenz der Szene. Die Künstlerin will damit kaum eine eigene neue Interpretation des mittelalterlichen Werkes anbieten, wohl aber fesselt sie Besucherinnen und Besucher der Krypta und lässt sie nach dem fragen, was die sechs Männer im Schilde führen. Sie eröffnet damit unserem Denken einen Raum. Eine zusätzliche Aktualisierung erreicht sie damit, dass sie die Gesichter, die auf dem Relief individuell und fast wie Porträts gestaltet sind, anonymisiert. Sie sind leer und damit eine Aufforderung an uns, die Leerstellen mit unserem Mitdenken und vielleicht auch unseren Emotionen zu füllen. Wegen der Säulen der dreischiffigen Krypta haben die Besucherinnen und Besucher nie einen vollständigen Überblick über das Geschehen um die sechs Männer. Auch das ist ein bewusst gewähltes Vorgehen der Künstlerin: Wollen wir das Ganze und die Zusammenhänge seiner Teile erkennen, müssen wir uns im Raum bewegen. Es ist, als ob Bethan Huws uns damit nicht nur physisch, sondern auch geistig in Bewegung versetzen möchte.
Diese Kampf- oder Deeskalationsszene platzierte Bethan Huws vor der Ostwand der Krypta, genau Karl dem Grossen gegenüber. Das ist zweifellos ein mit Absicht inszenierter Gegensatz: An der Ostwand ist von der friedlichen Beilegung von Konflikten die Rede, im Westen thront der Kaiser, der ja nicht gerade als Friedensfürst in die Geschichte eingegangen ist, obwohl er der Legende nach das Grossmünster gegründet haben soll.
Das Gerangel der Fabelwesen
Vor der Nordwand der Krypta leuchtet – fast durchwegs in grellen Farben der Orange-Gelb-Skala – eine Tierszene.
Auch sie fusst auf einer mittelalterlichen Plastik im Grossmünster-Ensemble. Sie befindet sich im Kreuzgang und zeigt Auseinandersetzungen zwischen teils angeketteten Tieren oder Misch- und Fabelwesen.
Die Szene schwankt zwischen Spiel und Kampf, wie er in der romanischen Bauskulptur häufig anzutreffen ist. Affen? Löwen? Eines der Wesen laust sich in typischer Affen-Geste, andere erinnern an Löwen, doch die untern Gliedmassen gleichen jenen von Menschen. In solchen Bildern mag sich auch Freude an Gewaltdarstellungen oder an Exotik zeigen: Löwe und Affen waren ja im 12. Jahrhundert keine alltäglichen Erscheinungen. Der Löwe signalisierte Macht, Überlegenheit und Tapferkeit, aber auch jene Gewalt, ohne die Macht nicht durchzusetzen ist. Der Affe – bekannt waren vor allem die Meerkatzen – stand für das Böse, da er alles nachäffte, für Eitelkeit, für Triebhaftigkeit. Oder er galt als ein Symbol des Teufels. Die Deutungen waren allerdings kontrovers; auch der Löwe musste hin und wieder als Symbol des Teufels herhalten.
Das alles im Sakralraum? Gegenfrage: Warum nicht? Der mittelalterliche Sakralraum ist, wie auch die Buchmalerei, offen und tolerant. Die Grenzen zwischen Sakralem und Profanem sind nicht exakt gezogen. Die Gegensätze stehen nebeneinander. Die ganze Welt ist einbezogen in die Bildprogramme. Aus dem Widerspruch ergibt sich oft ein Ausblick in den grossen Raum der Freiheit. Bethan Huws öffnet ihre Kunst diesem Spiel und geht hier ähnlich vor wie im Werk vor der Ostwand. Sie vergrössert das vorgegebene Bild so, dass seine Wirkung weit über das Anekdotische oder Dekorative hinausweist. In der Krypta gewinnt das im Kreuzgang fast miniaturhaft kleine Bildwerk eine Monumentalität, der man sich schwer entziehen kann. Die Künstlerin zeichnet das graue Relief in intensiven Farben nach: Das ist ein Verweis auf die ursprüngliche Farbigkeit der mittelalterlichen Bauplastik und zugleich eine Aktualisierung: Die feinen und doch scharf wirkenden Neonlinien übertragen das mittelalterliche Tiermotiv in unsere unmittelbare Gegenwart.
Gegenwart im Traditionskontext
Bethan Huws Arbeiten in der Krypta entwickeln eine Kraft, die sich in den ganzen Raum des Grossmünsters ausweitet. Damit erhalten Kunst und Bildsprache der unmittelbaren Gegenwart im traditionsreichen architektonischen Kontext einen hohen Stellenwert. Das entspricht einem wichtigen Anliegen der Arbeitsgruppe «Kunst in der Krypta des Grossmünsters Zürich», die damit weiterführt, was bereits vor Jahrzehnten mit den sprühend leuchtenden Glasmalereien Augusto Giacomettis von 1932 im Chor begann und in den inhaltlich dichten und formal und technisch exzellenten Glasmalereien von Sigmar Polke von 2009 im Schiff noch eine Steigerung erfuhr. Auch für Marc Bundi, der die Installation Bethan Huws‘ als Kurator begleitete, zeigen die Arbeiten Polkes ein Niveau an, das für die Arbeitsgruppe Massstäbe setzt. Das zeigt sich auch in der Liste der Künstlerinnen und Künstler, die bis anhin beteiligt waren. Sie fanden zu einer eigenständigen und unverwechselbaren Sprache ihrer Kunst und traten, gerade weil sie keine Kompromisse eingingen, in einen Dialog auf Augenhöhe mit der architektonischen und spirituellen Situation des Ortes. Folgende Künstlerinnen und Künstler waren bisher in der Grossmünster-Krypta tätig: Bruno Jacob, Mario Sala, Judith Albert, die Frères Chapuisat, Mirko Baselgia und Lena Amuat & Zoe Meyer.
Die Reihe hat einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. So ist es verständlich, dass sich manche Künstlerinnen und Künstler bei der Kommission melden und sich um eine Teilnahme bewerben. Ebenso verständlich ist aber, dass die Kommission auf Bewerbungen nicht eintritt, sondern selber aktiv nach möglichen Projekten Ausschau halten will, um dem Projekt eine klare Linie zu geben. Diese Linie einzuhalten erfordert von den Künstlern Kompetenz im Umgang mit vorgegebenen Raumsituationen und entsprechende Erfahrungen und überdies Sinn für spirituelle oder religiöse Dimensionen. Aber auch die Kirche ist gefordert, denn sie hat sich auf eine für sie wohl ungewohnte Sprache einzulassen und die Freiheitsbedürfnisse der Kunst zu respektieren. Die Reihe der temporären Interventionen in der Krypta des Grossmünsters zeigt, dass ein gegenseitiges Aufeinander-Zugehen möglich ist und zu Resultaten führen kann, die für beide Teile und damit auch für eine auf Offenheit angelegte Gesellschaft sinnstiftend sind.
Bethan Huws, geboren 1961 in Bangor (Wales), studierte in den 80er Jahren am Royal College of Art in London. Sie lebte in Paris, bis sie 2009 nach Berlin zog. Sie hatte Ausstellungen in zahlreichen bedeutenden Institutionen in ganz Europa. Auch in der Schweiz war ihr in Einzelausstellungen zu begegnen (Kunsthaus Zug, Kunsthaus St. Gallen, Kunstmuseum Winterthur, Kunstmuseum Bern). Wichtige Arbeiten im öffentlichen Raum befinden sich in Zug und in Winterthur.
Bis 27. Februar. Täglich 10 bis 17 Uhr