Die grossen Häupter dieser Welt wissen: "Die Medien haben schon einen Nachruf über mich bereit. Ich muss nur noch sterben - und schon ist er veröffentlicht.“
Alle wichtigen Medien haben eine Würdigung über Mandela, Merkel, Putin und all die andern vorbereitet. Es gibt Leute, die finden das pietätlos.
Zeitungen, Fernseh- und Radiostationen, die keine Nachrufe bekannter Persönlichkeiten in der Schublade oder auf der Festplatte parkiert haben, sind nicht professionell.
In kurzer Zeit entsteht nichts Seriöses
Einen seriösen Nekrolog zu verfassen braucht Zeit. Die Journalisten müssen recherchieren, Leute befragen, Quellen abklopfen, Bilder zusammensuchen - und vielleicht auch dieses oder jenes Werk wieder lesen.
Wenn eine bedeutende Person am Abend stirbt, wollen die Leser, dass die Zeitung am nächsten Morgen eine Würdigung des Toten veröffentlicht. Oder wenn um 18.23 Uhr der Tod einer Persönlichkeit gemeldet wird, erwarten die Fernsehzuschauer, dass die Tagesschau um 19.30 Uhr einen Nachruf sendet.
Doch in so kurzer Zeit entsteht nichts Seriöses. Deshalb beginnen Redaktionen dann Nachrufe zu schreiben, wenn die entsprechende Person noch gesund und aktiv ist. Es wäre naiv zu glauben, dass man aus Pietätsgründen mit dem Schreiben eines Nachrufs erst nach deren Tod beginnt.
"Grabsteine"
Beim Fernsehen stehen die Video-Kassetten dieser Nachrufe in einem sogenannten „Giftschrank“. Die Romands nennen ihn „Frigo“, den Kühlschrank. Im Journalisten-Jargon heissen diese Würdigungen „Grabsteine“. Stirbt jemand, holt man die Kassette heraus, aktualisiert sie mit Todeszeit und Todesort, fügt noch dieses oder jenes Bild bei – und schon läuft das Stück auf dem Sender.
Die grossen Nachrichtenagenturen und Zeitungen beschäftigen spezielle Leute, die nur Nachrufe verfassen.
Oh Schreck - kein Nachruf
Politiker wissen das. Sie wissen auch: Wenn kein Nachruf über mich vorbereitet wird, bin ich nicht so wichtig. Natürlich möchte jede lebende Persönlichkeit wissen, was man denn nach ihrem Tod über sie sagt.
Als einmal ein wichtiger Politiker das Schweizer Fernsehen besuchte, kamen wir auf diesen „Giftschrank“ zu sprechen. Der Politiker schmunzelte und fragte schüchtern, ob wir denn auch einen „Grabstein“ für ihn bereithielten. Wir öffneten den Schrank und - oh Schreck: keine Würdigung über ihn. Der Herr Nationalrat war bekümmert.
"Necropedia"
Jetzt gibt es im Internet eine Plattform, die bietet sogenannte Voraus-Nachrufe an. Damit will man „vielbeschäftigten Journalisten“ helfen, jenen also, die in kurzer Zeit eine prominente Person würdigen müssen. "Necropedia" heisst die Plattform und wird in verschiedenen Sprachen angeboten.
Da heisst es zum Beispiel am heutigen 28. August: „Angela Merkel, geboren am 17. Juli 1954 in Kasner, war eine deutsche Politikerin. Sie starb am 29. August 2013, im Alter von 59 Jahren. Die unglaubliche Nachricht löste weltweit eine Welle des Schocks und Mitgefühls aus.“
Ein Computer setzt das angebliche Todesdatum jeden Tag auf den folgenden Tag.
"Der Tod schockiert Familie und Freunde"
Oder: „Nelson Mandela ist tot. Nelson Mandela, geboren am 18. Juli 1918 in Mvezo, war ein südafrikanischer Politiker. Er starb am 29. August 2013, im Alter von 95 Jahren. Die Nachricht verbreitete sich im Internet wie ein Lauffeuer.“
Oder: „Silvio Berlusconi, geboren am 29. September 1936 in Mailand, war ein italienischer Politiker. Er starb am 29. August 2013, im Alter von 76 Jahren. Die Nachricht ihres Todes schockierte Familie und Freunde rund um den Globus.
Berlusconi ist eine Frau
Die Personen sind nach den Vornamen geordnet, was schon unsinnig ist. Zudem kann die Maschine nicht zwischen weiblich und männlich unterscheiden. Berlusconi wird zur Frau. „Die Nachricht ihres Todes“.
Auch Obama ist eine Frau: „Barack Obama ist tot. Barack Obama, geboren am 04. August 1961 in Honolulu, war ein US-amerikanischer Politiker. Er starb am 29. August 2013, im Alter von 52 Jahren. Die Nachricht ihres Todes schockierte Familie und Freunde rund um den Globus. Barack Obama war mit Michelle Obama verheiratet.
Gibt man bei Google "Mandela" und "tot" ein, erscheint der Necropedia-Eintrag weit oben.
"Schande über euch"
Die Reaktionen sind vernichtend. Daniela van Meegeren schreibt: „Die widerlichste Webseite der Welt“. Ein Greg meint: „Schande über diese Seite, ein grosses Fuck an seinen Administrator“.
Den Machern der Seite kommt ihr Projekt doch etwas seltsam vor. Sie schreiben jetzt plötzlich „Dies ist keine Todesanzeige. Niemand ist gestorben“. Zwei Zeilen weiter steht: „Madonna ist tot“.
Eine „Gaby“ ist reingefallen. Sie hat eine Kondolenz-Botschaft zum angeblichen Tod von Nelson Mandela geschickt. Dann hat sie gemerkt, dass er lebt. Jetzt schreibt sie „...oooohhh mein Gott, wie kann man denn sowas machen, ich bin entsetzt!!! als ich das jetzt gelesen habe war ich zu geschockt & habe aus Versehen meinen "Kondolenz-Gruss" gepostet.“
Keine Würdigkung, keine Recherche, nix
Der grösste Unsinn der Seite besteht darin, dass sie gar keine Nachrufe enthält. Sie begnügt sich damit, Geburtsdatum und Geburtsort anzugeben – und die dämlichen Sätze: „Die unglaubliche Nachricht löste weltweit eine Welle des Schocks und Mitgefühls aus.“ Oder: „Die Nachricht ihres Todes schockierte Familie und Freunde rund um den Globus.“
Und fertig, keine Würdigung, keine Beschreibung des Lebens, keine Einschätzung, keine Recherche, nix. „Unnötig und ungesund“, meint ein Leser. „Unnötig“ bestimmt.
"Necro-Shitia"
Ruft man die Namen auf Wikipedia auf, erhält man eine detaillierte, oft wertvolle Beschreibung der Person. Bei Necropedia erhält man ausser einer banalen Allerweltsfloskel gar nichts.
Ein User schreibt: „Ihr seid echt das Letzte. Fuck you all necro-shitia“.