Die Eröffnung des Chipperfield-Baus hat wegen der darin gezeigten Sammlung Bührle das Kunsthaus und die Stadt Zürich in ein schiefes Licht gestellt. Ein neuer Vertrag zwischen Kunsthaus und Bührle-Stiftung behebt jetzt die Fehler der Kooperation.
Nach zwölfjähriger Planungs- und Bauzeit wurde am 9. Oktober 2021 der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses eröffnet. Nicht nur der Bau des britischen Stararchitekten David Chipperfield, sondern insbesondere die darin effektvoll inszenierte Sammlung Bührle sollten dem Kunsthaus und der Stadt Zürich einen kräftigen Prestigegewinn verleihen.
Das ging gründlich schief. Kunsthaus und Stadt gerieten zwar international in die Schlagzeilen, aber nicht in erhoffter Weise. Die Gründe für das PR-Desaster liegen in der Person des Waffenfabrikanten und Kunstsammlers Emil Bührle (1890–1956). Seine Sammlung, die zu den europaweit bedeutendsten gehört, enthält zum Teil Kunstwerke, deren Provenienz strittig ist.
Zudem ist Bührles Rolle im Zweiten Weltkrieg als Waffenlieferant des Dritten Reichs, obwohl in Übereinstimmung mit der damaligen Politik der Schweiz, aus heutiger Sicht skandalös. In der Nachkriegszeit versuchte Bührle als grosszügiger Mäzen des Kunsthauses seinen dubiosen Ruf aufzupolieren. Das ist ihm nicht gelungen, und es färbte immer schon auch auf die öffentliche Wahrnehmung des Kunsthauses ab. Dessen Abhängigkeit vom «Kanonenkönig» wurde vor allem in linken Kreisen als typisch gesehen für die Verlogenheit des Grosskapitals, das sein wahres Gesicht gern hinter Hochkultur versteckt.
Dieses Narrativ wurde durch den Deal der Bührle-Stiftung mit dem Kunsthaus von neuem virulent, und zwar etwa so: Stadt und Private bezahlen der Bührle-Stiftung einen Kunstpalast, damit diese ihre Schätze prestigeträchtig ausstellen kann. Im Gegenzug ermöglicht die Stiftung mit ihrer Dauerleihgabe dem Kunsthaus einen Qualitätssprung in die europäische Topliga. Gleichzeitig legt die Bührle-Stiftung dem Kunsthaus Fesseln an: Das Museum darf die Sammlung über die ganze Vertragsdauer nur en bloc zeigen. Ausserdem behält die Bührle-Stiftung die Erforschung der Provenienzen in ihrer Hand.
Das hat zu reden gegeben, nicht zuletzt deshalb, weil der Wortlaut des Vertrags unter Verschluss gehalten wurde. Journal 21 hat die Umstände und Bedingungen dieser Kooperation von Bührle-Stiftung und Kunsthaus in aller Deutlichkeit kritisiert.
Generationswechsel bei der Bührle-Stiftung
Heute nun haben Kunsthaus und Bührle-Stiftung bekannt gegeben, dass der Vertrag von 2012 durch eine neue Vereinbarung ersetzt worden ist. In der gemeinsamen Erklärung heisst es, der alte Vertrag «spiegelte seitens der Stiftung in weiten Teilen die Perspektive der zwei Kinder Emil Bührles, Hortense Anda Bührle und Dieter Bührle, auf das Vermächtnis ihres Vaters wider. Heute ist eine pragmatische Generation von Stiftungsräten im Amt, die (…) die musealen Ansprüche eines flexiblen kuratorischen Vermittlungskonzepts anerkennt.»
Da zeigt sich ein neuer Geist. Konkret hält der neue Dauerleihvertrag von 2022 fest, im Einvernehmen zwischen Museumsleitung und Stiftungsrat könnten Werke aus der Bührle-Sammlung in anderen Ausstellungen des Kunsthauses gezeigt werden. Ebenfalls möglich ist der temporäre Einbezug anderer Werke ins Ensemble der Bührle-Sammlung. Damit ist die Wagenburg geknackt. Das Haus kann mit den Beständen der Bührle-Stiftung so arbeiten, wie das Museen mit ihren Sammlungen eben zu tun pflegen: Sie lassen die Bilder in immer wieder anderen Konstellationen und zu verschiedenen Themen sprechen.
Ein weiterer Schritt: Nicht nur die Ausleihe einzelner Bührle-Bilder an andere Museen – eine für Ausstellungsmacher essentielle Praxis – ist nun möglich, sondern nach einer Frist von zehn Jahren soll sogar die gesamte Bührle-Sammlung auf Reisen gehen können. Damit erreicht der neue Vertrag das Niveau der für solche Dauerleihgaben üblichen Vereinbarungen. Die unsäglichen Fesseln, die das Kunsthaus unverständlicherweise beim Vertrag von 2012 akzeptiert hatte, sind gefallen.
Klärungen bei Raub- und Fluchtkunst
Im Blick auf die Kontroversen um den Kunsthaus-Bührle-Komplex wichtig ist das klare Bekenntnis des Vertrags zu den «Richtlinien der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten konfisziert wurden» und den von der Schweiz mitunterzeichneten Folgeerklärungen. Ausserdem geht die Zuständigkeit für die Provenienzforschung jetzt endlich von der Bührle-Stiftung vollständig ans Kunsthaus.
Das Kunsthaus orientiert sich bei strittigen Provenienzen am Begriff «NS-bedingt entzogene Kulturgüter» im Sinn der Erklärung von Terezin (2009). Abläufe und Verfahren zwischen Kunsthaus und Stiftung im Fall von Ansprüchen NS-Geschädigter sind im neuen Vertrag geregelt. Die Stiftung hat sämtliche Akten ihrer eigenen bisherigen Provenienzforschung ans Kunsthaus übergeben. – Auch hier ist also der vielfach geforderte Schritt vollzogen worden: Das Kunsthaus übernimmt die Verantwortung für die Bilder, die es zeigt.
Der neue Vertrag bietet alle Voraussetzungen, damit das Kunsthaus Zürich mit allen in seiner Obhut befindlichen Kunstobjekten so verfahren kann, wie das von einem modernen Museum zu erwarten ist: mit verantwortungsvoller Klärung der Provenienzen als selbstverständlicher Voraussetzung aller musealen Aktivitäten auf der einen und mit fundierter, kreativer, attraktiver Ausstellungsgestaltung auf der anderen Seite. Wieweit die Bührle-Bestände beim zweiten Aspekt mit ins Spiel kommen, wird stark davon abhängen, ob die neue Generation von Bührle-Stiftungsräten ihre Ankündigung wahr macht, die Ansprüche flexibler kuratorischer Vermittlung anzuerkennen.
Die Pressemeldung, der neue Vertrag und die Änderungen gegenüber dem alten Vertrag sind hier dokumentiert.