Mit dem Einmarsch von russischen Truppen in den ukrainischen Donbass schafft Putin ein Sprungbrett für eine Invasion der Ukraine von drei Seiten her. – von Belarus im Norden, von der Ostukraine und vom Schwarzen Meer im Süden her. Geopolitisch, aber auch wirtschaftspolitisch entsteht eine Situation, wie sie Europa, und die Welt, seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erlebt haben.
Es wird erstens zu einer humanitären Katastrophe am Ostrand Europas kommen mit schwer kontrollierbaren Flüchtlingsströmen Richtung Westeuropa via die Nachbarstaaten der Ukraine, Polen, Ungarn, Slowakei und Rumänien. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland werden, zweitens, nach einer Anfangsphase vom Westen her zunehmend reduziert, eingeschlossen jene der Schweiz, ungeachtet der unzutreffenden Neutralitätsanrufung aus Kreisen der SVP und der hiesigen Putin-Versteher. Schwarz und Weiss sind hier sehr klar verteilt; eine solch grundlose Aggression hat es seit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 nicht mehr gegeben. Entsprechend klar müsste die offizielle schweizerische Reaktion ausfallen.
Gekappte Wirtschaftsbeziehungen
Reduzierte Wirtschaftsbeziehungen durch einen immer vollständiger werdenden Boykott von Güter-, Dienstleistungs-, Finanz- und Personenverkehr mit Russland und Belarus. Was entsprechende Auswirkungen auf die Märkte haben wird. Eingeschlossen jene im Kanton Zug, wo die zwei Firmen beheimatet sind, welche die zwei russischen Nordstream-Gaspipelines dirigieren und verwalten. Ein Kanton, in dem die politischen Verantwortlichen noch dieses Wochenende den Kopf in den Sand stecken mit dem naiven Hinweis, die Aussenpolitik sei Sache des Bundes. Eingeschlossen weiter auch der Markt mit russischen Oligarchen, ihren Beteiligungen in der schweizerischen Industrie und ihren Bankkonten auf dem schweizerischen Finanzplatz.
Kriegsgewinnler
Unabsehbar sind weiter die Folgen von Krieg in Europa mit Blick auf potentielle politische Kriegsgewinnler. Diese könnten reichen vom nationalistischen serbischen Mitglied im Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina Milorad Dodik, der den Kriegsschatten der Ukraine für die endgültige Herauslösung seiner serbischen Teilrepublik aus dem Bundesstaat nutzen könnte, bis zum türkischen Autokraten Erdogan, welcher das Flüchtlingschaos in Europa für eine erneute Öffnung der Schleusen für syrische Kriegsflüchtlinge nutzen könnte, um die europäischen Demokratien zu destabilisieren und sie wenigstens zu neuen Zahlungen zu zwingen.
China
Weitaus am gefährlichsten erscheint aber die durchaus reale Möglichkeit, dass Beijing die amerikanische und europäische Befassung mit dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen für eigene Aggressionsziele nutzen könnte. Xi Jinping, in einer ähnlichen autokratischen Blase mit primär militärischen Beratern umgeben wie Putin, könnte sein längst öffentlich gemachtes Versprechen in die Tat umsetzen, Taiwan «heim ins Reich» zu holen. Dies umso mehr, als im Falle einer russischen Aggression gegen die Ukraine auch China in westliche Boykotte eingeschlossen würde. Dies um zu verhindern, dass Putin westliche Boykotte via Beihilfe von Beijing abfedern kann.
Alptraum Demokratie
Bleibt die Frage nach den Gründen, welche Putin aber auch Xi zu einem solchen Vorgehen bringen. Denn für Russland drohen schwere wirtschaftliche Nachteile, was das gesamte «System Putin» – zunehmende Prosperität aber keinerlei Freiheiten – in Gefahr bringt. Im Falle Chinas ist zumindest mit einem schweren Rückschlag in seiner wirtschaftlichen Entwicklung zu rechnen. Da ist einmal der banale Umstand, dass Autokraten nicht gewählt werden und sich damit eine ganze Weile um ihre Bevölkerung – ständig berieselt von Fake News ihrer Regierung – foutieren können. Da sind bei Putin und Xi zudem tief sitzende Ressentiments präsent wegen vermeintlichem historischen Unrecht; im Falle Russland die Auflösung der Supermacht UdSSR sowie das sogenannte Jahrhundert der Schande zwischen Mitte 19. und 20. Jahrhundert, als China am Boden lag.
Drittens, und dies ist wohl der wichtigste Grund für ihre «vorbeugende Aggression», erscheint die Furcht vor politisch funktionierenden und wirtschaftlich prosperierenden Demokratien an ihren Grenzen. Für China gilt dies mit Blick auf Taiwan ebenso wie auf ein unter der Ägide von Seoul geeintes Korea. Russland wehrt sich dagegen, dass sich die Ukraine, die trotz Oligarchentum eine funktionierende Demokratie hat, sich mehr und mehr Europa und der EU annähert.