«Angela, lasst uns Angela einbeziehen», sagte US-Präsident Trump in Bezug auf den verschärften russisch-ukrainischen Konflikt um das Asowsche Meer in einem Interview der «New York Post». Trump, der die deutsche Bundeskanzlerin Merkel am G-20-Gipfeltreffen in Buenos Aires treffen wird, tönte damit an, was auch andere besorgte Beobachter der jüngsten Konfrontation zwischen den beiden Nachbarländern und Ex-Sowjetrepubliken schon zum Ausdruck gebracht hatten. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Melnyk, hat in einem Radio-Interview erklärt, es dürfe zur Entspannung des Konflikts nicht nur Floskeln geben, es müsse gehandelt werden. «Das kann nur die Kanzlerin.»
«Winterkrieg» am Asowschen Meer?
Zwar gibt es darüber, wie konkret gehandelt werden soll, sehr verschiedene Meinungen, nicht nur zwischen Kiew und Moskau, sondern auch unter westlichen Politikern und Beobachtern. Doch dass etwas unternommen werden sollte, um eine Ausdehnung des seit viereinhalb Jahren mottenden Krieges in den von Kiew abtrünnigen Donbass-Gebieten auf das Asowsche und das Schwarze Meer zu verhindern, darüber besteht weitherum Einigkeit. Ein «Winterkrieg» an der Küste des Asowschen Meeres, den der Militärkommentator Felgenhauer in der Kreml-kritischen Zeitung «Nowaja Gaseta» als mögliches Schreckensszenario in die Debatte wirft, sollte jedem Beobachter vor Augen führen, was für Risiken hier auf dem Spiel stehen.
Begonnen hatte die Konflikteskalation am vergangenen Sonntag, als russische Grenzschutzschiffe drei kleinere ukrainische Marineboote vor der Meerenge von Kertsch bei der Einfahrt ins Asowsche Meer gerammt und beschossen haben und danach die Schiffe samt deren Mannschaft beschlagnahmt haben. Die Ukraine hat in der Folge in den südöstlichen Teilen des Landes für 30 Tage das Kriegsrecht ausgerufen, das ihr und der Armee erweiterte Handlungsmöglichkeiten erlaubt.
«Provokation» und «Hysterie»
Welcher Präsident profitiert?
Solange nicht andere Fakten auftauchen, bleibt somit festzuhalten, dass die russische Regierung sich ebenso wenig an diesen Vertrag hält wie an das Budapester Memorandum von 2004, in dem die territoriale Integrität der Ukraine garantiert wurde. Durch die Annexion der Krim und die militärische Einmischung in der Ostukraine wird dieses Abkommen seit 2014 eindeutig gebrochen.
Putins Argument, Poroschenko gehe es mit dem schrillen Lärm um den Zusammenstoss bei der Meerenge von Kertsch hauptsächlich um ein billiges Wahlkampfmanöver, lässt sich allerdings auch gegen den Kremlchef umkehren. Dessen Popularität soll laut Umfragen auf einen tiefen Stand wie vor der Krim-Annexion gesunken sein. Bekanntlich ist seine Beliebtheitskurve unmittelbar danach in stratosphärische Höhen geschnellt. Nicht wenige Beobachter trauen es dem gewieften Manipulator durchaus zu, dass diese Erfahrung auch beim Entscheid zur Kaperung ukrainischer Marineboote eine Rolle spielte.
Merkels Einsatz in der Ukraine-Krise
Gewichtiger aber sind wohl andere Motive in Moskau. Zweifelsohne geht es dem Putin-Regime darum, das seit dem Maidan-Umsturz vor fünf Jahren dem Westen zuneigende Nachbarland Ukraine politisch und wirtschaftlich zu destabilisieren – und so, wenn möglich, wieder in den nahen russischen Einflussbereich «heimzuholen».
Die Blockierung oder weitgehende Unterbindung der Zufahrt zum Asowschen Meer wäre ein schwerer Schlag gegen die beiden Seehäfen Berdjansk und Mariupol. Dies würde den Südosten der Ukraine, der durch den Separatisten-Krieg im Donbass – von Moskau mitgeschürt – ohnehin schon unter Armut und Flüchtlingselend leidet, zusätzlich schwächen. Selbst eine Ausweitung der Kriegszone bis zu den Hafenstädten Mariupol und Berdjansk ist nicht undenkbar.
Was könnte die deutsche Bundeskanzlerin tun, um das Risiko derartiger Konfliktverschärfungen zu reduzieren? Zunächst ist festzuhalten, dass Merkel mit Abstand am meisten Erfahrung im Umgang mit dieser Nachbarschaftskonfrontation hat. Ohne ihr dezidiertes Auftreten gegenüber Putin vor vier Jahren wäre selbst das brüchige Waffenstillstandsabkommen von Minsk wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Möglicherweise wären auch keine EU-Sanktionen gegen Russland verhängt worden und vielleicht hätte Putin im Frühjahr 2014 seine Truppen auf der Krim und im Donbass bis nach Kiew weitermarschieren lassen.
Verschärfte Sanktionen?
Merkel hat nach dem Zusammenstoss bei der Meerenge von Kertsch sowohl mit Poroschenko als auch mit Putin telefoniert. Gegenüber ukrainischen Wünschen zur Entsendung von Nato-Schiffen in die Asowschen Gewässer reagierte sie mit einer Absage: Es gebe nach ihrer Ansicht keine militärische Lösung dieses Konflikts. Damit entspricht sie der allgemeinen Meinung im Westen.
Doch es ist gut denkbar, dass Merkel bei ihrem geplanten Gespräch mit Putin in Buenos Aires auf die Möglichkeit verschärfter westlicher Wirtschaftssanktionen hinweist, falls Russland die Blockade des ukrainischen Schiffsverkehrs ins Asowsche Meer nicht aufgeben sollte. Darunter könnte im Extremfall die Sistierung der geplanten zweiten Northstream-Pipeline für den russischen Gasexport nach Westeuropa fallen – obwohl der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier diese Woche einen solchen Schritt nicht in Betracht ziehen wollte.
Putins Risiko-Kalkül
Die Putin-Verharmloser im Westen, die seine expansiven Machtdemonstrationen als verständliche Antwort auf die angebliche westliche Einkreisung Russlands rechtfertigen und dabei die Sicherheitsinteressen der früheren osteuropäischen Untertanenländer geflissentlich ausblenden, kritisieren zwar die westliche Sanktionspolitik seit langem als sinnlos und obendrein kontraproduktiv. Doch Putin selber, dem die stagnierende Wirtschaft und enttäuschenden ausländischen Investitionen im eigenen Land nicht gleichgültig sein können, dürfte die Risiken verschärfter ökonomischer Druckmassnahmen kaum derart oberflächlich beurteilen.
Sollte es in nächster Zeit zu einer Lockerung der Zufahrtsblockade zum Asowschen Meer kommen – oder zumindest zu ernsthaften Verhandlungen darüber – so steht zu vermuten, dass dabei der Einfluss der deutschen Bundeskanzlerin eine nicht geringe Rolle spielt. Vorläufig aber bleibt eine glimpfliche Entwicklung an der neuen Front des ukrainisch-russischen Krieges nur eine Hoffnung.