Parallel zur Entfaltung und Verfeinerung seiner Malkunst entwickelte Hodler seine Meisterschaft im Selbstmarketing. Er wollte bekannt werden und er wollte seine Bilder so teuer wie möglich verkaufen. Daraus machte er keinen Hehl.
Suchen und vermarkten
Diese Verbindung zwischen dem genuin künstlerischen Suchen mit all den dazu gehörenden Irrungen und Wirrungen und der kühl berechneten Vermarktung von Themen und Werken löst bis heute Irritationen aus. Denn als Anbieter von marktgängiger Kunst hatte er anderes zu berücksichtigen als sein inneres Suchen nach Gültigkeit, Authentizität und Wahrheit. Wie passte das zusammen?
Hodler war aber kein Opportunist. Zwar schuf er monumentale Werke mit Bezug auf die „ruhmreiche“ Vergangenheit der Schweiz und Deutschlands, aber er liess sich seine Überzeugungen nicht abkaufen. Dafür gibt es einen eindrücklichen Beleg:
Protest und Ächtung
In der Schweiz wurde der 1853 geborene und unter prekären Umständen aufgewachsene Hodler zwar schon in seinen Anfangsjahren als Maler mit Preisen überhäuft, aber seinen Durchbruch hatte er im Ausland. Sein erster Erfolg war der Anschluss an die Wiener Sezession im Jahr 1904. Danach gelang es ihm, zahlreiche Ausstellungen in Deutschland zu bekommen. Dazu gab es ehrenhafte Aufträge. So schuf er im Jahr 1907 für das Hauptgebäude der Universität Jena das monumentale Wandbild, Auszug der deutschen Studenten in den Freiheitskrieg von 1813.
Ganz gewiss ist Hodler in jener Zeit nicht entgangen, wie es um den deutschen Nationalstolz stand. Er musste mitbekommen haben, wie dieser Nationalstolz mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ins Unermessliche wuchs. Trotzdem wagte er es, 1914 gegen die Beschiessung der Kathedrale von Reims durch deutsche Truppen zu protestieren. Die Folgen waren für ihn desaströs.
Helle Begeisterung, vernichtende Kritiken
Schlagartig verlor er in Deutschland alle Kunden. Er konnte nicht mehr ausstellen, war er doch zu einer Persona non grata geworden. Was das über die rein kommerziellen Einbussen hinaus für Hodler bedeutete, lässt sich heute anhand einer sorgfältig editierten Dokumentation der Ausstellungen des Kunstsalons Paul Cassirer in Berlin geradezu hautnah nachvollziehen:
Der Kunstsalon Paul Cassirer war damals der bedeutendste in Deutschland, vielleicht sogar in Europa. In den Jahren 1907 und 1911 zeigte er Werke Hodlers, wobei die Ausstellung vom 13. Oktober bis 12. November 1911 mit 79 Werken ausschliesslich ihm gewidmet war. Der Dokumentation dazu sind zahlreiche Ausschnitte zeitgenössischer Kunstkritiken beigefügt. Da findet man das ganze Spektrum: Helle Begeisterung für den „starken Schweizer“ und gleichzeitig die abfälligsten Kritiken zumindest einzelner seiner Werke. „Dilettantisch“, „stümperhaft“ sind Ausdrücke, auf die man häufiger stösst, und ein Kritiker macht sich über die Frauengestalten beziehungsweise Halbakte lustig, deren Hässlichkeit wohl auch dadurch zu erklären sei, dass Hodler keine hübscheren Modelle gefunden habe.
Todesnähe
Mit einem Schlag war nun dieser Resonanzboden weggebrochen. Mit dem Schweizer Kunstmarkt liess sich dieser Verlust nicht kompensieren. In Deutschland hatte immer wieder in den Zeitungen gestanden, Hodler sei durch den Verkauf seiner Werke „zum Millionär“ geworden. Das war sicher übertrieben, aber zumindest litt Hodler nach den Verlusten keine materielle Not. Dafür holte ihn aber eine anderes Schicksal ein.
Die Geliebte von Ferdinand Hodler, Valentine Godé-Darel, erkrankte an Krebs, nachdem sie ein Kind, eine Tochter, von ihm geboren hatte. Hodler begleitete sie zwei Jahre lang in ihrem Sterbeprozess und malte sie wieder und wieder. Viel ist über diesen Bildzyklus spekuliert und geschrieben worden. Hat Hodler damit eine Grenze der Intimität überschritten? Hat er das Leiden und Sterben seiner Geliebten zum blossen Objekt seiner Kunst gemacht?
Diese Frage beantwortet sich in dem Masse, wie man Hodler als Suchenden ernst nimmt. Mit seinen Bildern hat er das Schicksal seiner Geliebten und damit sein eigenes befragt. Was ist es um das Leiden? Mit Moralisieren kommt man hier nicht weiter. Das wusste auch Hodlers Ehefrau Berthe. Nach dem Tod von Valentine Godé-Darel hat sie die Tochter adoptiert.
In seinen letzten Jahren hat sich Hodler vermehrt der Landschaftsmalerei zugewandt. Man möchte sagen: Eigentlich hat er seine Landschaftsmotive wieder und wieder so porträtiert, wie er sich selbst wieder und wieder porträtiert hat. Es ist eine Befragung mit bildnerischen Mitteln: Was ist es um das Licht, was ist es um Farben und Formen, was lässt das eigene Gesicht zum Vorschein kommen?
Das Spätwerk
Im Jahr 2013 hat die Fondation Beyeler dem Spätwerk Hodlers eine umfassende Retrospektive gewidmet, die Urs Meier im Journal21.ch fachkundig analysiert und gewürdigt hat. Ganz sicher ist das Spätwerk die eigentliche Reifezeit und steht uns heute näher als einige der monumentalen Frühwerke oder auch die Versuche, sich an den damals grassierenden Symbolismus anzuschliessen.
Aber man darf nicht den Fehler machen, das Werk Hodlers auseinanderzureissen. Auch die Werke, die schon damals auf einige Zeitgenossen befremdlich wirkten und aus heutiger Perspektive erst recht absonderlich erscheinen, sind Ausdruck einer Suche, die auch für einen begnadeten Künstler hoch riskant sein kann. Bei Hodler ging das Risiko so weit, dass er bei einzelnen Werken in den Augen von Fachkritikern schlicht und einfach als Maler versagt hat.
Erst seit 1960 wurde Hodler nach und nach wiederentdeckt. Ein Genfer Privatgelehrter, Jura Brüschweiler, begann ein Hodler-Archiv anzulegen, und das Schweizer Institut für Kulturwissenschaft startete eine vierbändige Hodler-Edition. Hodler schuf in 50 Jahren etwa 1600 Gemälde und 15’000 Zeichnungen. Er starb am 19. Mai 1918.
Kunstsalon Paul Cassirer. Die Ausstellungen 1910–1912. Herausgegeben von Bernhard Echte und Walter Feilchenfeld. Mitarbeit Petra Cordioli. Nimbus, Kunst und Bücher.
Ferdinand Hodler, Maler der frühen Moderne. Bundeskunsthalle. Kerber Art.
Du 882 – März 2018, Ferdinand Hodler.