Seine Kunst aus simplen Leuchtstoffröhren erzeugt geheimnisvolle, geradezu magische Wirkungen. Dennoch hat Dan Flavin stets das Einfache und Alltägliche seiner Arbeiten betont. Dass sie nur eine kurze Zeit überdauern können, hat ihn nicht gestört.
Kunst aus Licht, und zwar mit banalen Fluoreszenzröhren – das ist die frappante Erfindung des US-Amerikaners Dan Flavin (1933–1996). «Neonröhren», so der unpräzise umgangssprachliche Begriff, sind seit den späten Dreissigerjahren zur wichtigsten Lichtquelle der technischen Zivilisation geworden und entsprechend omnipräsent. Sie fluten Räume mit ihrem sachlich-gleichmässigen Licht zum Arbeiten, erhellen Zonen des Konsums und der Passage, machen für Stadtbewohner den Untergrund begehbar. Zu leuchtenden Zeichen geformt, füllen sie die urbane Nacht mit Orientierungsmarken und Werbebotschaften.
Als Dreissigjähriger schaffte Flavin den künstlerischen Durchbruch mit dem Werk «the diagonal of May 25, 1963 (to Constantin Brancusi)», einer gelben Leuchtstoffröhre, die er in einer 45-Grad-Schräge an der Wand befestigte. Die Widmung richtet sich an den Bildhauer Constantin Brancusi (1876–1957), dessen Skulptur Endlose Säule in Târgu Jiu von 1938 als Inspiration diente. Mit der nicht veränderten industriellen Leuchtstoffröhre bewegt sich Flavin auf den Spuren von Marcel Duchamp, dessen Readymades die gesamte abendländische Kunsttradition unterlaufen und die Unterscheidung von Kunst und Alltag aufheben.
Die ikonische «Diagonale» ist in Basel ausgestellt. Aber es ist natürlich nicht das «Original», wie denn überhaupt Flavins Arbeiten die mythisch aufgeladene Vorstellung des originalen Werks hinter sich lassen. Das hat zum einen Gründe im verwendeten Material: Leuchtstoffröhren haben eine begrenzte Lebensdauer. Deshalb hat Flavin seine Arbeiten nicht als Originale, sondern als Editionen kreiert, von denen es jeweils mehrere zertifizierte Exemplare gibt. Diese können aufgrund genauer technischer Spezifikationen bei Bedarf auch nachproduziert werden. Zum andern passt diese Entmythisierung des Kunstwerks auch zu Flavins künstlerischem Selbstverständnis. Seine Leuchtobjekte sollen als alltägliche Gegenstände gesehen werden. Das schmälert ihre Wirkung nicht.
Flavins Lichtobjekte entfalten in den abgedunkelten Räumen mehrfache Wirkungen, die das Auge erst nach einer gewissen Angewöhnung erfasst. Farbige Reflexe breiten sich auf der weissen Wand und auf dem Parkett aus, mischen sich und bilden mit dem eigentlichen Objekt ein grossräumiges Geschehen, in das die Besucher einbezogen sind. Sie werfen farbige Schatten, und ihre Gestalten sind in Flavins Lichtspiele getaucht.
Angesichts solcher Wirkungen sprechen viele Betrachter von «Magie». Manche Kritiker vermuten in Flavins Lichtkunst metaphysische oder spirituelle Bezüge. Für Letzteres scheint seine Biografie gewisse Anhaltspunkte zu bieten. Dan Flavin wuchs in einer irisch-katholischen Familie auf und sollte Geistlicher werden. Auch nachdem er das Priesterseminar verlassen, ein Kunststudium begonnen und als Künstler zu arbeiten begonnen hatte, blieb er für katholisch-philosophische Geistigkeit ansprechbar. Fasziniert war er von Jacques Maritain, einem Philosophen des Neu-Thomismus, der mittelalterliche Scholastik mit der Moderne verknüpfte.
Trotzdem liess Flavin sich nicht auf spekulative Deutungen seines Werks ein. Solchen Versuchen erteilte er eine klare Absage: «It is what it is and it ain’t nothin’ else.» Der Satz ist zweifellos in seinen kunsthistorischen Bezügen zu verstehen. Flavin schloss damit ans Credo der Konkreten an: Eine Linie ist eine Linie, eine Fläche ist eine Fläche, eine Farbe ist eine Farbe – und nun eben auch: eine Leuchtstoffröhre ist eine Leuchtstoffröhre. Flavin insistierte, dass bei ihm das Alltägliche, das Gewöhnliche, ja das Banale das Schöne ist.
Die in Basel versammelten Arbeiten tragen alle eine Widmung, etwa für befreundete Künstler (Jasper Johns, Sol LeWitt, Donald Judd) und Galeristen (Heiner Friedrich, legendärer deutscher Kunsthändler in New York), bekannte und weniger bekannte Namen der Kunstgeschichte, aber auch als politische Statements, besonders gegen den Vietnamkrieg. Mit solchen gelegentlich pathetischen Zuordnungen setzte Flavin einen menschlich warmen Gegenakzent zum anonymen, unpersönlichen Charakter seiner Arbeiten.
Flavins Objekte sind dem Alltäglichen verhaftet und haben als Gebrauchs- und Verbrauchsgegenstände eine beschränkte Lebensdauer. Hinzu kommt nun aber, dass die Leuchtstoffröhren eine auslaufende Technologie sind. Sie werden zurzeit abgelöst durch eine neue Generation von energieeffizienteren Leuchtmitteln auf LED-Basis. Eine Zeitlang wird es vielleicht noch möglich sein, irgendwo auf der Welt eine Nischenproduktion der alten Fluoreszenzröhren aufrechtzuerhalten. Möglicherweise schon ziemlich bald aber wird es Röhren mit dieser besonderen Lichtcharakteristik nicht mehr geben.
Das wird dann das Ende dieser Kunst sein. Vermutlich hätte Flavin diese radikale und ziemlich kurzfristige Vergänglichkeit seiner Arbeiten für gut und richtig befunden. Schon 1966 schrieb er: «Electric light is just another instrument. I have no desire to contrive fantasies mediumistically or sociologically over it or beyond it. (…) I do whatever I can whenever I can with whatever I have wherever I am.» (Elektrisches Licht ist nur ein weiteres Instrument. Ich habe keine Lust, medial oder soziologisch darüber oder darüber hinaus zu fantasieren. (...) Ich tue, was ich kann, wann immer ich kann, mit dem, was ich habe, wo immer ich bin.)
Kunstmuseum Basel, Neubau
Dan Flavin: Widmungen aus Licht
bis 18. August 2024
kuratiert von Josef Helfenstein, Olga Osadtschy, Elena Degen