Es ist nicht üblich, 59 Jahre nach einem Ereignis einen Gedenkartikel zu schreiben. Es ist aber notwendig, schon jetzt auf den Juni des kommenden Jahres hinzuweisen.
Ein neuer Aufstand?
Denn in einem Jahr wird sich die israelische Besetzung und damit die Besatzung des Westjordanlandes zum fünfzigsten Mal jähren. Im so genannten Sechstagekrieg vom 5. bis 10.Juni 1967 eroberte Israel dieses bis dahin zu Jordanien gehörende Gebiet und das von Jordanien verwaltete Ost-Jerusalem, das schliesslich 1980 von Israel annektiert wurde. Dazu kamen die syrischen Golanhöhen, die 1981 annektiert wurden. Das war ebenso wie die Annexion Ost-Jerusalems eine international nicht anerkannte Massnahme. Ebenso wurde die gesamte Sinai-Halbinsel erobert, aber 1982, drei Jahre nach dem Friedensvertrag von Camp David, an Ägypten zurückgegeben.
Das Westjordanland aber – das der damalige jordanische König Hussein später, im Jahr 1988, aufgab und den Palästinensern zur Gründung eines eigenen Staates zur Verfügung stellte - ächzt auch fast ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg von 1967 unter israelischer Besatzung. Gut möglich, dass die Palästinenser den in einem Jahr bevorstehenden fünfzigsten Jahrestag – dieses für sie, aber auch für die westliche Welt traurige Datum – zum Anlass eines neuen Aufstandes nehmen. Auch deshalb hat Benjamin Netanjahu vor ein paar Tagen ein radikal anti-palästinensisches Kabinett gebildet – mit Hilfe des Palästinenserhassers Avigdor Lieberman.
Zwei radikale Minister
Lieberman, russischer Einwanderer, Knessetabgeordneter seit 1999, von 2013 bis 2015 Aussenminister, ist jetzt zum Verteidigungsminister avanciert. Er nennt die Palästinenser die „fünfte Kolonne“, will den israelischen Arabern die Staatsbürgerschaft entziehen, sie mit den Palästinensern des Westjordanlandes vereinigen, die dortigen israelischen Siedlungen auch de jure annektieren und somit alle Palästinenser in eigenen, abgegrenzten Gebieten, südafrikanischen Bantustans ähnlich, einpferchen.
Schon länger im Kabinett Benjamin Netanjahus sitzt Naftali Bennett von der Siedlerpartei Israel Beitenu, Israel-Unser Haus. Bennet tritt für die Annexion des bis jetzt unter gesamter israelischer Verwaltung Gebietes C (nach den Osloverträgen) ein. Dieses Gebiet C macht etwa 61 Prozent des gesamten Westjordanlandes aus. Seine politischen Positionen ähneln demnach denen seines neuen Kabinettskollegen Avigdor Lieberman. Terroristen, sagte Bennet einst – und damit meinte er Palästinenser, die gegen die israelische Besatzung Widerstand leisten – sollte man einfach erschiessen.
„Land für Frieden“
Schaut man sich die Geschichte Israels seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 an, so deutet nichts darauf hin, dass der „Jüdische Staat“, wie Benjamin Netanjahu ihn gerne nennt, die Gründung eines palästinensisches Staates zulassen würde. Unmittelbar nach dem Krieg von 1967 reisten israelische Geheimdienstbeamte ins eroberte Gebiet und sprachen dort mit palästinensischen Bürgermeistern und anderen Vertretern der einheimischen Bevölkerung. Nach ihrer Rückkehr empfahlen die Geheimdienstleute ihrer Regierung die Gründung eines palästinensischen Staates – andernfalls das Gebiet eine stetige Quelle der Unruhe und der Aufstände sein werde.
Doch der Rat fiel auf unfruchtbaren Boden. Trotzdem gab es hin und wieder Gelegenheiten zu einem Friedensschluss - oft initiiert von den Palästinensern. So bot Jassir Arafat auf der palästinensischen Nationalratstagung 1988 in Algier als Gegenleistung für die Gründung eines eigenen Staates Frieden und friedliche Beziehungen mit Israel an. 1996 strich der palästinensische Nationalrat auf einer Tagung in Gaza unter Anwesenheit des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton jene Passage aus seiner Satzung, wonach die Vernichtung Israels Ziel der Palästinenser sei.
Die Verträge von Oslo hatten zuvor, im Jahre 1993, einen kontinuierlichen Friedenprozess vorgesehen, an dessen Ende die Gründung eines palästinensischen Staates stehen sollte. Zuvor hatte im Jahre 1991 die Friedenskonferenz von Madrid – Saddam Hussein war gerade von einer Koalition unter Führung der USA aus Kuwait vertrieben worden – das gleiche Ziel verfolgt: Israel solle die besetzten Gebiet verlassen und dort die Gründung eines palästinensischen Staates zulassen. „Land für Frieden“ hiess die Formel, die in der gesamten Welt Hoffnung auslöste.
Westlicher Beitrag zur Islamisierung
Alles vergebens. Diese und viele andere Bemühungen scheiterten – vor allem deshalb, weil die jeweiligen israelischen Regierungen trotz vieler Vermittlungsversuche der USA das besetzte Westjordanland nicht wieder herausgeben wollten. Eine der Folgen war die Gründung der Hamas, der, wie sie sich nennt, „Islamischen Widerstandsorganisation“. Sie wird heute von den Medien gedankenlos als „radikalislamisch“ abgetan.
Dabei wird stets übersehen, dass die von Jassir Arafat geführte „Palästinensische Befreiungsorganisation“ (PLO) eine durch und durch laizistische Vereinigung war, in der, zum Beispiel, einer der Führer, George Habash, orthodoxer Christ war. Erst als die laizistische PLO mit ihre Friedenspolitik und der steigenden Korruption in ihren Reihen immer weniger Anhänger fand, kam es zum Aufschwung der Islamisten unter Führung der Hamas. So haben die Israelis – und mit ihnen westliche Regierungen, die es nicht fertig brachten, Israel zum Frieden zu zwingen – tatkräftig zur Islamisierung des palästinensischen Widerstandes beigetragen.
Prozess der Radikalisierung
Im Grunde, das zeigt die Geschichte des letzten halben Jahrhunderts, werden die Palästinenser von den jeweiligen israelischen Regierungen und von vielen Bürgern des Landes als zweitklassige Menschen behandelt. Die israelische Professorin Nurit Peled-Elhanan hat israelische Schulbücher analysiert und festgestellt, dass Palästinenser als Terroristen und als rückständige Farmer dargestellt werden. Israel werde, das ist die Schlussfolgerung der israelischen Professorin, immer rassistischer und auch faschistischer.
Insofern ist die Zusammensetzung des gerade von Premier Benjamin Netanjahu umgebildeten und radikalisierten Kabinetts weitgehend ein Spiegelbild der israelischen Gesellschaft. Netanjahu lässt – im Zeichen der Syrienkrise weitgehend unbehelligt – neue Siedlungen bauen. Er hat monatelange „Friedens-Gespräche“ mit den USA, die zu einer Lösung der Krise führen sollten, erfolgreich blockiert und damit gezeigt, dass er die Gründung eines palästinensischen Staates unbedingt verhindern will.
Friedensprozess? Fast ein in halbes Jahrhundert hat man nun dieses Wort benutzt – zu Unrecht, wie sich herausgestellt hat. Für Israel ging es stets um die Verwaltung, Bewahrung und mehr noch um die Ausdehnung des Status quo. Über 500´000 Siedler leben, 49 Jahre nach Eroberung des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems, heute in diesen Gebieten. Fast täglich werden es mehr. So haben alle israelische Regerungen Fakten geschaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Und damit wird es bis auf weiteres keinen Friedensprozess geben, der diesen Namen verdient.