Seine Haare sind noch grauer geworden. Oder vielleicht scheint es auch nur so, weil sie so kurz sind. Im Gefängnis haben sie ihm den Kopf geschoren hat. Er ist abgemagert.
„Mir hängt die Haut um die Knochen herum,“ sagt Armin. „Wird Zeit, dass ich mal wieder etwas Vernünftiges zu futtern bekomme.“ Im Gefängnis gab es Brot und Reis, Reis und Brot, und das wars.
Er war im April von der Türkei aus eingereist und in die umkämpfte Stadt Aleppo gefahren: „Ich wollte beide Seiten zeigen, die Regierungsseite und die Aufständischen. Ich hatte anfangen wollen mit der Regierungsseite, denn ich dachte, die Oposition kann ich notfalls auch noch in der Türkei covern, die Türkei ist ja voll von Leuten der Opposition. Ich dachte, das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass sie mich abschieben..“
Er hatte das Risiko falsch eingeschätzt: „Man denkt vielleicht daran, dass einem etwas zustossen könnte durch Kampfhandlungen. Aber dass ich ein halbes Jahr im Gefängnis sitzen müsste, damit hatte ich nicht gerechnet.“
Armin Wertz wollte in Aleppo Kontakt mit den syrischen Behörden aufnehmen, aber diese hatten ihn schon „kontaktiert“, bevor er es merkte. Das Hotel in dem er logierte, war durchsetzt von Zivil-Polizisten, das Personal bestand weitgehend aus Leuten des Innenministeriums.
Wertz wird verhört und darf in der Folge das Hotel nur noch in Begleitung verlassen. Man traut ihm nicht. Er ist aufgefallen als ein Ausländer, der eine Kamera besitzt und zu allem Übel auch noch über die türkische Grenze kommt, also aus Feindesland. Denn die türkische Regierung macht seit Beginn des Konfliktes gemeinsame Sache mit den Aufständischen. Nach zwei Wochen wird Wertz ohne Angabe von Gründen ins Gefängnis verlegt.
Eine brütend heisse Einzelzelle
„Ich war der einzige Ausländer dort, alle andern waren Syrer, el-Almani wurde ich gerufen. Es gab gewöhnliche Kriminelle, aber auch Oppositionelle, die auf einer Demonstration verhaftet worden waren oder weil man sie beschuldigte, an einer Schiesserei beteiligt gewesen zu sein. Die meisten konnten kein Englisch. Ausser „fuck you“, - das konnten sie alle. Auch die Gefängniswärter sprachen nur arabisch bis auf einen, der ein paar Wörter Englisch konnte.
Eine brütend heisse Einzelzelle, ohne Lüftung, ohne Licht, mit einem kleinen Fensterloch. Lesen, selbst wenn er Lektüre gehabt hätte, wäre kaum möglich gewesen. Was macht ein Mensch dort, um nicht unterzugehen? Er zieht aus dem eigenen Kopf eine Art von kulturellen Rettungsbojen.
„Ich habe zum Beispiel versucht, mich an Gedichte zu erinnern, die ich in der Schule gelernt hatte. ‚La cigale et la Fourmi’ und andere Fabeln von la Fontaine. Oder ‚Sah ein Knab ein Röslein‘ stehn von Goethe. Und dann habe ich auch viel gesungen. Lieder aus meiner frühesten Kindheit. Durch die Zellentür hab ich auch die andern Gefangenen aufgefordert mitzusingen, aber die kannten die Lieder nicht. Sie haben ihre eigenen Lieder gesungen.“
Kurz vor seiner Verlegung hatte Armin Wertz noch ein Message an einen deutschen Kollegen schicken können. Danach nahm man ihm sein Handy ab. Durch das SMS wurde bekannt, dass Wertz inhaftiert war, und so konnte unter anderen die Journalisten-Organisation „Reporter ohne Grenzen“ sich für den Gefangenen einsetzen.
Armin Wertz betont, dass er nicht geschlagen oder physisch gefoltert wurde. Im Gegensatz zu anderen Häftlingen, die verprügelt worden seien, in der Regel mit Stockschlägen auf die Fusssohlen.
Kein Zeitgefühl mehr in der Einsamkeit
In der Monotonie der Zelle kam langsam aber stetig das Zeitgefühl abhanden. Als Wertz am Ende freigelassen wurde, wusste er nicht mehr in welchem Monat und an welchem Datum er sich befand.
„Am Schluss kam einer der Wärter und erklärte mir mit seinen paar Wörtern Englisch, dass ich meine Gefängniskleidung ablegen und die Zivilkleider anziehen sollte, die ich noch besass. Aber sie waren fast völlig zerrissen und durchgescheuert, denn ich hatte sie als Schlafunterlage auf dem harten Betonboden benutzt.“
Deutschland gut, sagte der Wärter. Offenbar war bekannt geworden, dass Frau Merkel sich beim G-20 Treffen gegen einen militärische Angriff auf Syrien gewandt hatte. Vielleicht, meint Armin Wertz, sei dies einer der Gründe für seine Freilassung gewesen. Man hat ihm nie mitgeteilt, warum er gefangen war und warum seine Gefangenschaft nach fünf Monaten ein Ende hatte.