Das schlimmste ereignete sich im CST-Bahnhof, wo zwei der zehn Angreifer in zwanzig Minuten 45 Menschen erschossen und über 200 verwundeten. Einer der beiden Terroristen war Ajmal Kasab.
Das Massacker vom 26. November 2008
26/11 war, in den Augen der Drahtzier in Pakistan, eine überaus erfolgreiche Aktion. Während drei Tagen liefen Bilder des Schreckens, von brennenden Hotels und blutverschmierten Bahnsteigen über die Welt. Das Ziel war, dem internationalen Finanzzentrum Mumbai den Garaus zu machen, indem man es zu einem Schlachtfeld des globalen Jihad erklärte. Mit der Stadt, die ein Drittel des indischen Steueraufkommens bestreitet, sollte auch die wirtschaftliche Dynamik des Landes gebrochen werden. Anti-muslimische Pogrome würden ausbrechen, und Indien den Rest geben.
Doch die Rechnung ging nicht auf, und das war auch die ‚Schuld‘ – das unerwünschte Verdienst – von Ajmal Kasab. Nachdem er und sein Komplize Abu Ismail im Bahnhof gewütet hatten, landeten sie in einer nahegelegenen Frauenklinik, wo es den Krankenschwestern gelang, ihre Patienten in Operationssälen und Toiletten einzuschliessen. In einem Fall musste eine Schwester einer gebärenden Frau den Mund zuhalten, damit ihre Schmerzensschreie sie nicht verrieten.
Darauf erschossen die beiden drei Polizisten, bemächtigten sich ihres Fahrzeugs, fuhren zum Platz vor dem ‚Metro Cinema‘, wo sie aus dem fahrenden Auto in die Menge schossen, die aus dem Kino strömte. Doch dann kam es zu einem Regiefehler. Auf dem Weg zum nächsten Ziel, der exklusiven Wohngegend des ‚Malabar Hill‘, fuhren Kasab und Ismail in eine Polizeisperre. Ismail wurde, plangemaess, erschossen, doch Kasab wurde lebend ueberwältigt.
In seiner ersten, gefilmten, Einvernahme erklaerte der 23-Jaehrige, wie er zum Terroristen wurde: Eine arme Familie in einem kleinen Dorf in der Ebene des Panjab, der Vater ein Strassenverkäufer und Taglöhner, die Kinder ohne Schulbildung. Kasab, klein und stämmig, wurde rekrutiert, mit dem Versprechen, dass sein Martyrium ihm das ewige Paradies bescheren werde. Die versprochene Geldsumme (von umgerechnet 5000 Franken) werde seiner Familie das irdische bringen und sie aus der Armut befreien.
Ein Verzweiflungstäter?
Ein Verzweiflungstaeter? So schwer der soziale Hintergrund wirken mochte, das Terror-Training machte aus dem verwirrten Analphabeten einen Killer. Zeugen sagten später aus, dass er gelacht habe, als er die wartenden Reisenden niedermähte – darunter viele Glaubensgenossen. Er selber gab vor Gericht zu Protokoll, sie seien an jenem Abend zu spät im Bahnhof angekommen; sie hatten gehofft, eine groessere Menschenmenge vorzufinden.
Zwei Monate nach dem verhinderten Martyrium begann in Mumbai der Prozess gegen Kasab, der wie alle Gerichtsverfahren in Indien öffentlich war. Den Behörden lag daran, den Rechtsweg mit peinlicher Genauigkeit und Transparenz einzuhalten und den Ruf von Hindu-Politikern nach einer Lynchjustiz keinen Zoll nachzugeben. Zuerst fiel es schwer, überhaupt ein Verteidigungsteam zusammenzubringen. Mehrere interessierte Anwälte zogen sich auf Druck der Strasse zurück, bevor eine mutige Fraue, Farhana Shah, in die Bresche sprang.
Auch Zeugen waren nur schwer zu bewegen, auszusagen, und sie bedurften lange Zeit psychologischer Betreuung. Schliesslich mussten die Einrichtungen des ‚Arthur Road Jail‘ aus Sicherheitsgründen grundlegend verbessert werden, bevor der Prozess dort beginnen konnte. Dies kostete viel Geld, und auch dies wurde in der Öffentlichkeit kritisiert. „Jeden Tag gibt die Regierung zehn Millionen Rupien fuer den pakistanischen Luxushäftling Kasab aus‘, liess sich ein BJP-Politiker mit Gratis-Rhetorik vernehmen, „während Hunderttausende unschuldige Inder Hunger leiden“.
Das Urteil
Kasab, der per Videokamera von seiner Zelle in den Gerichtssaal zugeschaltet wurde, tat sein Möglichstes, um den Prozess in die Laenge zu ziehen. Er widersprach sich immer wieder, er widerrief vorherige Aussagen, er beschwerte sich über die Haftbedingungen - oder er stierte einfach stumpf in die Kamera und verweigerte die Aussage.
Auch der pakistanische Staat, erwarb sich kein Ansehen, als er mit diplomatischen Querschüssen die Legalität des Verfahrens in Zweifel zog. Er hatte die Frechheit, die Auslieferung Kasabs zu verlangen, damit ihm in dessen Heimat der Prozess gemacht würde – dem Land, in dem die mutmasslichen Rädelsführer des Terrorakts frei herumlaufen.
Am letzten Montag verkündete das Oberste Gericht von Maharashtra nach einem langen Prozess das Urteil über Ajmal Kasab – Tod durch den Strang. Er wurde für schuldig befunden, 66 Menschenleben auf dem Gewissen zu haben. In einer Urteilsschrift von zwölfhundert Seiten setzte sich das Gericht mit den angeblichen mildernden Umständen auseinander – dem Alter, der Zwangsrekrutierung, der Jihad-Motivierung, mangelder Zurechnungsfähigkeit. Sorgfältig wurden die Argumente einander gegenübergestellt. Das Gericht kam zum Schluss, dass die entlastenden Argumente zu leicht wogen angesichts der massiven Beweislast, die zeigte, dass der junge Mann sein blutiges Handwerk mit Verve und Kaltblütigkeit verübt hatte. Bis zum Schluss des Prozesses habe er zudem keine Schuld akzeptiert, und noch weniger Bedauern gezeigt.
Das Argument der Verteidigerin
Die Verteidigerin hatte angesichts des klaren Tatbestands im Schlussplädoyer an den Richter appelliert, von einem Todesurteil gegen Kasab abzusehen. Sie argumentierte, dass dies genau das Martyrium sei, das er suche. Das stumpfe Instrument des Strangs sei gerade in diesem Fall das Gegenteil einer Bestrafung. Indien könne stattdessen mit einem ‚Lebenslänglich‘-Urteil seinen Ruf als Rechtsstaat unterstreichen.
Sie fand kein Gehör. Der gute Ruf des Landes wird dennoch nicht darunter leiden – im Gegenteil. Zwei Tage nach dem Urteil hat Ajmal Kasab beim Obersten Gericht in Delhi Berufung eingelegt. Er wird also mindestens noch zwei Jahre warten müssen, bis er von den 99 Jungfrauen im Paradies empfangen wird. Zumindest eines hat Kasab erreicht: Dank seinem Überleben ist es Indien gelungen, die Ziele des Terroranschlags zu durchkreuzen, mit der einzig legitimen Waffe: Indem es der Welt anhand des Prozessses zeigen konnte, dass es ein liberaler Rechtsstaat ist, der sich auch von einem grauenvollen Anschlag nicht davon abbringen lässt.
So wird der Eintrag für Kasab Eintrag in der Volkszählung lauten: "Pakistanischer Staatsbuerger, z.Zt. wohnhaft in Mumbai".