Marina Berlusconi feiert an diesem Samstag ihren 47. Geburtstag. Es ist kein Freudentag. Eine Geburtstagsparty gibt es nicht. Ihr Vater hat sich in seiner Villa San Martino in Arcore bei Mailand verschanzt. Er wartet dort den Lauf der Dinge ab. Noch immer hofft er, der 88-jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano würde ihn begnadigen. Zum ersten Mal verbringt Berlusconi den Sommer nicht in seiner Villa an der Costa Smeralda auf Sardinien.
Berlusconis enge Freunde poltern und protestieren noch immer – und sie weinen und weinen. Sie weinen öffentlich, vor den Kameras und in den Strassen, weil ihrem Übervater so schreckliches Unrecht angetan werde. Sie sammeln Unterschriften für ihn: im Internet und an den Ufern des Mittelmeers. Über die Strände fliegen kleine Flugzeuge mit flatternden Werbebannern „Forza Berlusconi, siamo con te“.
Was folgt nach Berlusconi?
Auch wenn öffentlich geweint wird: Hinter den Kulissen geht es weniger pathetisch zu. Auch Berlusconis Freunde wissen, dass eine Begnadigung ihrer Galionsfigur wenig wahrscheinlich ist. Einflussreiche Kräfte beginnen sich deshalb zu fragen: Was folgt nach Berlusconi?
Sein Parteienbündnis, der "Popolo della Libertà" (PdL), ist gespalten: Da gibt es die Falken. Repräsentiert werden sie vor allem von der energischen 52-jährigen Daniela Santanché. Sie gehörte einst der post-faschistischen Alleanza Nazionale an. Santanché und der 62-jährige Wirtschaftsprofessor Denis Verdini führen den Feldzug gegen die „kommunistischen Richter“ an. An ihrer Seite steht auch Sandro Bondi, der wegen Berlusconis Verurteilung „einen Bürgerkrieg“ für möglich hält.
Doch trotz lautem Geschrei: Wer führt Berlusconis Partei, wenn er ein Jahr unter Hausarrest steht und seinen Senatssitz verliert?
Berlusconi, eine Marke, ein Symbol
Der Popolo della Libertà steht und fällt mit Berlusconi. Die „Marke Berlusconi“ muss unbedingt gerettet werden. Sie ist ein Symbol. Und gerettet werden kann sie nur, wenn Berlusconis älteste Tochter, die neuntreichste Frau der Welt, das Szepter übernimmt.
Marina Berlusconi hielt sich bisher aus der Politik heraus. Mit harter Hand führt sie die Familien-Holding Fininvest. Ihr gehört das Medienimperium Mediaset mit seinen drei nationalen Fernsehkanälen an. Dabei sind auch der Mondadori-Verlag, der Fussballverein AC Milan und andere.
Die stets schwarz gekleidete, blondierte Marina, die eigentlich Maria Elvira heisst, führt 20‘000 Angestellte und erwirtschaftet einen Netto-Jahresgewinn von 100 Millionen Euro. Die Holding soll knapp fünf Milliarden Euro wert sein. Das Magazin „Forbes“ kürte Marina zur 49. einflussreichsten Frau der Welt.
Den Vater rächen
Sie ist Berlusconis Lieblingstochter. Was er denkt, denkt auch sie. Auch wenn die Welt über ihm zusammenbricht – sie verteidigt ihn durch dick und dünn. Jetzt gibt sie sich sogar auf Facebook als Freundin seiner 28-jährigen Verlobten aus.
Bereits mit dreissig Jahren setzte der Vater die Tochter an die Spitze seines Reiches. Sie soll einen harten, unerbittlichen Führungsstil pflegen. Verheiratet ist sie mit Maurizio Vanadia, einem früheren Ballett-Tänzer der Mailänder Scala. Sie hat zwei Söhne.
Jetzt also soll sie in die Fussstapfen ihres Vaters treten. Sie soll die Partei neu gründen und sie in die nächsten Wahlen führen. Und vor allem soll sie ihren Vater rächen.
Berlusconi hat fünf Kinder. Marina ist die älteste Tochter und stammt aus seiner ersten Ehe mit Carla Elvira Lucia Dall’Oglio. Aus der gleichen Ehe stammt Pier Silvio, der stets an der Seite von Marina anzutreffen ist, aber offenbar weniger Ambitionen hat. Aus Berlusconis zweiter, inzwischen geschiedenen Ehe mit der Schauspielerin Veronica Lario stammen drei weitere Kinder.
Politische Erfahrung hat sie keine
„Hoch die Gläser für Marina, la Cavaliera,“ schreibt die Berlusconi-treue Zeitung „Il Foglio“.
Am 14. September wollen die Falken der Partei in Rom einen landesweiten Kongress organisieren. Dann soll Marina als Berlusconi-Zarin lanciert werden.
Das einflussreiche linksliberale Nachrichtenmagazin „L’Espresso“ hat Marina am Freitag bereits eine Titelgeschichte gewidmet. Titel der Story: „Die Erbschaft“. Das Titelbild (siehe unten) zeigt eine wenig vorteilhaft abgelichtete, fast mumienhaft wirkende Frau. Durchgesickert ist, dass vor allem die Partei-Falken sich für Marina stark machen.
Politische Erfahrung hat sie keine. Doch das ist unwichtig. Wichtig ist, dass sie den Namen Berlusconi trägt. Noch hat sie sich nicht geäussert, und sie wird es wohl auch nicht so schnell tun.
Ihr Vater muss sich bis zum 15. Oktober entscheiden, ob er seine Strafe im Hausarrest absitzen will – oder ob er dem Sozialdienst für Sozialarbeiten übergeben wird.
Inzwischen mischt sich Berlusconi wie eh und je in die Politik ein. Am Donnerstag stellte er der Regierung Letta ein Ultimatum: Wenn die Eigenheimsteuer IMU nicht abgeschafft würde, werde seine Partei die Regierung stürzen.
Die neue "Forza Italia"
Berlusconi selbst dachte schon lange an eine Neugründung seiner Partei. Die jetzige Parteibezeichnung „Popolo della Libertà“ wirkt abgegriffen. Am vergangenen Sonntag trat er in Rom erstmals wieder vor einem Plakat mit der Aufschrift „Forza Italia“ auf. So hiess Berlusconis erste, 1994 gegründete Partei, mit der er in den Neunzigerjahren so erfolgreich war.
Marina Berlusconi hätte jetzt wohl die Aufgabe eine neue „Forza Italia“ zu gründen und ihre Führung zu übernehmen: Die „Nuova Forza Italia“. Berlusconi würde dann aus dem Hausarrest heraus die Fäden ziehen. Die Tochter würde als Spitzenkandidatin in die Wahlen ziehen, die wahrscheinlich im Herbst stattfinden.
Doch nicht alle in der Partei sind mit dieser Erbfolge glücklich. „Wann endlich gibt es bei der italienischen Rechten einen Neuanfang ohne Berlusconi?“, fragen sich einige. Beim grossen Pro-Berlusconi-Aufmarsch am vergangenen Sonntag in Rom fehlten die fünf Minister der Berlusconi-Partei. Ein Hinweis darauf, dass man das Kapitel Berlusconi beenden möchte. Der grosse Teil der Partei, sowohl auf nationaler, regionaler als auch auf lokaler Ebene hat Lust, auf die Barrikaden zu steigen, schreibt L’Espresso am Freitag.
Die Falken zur Vernunft bringen
Zwar könnten auch gemässigte Kräfte mit Marina Berlusconi leben. Doch viele der Tauben in der Partei streben einen Neuanfang an. Nach den Sommerferien, wenn sich der Vulkan beruhigt hat, wollen sie sich vermehrt zu Wort melden und versuchen, die Falken zur Vernunft zu bringen. Auch Renato Brunetta, der Fraktionschef des PdL hält wenig von einer Parteichefin Marina.
Zu den Gegnern der Erbfolge gehört auch Angelino Alfano, der Parteisekretär. Er war von Berlusconi jahrelang als Kronprinz aufgebaut worden. Mehrmals war er von seinem Übervater aufs schlimmste gedemütigt worden. Jetzt soll ihm plötzlich Berlusconis Tochter vor die Nase gesetzt werden?
Laut ersten Meinungsumfragen könnte Marina Berlusconi an der Spitze von Forza Italia anfangs zwischen 25 und 30 Prozent der Stimmen einfahren. Doch, so sagt der Meinungsforscher Alessandro Amadori, Marina müsse zuerst noch als politische Figur „konstruiert“ werden.
Keine Skandale
Da gibt es eine Parallele. In Frankreich hat die Tochter von Jean-Marie Le Pen das ganze Wählerpotenzial ihres Vaters erben und teils ausbauen können. Gelingt das auch der bisher wenig charismatischen Marina Berlusconi? Natürlich ist es ein Zufall, dass beide den gleichen Namen tragen: Marina, Marine.
Im Gegensatz zu ihrem Vater ist Marina nicht in Skandalgeschichten verwickelt. Nur einmal wurde sie topless abgebildet – und das ausgerechnet in Berlusconis Society-Blättchen „Chi“. Meist aber sieht man sie mit ernstem Gesicht. Das ewige Grinsen ihres Vaters fehlt der eisernen Managerin.
Eines hingegen hat sie mit ihm gemein. Auch sie unterzog sich mehreren Schönheitsoperationen. Linke Spötter nennen sie die „Schlauchboot-Marina“ wegen ihrer mit Silikon aufgeblasenen Lippen.