Der Besuch von Khaled Maschaal, dem Politbürochef der palästinensischen Hamas, in Saudi-Arabien ist eine Zäsur. Die Hamas wendet sich damit endgültig und demonstrativ von Teheran ab. Im Iran sprechen viele von Hochverrat. Die Saudis dagegen basteln mit allen Mitteln an ihrer sunnitischen Allianz. Auch Ayatollah Khamenei, der mächtigste Mann des Iran, will seine Politik in der Region unverändert fortsetzen - nach dem Atomdeal erst recht.
Wie viele Machtzentren und -zirkel gibt es im Iran, und was wollen sie jeweils? Das ist eine durchaus schwierige Frage, für deren Beantwortung es viele Methoden und Wege gibt. Man kann sich etwa die zahlreichen iranischen Nachrichtenagenturen vornehmen, um der Antwort ein wenig näher zu kommen. In wohl keinem anderen Land gibt es so viele Webseiten, die nicht nur den Titel „News Agency“ führen, sondern tatsächlich wie eine Agentur arbeiten und sich auch als solche verstehen. Der Geheimdienst, die Revolutionsgarden, die Studenten, das Arbeitsministerium, die Paramilitär-Organisation Basidj oder das Zentrum für schiitische Theologie in Qom: Sie alle und viele andere Organisationen und Institutionen betreiben eigene Nachrichtenagenturen.
Die IRNA, die offizielle Agentur der iranischen Regierung, ist dabei keineswegs die bestinformierte, schnellste oder einflussreichste. Es ist die FARS, die als Agentur des Geheimdienstes gilt, die in dieser unübersichtlichen Presselandschaft gemeinhin den Ruf des „primus inter pares“ innehat. FARS erlaubt sich daher oft als erste, auch problematische Meldungen zu verbreiten. Dann dürfen die anderen nachziehen, oft mit den gleichen Formulierungen. Ausserdem gibt es unter den Nachrichten dieser Agentur gelegentlich auch Leserkommentare, die einiges über Stimmungen und Einschätzungen in den geheimen Zirkeln der islamischen Republik verraten.
Hamas, das geliebte Ziehkind
„Lange haben wir sie gefüttert, nun werden wir verraten“, kommentiert etwa ein Leser am vergangenen Sonntag eine dreizeilige Meldung von FARS über die Reise von Khaled Maschaal, dem Politbürochef der palästinensischen Hamas, nach Saudi-Arabien. Andere Leser rügen seinen Ton als scharf und unangemessen, von einem Verrat der Hamas könne noch nicht die Rede sein. Die Kontroverse im Anschluss dreht sich dann darum, ob und wie man den verlorenen Bruder wieder heimholen könne. Diese brisante öffentlich geführte Diskussion, zudem in einer vom iranischen Geheimdienst gesteuerten Agentur, zeigt das Ausmass der Enttäuschung und Verärgerung über den engen Verbündeten – ein nicht zuletzt sehr kostspieliger Alliierter, in den man finanziell Unsummen und auch politisch Enormes investiert hat.
Hamas, Verräter und Feind? Sunnitisch und den Moslembrüdern aufs Engste verbunden, war die Hamas dennoch seit ihrer Entstehung vor 30 Jahren ein Lieblingskind der Islamischen Republik, eine revolutionäre Alternative zur Fatah, den als verwestlicht und verängstigt geltenden Leuten um den heutigen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas. In Teheran galt die Hamas und nicht der Vertreter der palästinensischen Autonomiebehörde als wahre Repräsentantin Palästinas.
Die verbalen Ausfälle des iranischen Expräsidenten Mahmud Ahmadinedschad gegen Israel waren mehr an die Gassen von Gaza gerichtet als an die Strassen von Teheran. Hamas-Führer wurden in den vergangenen Jahren auf höchsten Ebenen der Teheraner Macht wie Helden herumgereicht. Es gab sogar eine Art unausgesprochene Hierarchie, welcher iranische Politiker mit welchem Hamas-Funktionär öffentlich auftreten durfte. Die Gesandten der Organisation hatten Zugang zu den geheimen und dunklen Verliesen der eigentlichen Macht in Teheran. Die Türen der höchsten Entscheidungsträger standen ihnen weit offen. Aus dieser Zeit kennen sie jene wichtigen iranischen Geheimdienstoffiziere und Revolutionsgardisten, die die iranische Regionalpolitik bestimmen. Bis vor dem Ausbruch der syrischen Krise vor vier Jahren war die Hamas fast dreissig Jahre lang ein Kostgänger der islamischen Republik.
Syriens Krise als Katalysator
Doch der Beginn der Unruhen in Syrien war zugleich der Anfang vom Ende der Liaison zwischen den Revolutionären in Teheran und der Hamas-Führung, die seit Jahren in Damaskus residierte. Kurz nach dem Ausbruch der Proteste gegen Assad im März 2011 entschied sich die Hamas – beflügelt vom Arabischen Frühling - zunächst für eine Art passive Neutralität. Zeitgleich brachte sie nach und nach ihre Funktionäre aus Damaskus heraus und solidarisierte sich dann offen mit der syrischen Opposition.
Als ihr der damaszenische Boden schliesslich zu heiss wurde, verlegte sie ihr Quartier offiziell nach Katar am Persischen Golf. Assad nannte daraufhin die Hamas-Führung einen undankbaren Haufen. Kein Wunder, dass ihr Stern in Teheran rapide sank. Das Mass war voll, als wenig später Khaled Maschaal in Istanbul auf einem Parteitag der türkischen Regierungspartei AKP verkündete, die Türkei sei das Herz des Islam und Erdogan der geachtete Führer aller Muslime: eine Häresie ohne Gleichen, und ein weiterer Schritt in Richtung „Hochverrat“.
Gebet hinter dem neuen König
Ausgerechnet an Eid Fitr, dem Fest zum Ende des Fastenmonat Ramadan, begab sich Khaled Maschaal demonstrativ in die saudi-arabische Hauptstadt Riad und betete dort hinter dem neuen König Salman. Anschliessend traf er sich mit allen anderen Angehörigen der ersten Reihen der saudischen Macht: etwa dem Aussen- und dem Verteidigungsminister oder dem Geheimdienstchef. Später berichteten Nachrichtenagenturen, bei dem Besuch sei es vor allem um finanzielle Hilfe gegangen, die Hamas suche Sponsoren, um sich endlich aus der Abhängigkeit vom Iran zu befreien.
Doch es ging um viel mehr als um blosses Geld. Maschaals Gebet hinter dem König war eine hochpolitische Geste, Teil eines grösseren Plans, den König Salman seit seiner Thronbesteigung im vergangenen Januar in die Tat umsetzt. Der Maschaal-Besuch sollte demonstrieren, mit dem neuen König wehe ein anderer Wind in der islamischen Welt. Schritt für Schritt vervollständigen König Salman und sein Aussenminister ihre sunnitische Allianz gegen den schiitischen Iran. Ob mit dieser Strategie auch der alte Plan der Saudis aus dem Jahr 2007 für eine Verständigung zwischen Israel und Palästinensern wieder auf den Tisch kommt, ist noch offen. Doch einige Agenturen berichten bereits, auch Mahmud Abbas, Chef der Autonomiebehörde in Ramallah, werde in den nächsten Tagen nach Riad reisen.
Hamas, Saudis und Israel auf der einen, der Iran auf der anderen Seite
Für das Gelingen seiner Allianz ist der neue saudische König längst weit über den eigenen Schatten gesprungen. Das Kriegsbeil gegen die Moslembrüder wurde begraben, die Streitigkeiten mit dem einflussreichen Emirat Katar beigelegt, zudem setzte sich Salman dafür ein, dass die Hamas von der ägyptischen Terrorliste getilgt wurde. Was sie im Gegenzug den Saudis zusagte, ist nicht bekannt. Doch ein Dementi nach Maschaals Rückkehr aus Saudi-Arabien lässt manches erahnen: Der Chef des Politbüros habe die Forderung Saudi-Arabiens nach der Entsendung palästinensischer Kämpfer in den Jemen abgelehnt. Vorher hatte eine ominöse Webseite namens Nahost-Panorama berichtet, Mohammad bin Salaman, der saudi-arabische Verteidigungsminister, hätte Maschaal aufgefordert, Riad 700 palästinensische Kämpfer für den Krieg im Jemen zur Verfügung zu stellen.
Wie weit die Zusammenarbeit zwischen Hamas und Saudis auch gedeihen mag: Saudi-Arabien ist offenbar bereit, für die Eindämmung des iranischen Einflusses alles Erdenkliche zu tun, eine offene und inszenierte Annäherung an Israel eingeschlossen. „Die Region ändert sich täglich und wir müssen unsere Strategie entsprechend ändern“, sagte Moschee Yaalon, der Verteidigungsminister Israels, kühl und verärgert vergangenen Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem US-amerikanischen Amtskollegen Ashton Carter. Ob Yaalon in seine neue Strategie auch den Seitenwechsel der Hamas einbezieht, weg vom Iran hin zu den Saudis und damit Richtung Israel, bleibt bislang sein Geheimnis.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal