Doch je mehr sich das Datum nähert, umso mehr steigt die Nervosität der regionalen Rivalen Teherans, allen voran Saudi Arabien und Israel. Tel Aviv und Riad wollen gemeinsam ein Ende der iranischen Isolation verhindern.
Der arrogante Prinz
„Alle Optionen liegen auf dem Tisch.“ Gäbe es auf diesen Satz ein Urheberrecht, dann gehörte es wohl Barack Obama. Wie einen Refrain wiederholt der US-Präsident seit seinem Amtsantritt immer wieder diese Worte - oder besser gesagt diese Drohung - für den Fall, dass seine Diplomatie bei der Atomverhandlung mit dem Iran versagt. Doch seit vergangenem Montag hat Obama einen Konkurrenten, der denselben Satz an Teheran richtet. Er heisst Prinz Mohammad Ben Nawaf Ben Abdolaziz und ist Botschafter Saudi Arabiens in London: ein sehr wichtiger Mann der saudischen Dynastie auf einem sehr wichtigen Posten. Bei einem Interview, das der Prinz der britischen Zeitung „The Telegraph“ gab, führte er sich auf wie der Repräsentant einer Supermacht, die einen Unzüchtigen zähmen will. Er nannte in dem Zeitungsgespräch zunächst seine strikten und weitgehenden Bedingungen, die der Iran im Atomabkommen erfüllen müsse. Und fügte dann hinzu, auch danach müsse sich die Islamische Republik in der Region brav verhalten. Sonst seien alle Optionen wieder auf dem Tisch, so der Botschafter.
Das Selbstbewusstsein - manche sagen: die Arroganz -, die der Prinz in diesem Interview dem grossen Nachbarn gegenüber zur Schau stellt, ist beispiellos und gefährlich zugleich. Ist das lediglich Machtgehabe ohne Substanz? Oder will Saudi Arabien tatsächlich Teheran auch militärisch herausfordern?
Israelische Umfrage unter Saudis
US-Präsident Obama versucht, den Saudis die Angst von dem Iran zu nehmen (hier mit König Salman, Januar 2015)[/caption] In saudischen Medien jedenfalls hat die anti-iranische Stimmung eine derart gefährliche Dimension angenommen, dass man den Eindruck haben muss, der Waffengang zwischen Iran und Saudi Arabien stehe kurz bevor. Saudische Kommentatoren sprechen unverhohlen von der Unvermeidlichkeit eines Krieges mit dem Iran.
Wie weit und wie gefährlich diese Stimmung inzwischen auch unter der saudischen Bevölkerung gediehen ist, zeigt eine spektakuläre Telefonumfrage des israelischen Herzlija-Zentrums für interdisziplinäre Studien im Verbund mit der amerikanischen Universität Wisconsin-Milwaukee. Nicht Israel, sondern den Iran hält die Mehrheit der Saudis mittlerweile für die grösste Bedrohung, so das Ergebnis der Umfrage, die eine merkwürdige Tabelle der Gefahren aufstellt: Für 53 Prozent der Saudis ist der Iran die grösste Bedrohung, an zweiter Stelle kommt die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit 22 Prozent. Dass Israel der grösste Feind sei, sagen dagegen nur 18 Prozent. Ob diese Umfrage repräsentativ ist und wissenschaftlichen Standards genügt, mag man bezweifeln. Doch sie erfüllt ihren Zweck und führt zu jener Beinfreiheit gegenüber dem Iran, die sich Riad wünscht.
Demonstrativer Schulterschluss
Die gefühlte Gefahr ist inzwischen so gross, dass jedes Mittel recht und jede Hilfe willkommen ist - von wo auch immer: Wenn es sein muss, sogar aus Israel. Um dem iranischen Einfluss in der Region zu begegnen, ist keine Geheimniskrämerei mehr nötig. „Der Feind meines Feindes ist nicht unbedingt mein Freund, aber ein sehr nützlicher Verbündeter“, so lautete der Tenor vergangene Woche bei einem demonstrativen Schulterschluss zwischen dem saudischen Generalmajor Anwar Eshki und dem israelischen Botschafter Dore Gold beim Council on Foreign Relations in Washington.
Lächelnd und händeschüttelnd liessen sich die beiden einflussreichen Männer von der internationalen Presse fotografieren, und jeder warf dem anderen ein Argument für das ungewöhnliche Outing zu: Die geheimen Kontakte zwischen Riad und Tel Aviv bräuchten jetzt nicht mehr geheim zu bleiben, die Zeit werde knapp, Gefahr sei im Verzug. In drei Wochen könnte der Atomkonflikt vorbei und die iranische Isolation beendet sein, dann müssten Saudi Arabien und Israel mit einem neuen, „noch aggressiveren“ Iran rechnen.
Defensive, wohin man schaut
Anhänger des Schiitenführers Hussein Badreddin al-Huthi in Jemen[/caption] Je mehr man also sich der Deadline für ein Atomabkommen nähert, desto mehr nimmt der Druck auf die Islamische Republik zu: nicht nur medial, sondern auch militärisch, auf den verschiedenen Schlachtfeldern des nahöstlichen Bürgerkrieges. Wohin man auch schaut, sind die Verbündeten Teherans in die Defensive geraten. Und im Inneren ist Rouhanis Regierung mit wirtschaftlicher Misere, zähen Gegnern und der Atomdiplomatie beschäftigt. Im Jemen dauert die Bombardierung der schiitischen Huthis an, ohne dass Teheran eingreifen kann. Nicht einmal humanitäre Hilfe aus dem Iran darf nach Jemen gelangen.
Fragmentierung des Irak
In Syrien sind die Gegner Assads so weit auf dem Vormarsch, dass dieser Tag sogar spekuliert wird, ob die syrische Armee bald die Hauptstadt Damaskus aufgibt und sich nur noch mit der Verteidigung der Provinz Latakia und der Mittelmeerküste befasst. Und auch im Irak erweist sich die dortige schiitische Regierung als unfähig, den IS zu besiegen. Doch weder die Saudis noch die Amerikaner wollen das Schlachtfeld irantreuen schiitischen Milizen überlassen. Als das Weisse Haus am Dienstag bekannt gab, weitere 450 Militärausbilder in den Irak entsenden zu wollen, meldete sich umgehend Pentagon-Sprecher Steven Warren zu Wort, um jegliches Missverständnis zu vermeiden:
Die US-Armee wolle insbesondere mehr Sunniten für den Kampf gegen die Dschihadisten gewinnen. Als ob sich alle im und ausserhalb des Irak längst von der Zentralregierung verabschiedet hätten, wird gewollt oder ungewollt auch diese neue Militärhilfe zur weiteren Fragmentierung des Irak beitragen. So wird das Milizwesen das Schicksal des Irak auf Jahrzehnte hinaus bestimmen - ob es dann weiterhin ein Land namens Irak geben wird, ist ungewiss. Die Teilung des Irak scheint unvermeidlich, zumal die Kurden in diesem Chaos ihre einmalige und historische Chance sehen, endlich ihre staatliche und territoriale Souveränität zu erlangen. Dass diese offenbar unvermeidliche Entwicklung auch die iranischen Kurdengebiete beeinflussen wird, ist ebenfalls unvermeidbar. Das ist zwar eine Frage der Zukunft, aber nicht der fernen. Noch geht es für die Machthaber in Teheran darum, das Einsickern von Agenten des IS zu verhindern. Die offiziell erklärte rote Linie dafür beginnt 40 Kilometer jenseits der Grenze auf irakischem Territorium.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal