Es kommen die Richtigen, nicht die Falschen, schreibt der Nationalrat. Er verlangt mehr Respekt und Unterstützung auch für traumatisierte Flüchtlinge.
«Klarstellungen zur aktuellen Schweizer Asyldebatte» lautet der Untertitel des schmalen Büchleins vom grünen Nationalrat Balthasar Glättli. *) Zu Beginn wird die Geschichte des Asyls von der Aufnahme der Hugenotten bis heute kurz zusammengefasst. Der Politiker weist sodann darauf hin, dass die schwierige Situation der Flüchtlinge in letzter Zeit auch auf die Ausdehnung des Visumszwangs zurückzuführen sei. Im Vergleich zum 19. Jahrhundert trifft das zu, doch bezogen auf die letzten 50 Jahre ist das falsch. Die Visumspflicht ist in den letzten Jahrzehnten nämlich etwas beschränkt worden: Für Bürger vieler südamerikanischen Staaten sowie für jene z. B. von Albanien, Georgien, Kosovo und Serbien ist für einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen kein Visum nötig. Auf Anfrage teilt das SEM mit, dass für diese Art Visa die Regeln der Schengen-Staaten gelten. Für Aufenthalte von längerer Dauer sind die Vorschriften strenger; für solche Visa ist allein die Schweiz zuständig.
Glättli schreibt:«Eine andere Asylpolitik ist möglich.» Es gebe Verbesserungen die heute schon machbar seien, andere verlangten eine Gesetzesänderung. In den letzten Jahren sei die Asylpolitik stets verschärft worden. Deshalb will der grüne Politiker die Möglichkeit für kleine und grössere Verbesserungen ausloten.
Für sichtere Fluchtwege
Justizminister Beat Jans wird vom grünen Politiker eingeladen, sichere Fluchtwege für bedrohte Menschen zu schaffen. Möglich sei das auf verschiene Weise, ohne das Gesetz zu ändern.
- Personen, die ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet sind, können auf Schweizer Botschaften ein humanitäres Visum erhalten. So dürften sie legal in die Schweiz einreisen und hier ein Asylgesuch stellen. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) verlange für die Gewährung eines humanitären Visums jedoch einen aktuellen und engen Bezug zur Schweiz. Diese starke Einschränkung – so Glättli – ist weder im Gesetz noch in der Verordnung verankert. Dazu ist zu ergänzen, dass die Möglichkeit, ein Asylgesuch in einer Schweizer Botschaft einzureichen, im Jahr 2012 abgeschafft wurde. Das wurde damals besonders von Organisationen kritisiert, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
- Kontingentsflüchtlinge aufnehmen. Das Uno Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) sucht verzweifelt Plätze für besonders verletzliche Flüchtlinge, die als solche anerkannt sind, aber in Flüchtlingslagern leben und eine neue Heimat benötigen. Über sogenannte Resettlement-Kontingente entscheidet der Justizminister, wenn es um wenige Personen geht; handelt es sich um eine grössere Zahl, entscheidet der Bundesrat in eigener Kompetenz. Glättli weist darauf hin, dass die Zahl der Asylgesuche von Jahr zu Jahr stark schwankt. Das führt zu einem ständigen Auf- und Abbau der Aufnahmestrukturen und des Personals. Deshalb sei in Jahren, da weniger als z. B. 25'000 Asylgesuche gestellt werden, das Kontingent für Resettlement-Flüchtlinge entsprechend zu erhöhen.
Dublin-Appell: nicht alle zurückführen
- Dublin-Verfahren. Die Schweiz hat das Recht, in Härtefallen und für den Familienzusammenhalt auch dann auf Asylgesuche einzutreten, wenn die Geflüchteten bereits in einem andern Land Fingerabdrücke hinterlassen haben. Glättli erinnert daran, dass der 2017 lancierte Dublin-Appell von der Schweiz fordert, auf Rückführungen von Familien mit Kleinkindern oder mit eingeschulten Kindern sowie von kranken Menschen mit Betreuungsbedarf zu verzichten. Die Schweiz hingegen wende die Dublin-Regeln konsequent an und führt die Menschen zurück in das Land, wo sie zuerst registriert worden sind.
Traumatisierten Menschen besser helfen
Weiter verlangt Glättli einen würdigeren Umgang mit Flüchtlingen, besonders mit solchen die in ihrem Herkunftsland und auf ihrer Reise traumatisiert worden sind. Sie dürften nicht mit Psychopharmaka «stillgelegt», sondern auf sachgerechte Weise behandelt werden. Aber auch Verbesserungen, die Gesetzesänderungen verlangen, werden aufgezählt.
Viele Vorschläge von Nationalrat Glättli sind sachlich berechtigt und wünschenswert. Er unterlässt es jedoch, sein Begehren auch wirtschaftlich zu rechtfertigen. Angesichts der ständigen Hinweise auf den Arbeitskräftemangel sollten die Asylsuchenden als künftige Arbeitskräfte nicht vernachlässigt werden. In den Kantonen werden anerkannte Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Asylsuchende sehr unterschiedlich gefördert.
Die meisten möchten arbeiten, um ihre Zukunft selbst gestalten zu können und später eine Familie zu gründen. Deshalb ist es wichtig, jungen Männern und Frauen eine Berufslehre zu ermöglichen. Entsprechende Programme, die junge Menschen auf die schulischen Anforderungen vorbereiten, bestehen, sollten aber ausgeweitet werden, damit in den verschiedenen Kantonen niemand durch die Maschen fällt.
Weiter müssten mit den zahlreichen Asylsuchenden, die in ihrem Land ein Diplom z. B. als Ingenieur oder als Arzt oder Ärztin erworben haben – Diplome, die bei uns nicht anerkannt werden – eine Weiterbildung angeboten werden, damit sie möglichst schnell in ihrer Branche arbeiten können. Die Unternehmer und vor allem ihre Verbände sind sich bewusst, dass es schwieriger geworden ist, die Einwanderung wie bisher anwachsen zu lassen.
Der Widerstand dagegen nimmt in der Bevölkerung zu. Deshalb wäre es angezeigt, die bereits hier lebenden Geflüchteten mit der Unterstützung von Unternehmen, Kantonen und Flüchtlingsorganisationen zu fördern und in die Arbeitswelt zu integrieren. Dadurch erreichen die Geflüchteten die finanzielle Unabhängigkeit von der Sozialhilfe und festigen ihr Selbsbewusstsein. Gleichzeitig sparen Kantone und Bund Sozialleistungen und Unternehmen finden zusätzliche motivierte Arbeitskräfte.
*Balthasar Glättli: Es kommen die Richtigen. Verlag BoD, 2024, 51 Seiten