Nicht umsonst wird immer wieder vom „Hunger und dem Durst nach Gerechtigkeit“ gesprochen, wie es zum Beispiel der Papst bei seiner letzten Neujahrsansprache getan hat. Und nichts ist besser, als für eine „gerechte Sache“ zu kämpfen und womöglich zu sterben.
Am Wort Gerechtigkeit zeigt sich jene unglaubliche Kraft der Sprache, die meistens unterschätzt oder gleich ganz übersehen wird. Denn die Sprache kann Dinge benennen und sie geradezu unabweisbar präsentieren, die es „in der Realität“ gar nicht oder nur annäherungsweise gibt. Man kann etwas gerecht verteilen, man kann Menschen oder sogar Dingen „gerecht werden“. Aber das sind immer nur Momentaufnahmen. Es handelt sich dabei, wie Ernst Bloch gesagt hätte, um einen „Vorschein“ dessen, was mit Gerechtigkeit eigentlich gemeint ist. Worum handelt es sich dabei?
Die meisten Menschen würden sagen: Nur eine gerechte Welt ist eine gute Welt. Jeder Mensch soll das bekommen, „was ihm zusteht“. Entsprechend weist eine ungerechte Welt schwere Mängel auf. Die „gute Welt“ liegt buchstäblich im Jenseits, aber sie wirkt durch die Sprache. Um so schmerzlicher die Mängel hier. Auch hier sehen wir wieder, was die Sprache kann: Sie lenkt den Blick auf etwas, vor dem die meisten Menschen gerne die Augen verschliessen würden, sofern sie nicht selbst direkt von Ungerechtigkeit betroffen sind.
Aber was ist nun, wenn die, die meinen, dass ihnen Unrecht geschieht, Gerechtigkeit einfordern? Dann wird gekämpft, verhandelt, verdrängt und verleugnet. Und dann stellt sich heraus: Für Gerechtigkeit gibt es keine Spezialisten. Die einzigen, die seit Jahrhunderten ausschliesslich dazu bestellt sind, für irdische Gerechtigkeit zu sorgen, sind die Juristen. Aber von ihnen hat die Menschheit nur gelernt, dass Recht und Gerechtigkeit zweierlei Ding sind.
Sollte man das Wort „Gerechtigkeit“ streichen? Angenommen, das ginge, was bliebe dann? Zynismus.