Es ist völlig egal, ob Griechenland 50 oder mehr Prozent seines Staatsschuldenberges von inzwischen rund 380 Milliarden Euro erlassen wird. Solange die Hellenen im Korsett des Euro bleiben, werden sie danach nur eines tun können: neue Schulden machen.
Im Korsett des Euro gefangen
Denn es gehört zum Einmaleins der Volkswirtschaft, dass sich ein in einer Rezession befindliches Land nur dann aufrappeln kann, wenn es über die Möglichkeit verfügt, seine Produkte auf dem Weltmarkt billiger anzubieten und interne Leistungen, wie Tourismus, zu attraktiven Preisen zu verkaufen.
Das Gleiche gilt sicherlich auch für Portugal, sehr wahrscheinlich ebenfalls für Italien und Spanien. Obwohl es inzwischen den Bankern aller Länder gelungen ist, sich eines grösseren Teils griechischer Staatsschuldpapiere zu entledigen, wird ein nennenswerter Schuldenschnitt Löcher in ihre Bilanzen reissen, die sie in den Abgrund werfen, da sie weiterhin nur über ein lächerlich geringes Eigenkapital verfügen.
Das gilt in erster Linie für französische Finanzinstitute, aber auch für italienische, spanische und deutsche. Und weltweit hängen die meisten Grossbanken via Multimilliarden CDS, das sind diese teuflischen Kreditausfallderivate in der Tradition des Hyposchrottgebastels CDO, ebenfalls mit drin. Denn die würden ja bei einem Bankrott Griechenlands (oder wie man das auch immer schönfärberisch bezeichnen will) sofort fällig werden.
Gemeingefährliche Politiker
Wir wollen hier nicht in die jüngere Vergangenheit schweifen und den Leser mit den gesammelten Wortbrüchen, glatten Lügen und uneingelösten Versprechen der Europolitiker langweilen, ebenso wenig mit der Kakophonie der sich ständig gegenseitig und sich selbst widersprechenden Einlassungen eines Juncker, Barroso, Trichet, Sarkozy oder einer Merkel. Aber man kann amtlich festhalten: In lediglich zwei Jahren ist es ihrem gesammelten Sachverstand gelungen, aus einem überschaubaren Problem eines unbedeutenden Randstaates der Euro-Zone eine potenzielle Weltfinanzkrise zu basteln.
Daran wird der Gipfel nach dem Gipfel am Mittwoch auch nichts ändern. Es fällt schwer, dazu historische Parallelen zu finden. Mit etwas krampfhaftem Optimismus kann man immerhin festhalten: Die Fehlgeburt, die Fehlkonstruktion Euro ist am Ende, und das hat in allem Schlechten immerhin etwas Gutes. Hätte, da die sich abzeichnenden nächsten vermeintlichen Rettungsmassnahmen mit verblüffender Konsequenz weiter in den Abgrund führen:
–Schuldenschnitt für Griechenland, was kein einziges Problem löst und nur neue schafft
–Rekapitalisierung dadurch absaufender Banken, ohne denen den Zugang zum Zockercasino der Derivatwetten zu verbieten
–Hebelung des existierenden Rettungsschirms in die Billionenliga, ein gefährlicher Taschenspielertrick, mit dem die für neue Schulden nötige Zustimmung der europäischen Parlamente ausgehebelt werden soll
–Fortgesetzter Zwang, dass die Europäische Zentralbank, ein Unding, Staatsschuldpapiere aufkauft, also ein Schuldpapier durch das Drucken eines neuen ersetzt
Handelte es sich hier nicht um von strafrechtlicher Verfolgung und Haftung freigestellte Politiker, die darin Bankern gar nicht unähnlich sind, sondern um die Sanierung einer real existierenden Firma, müsste man von krimineller Insolvenzverschleppung sprechen, plus Gläubigerbetrug. Aber leider sind Regierungsmitglieder oder Eurokraten haftungs- sowie verantwortungsfrei, und genau so verhalten sie sich auch.
Die letzten Zuckungen
In der Endphase des real existierenden Sozialismus klaffte Ideologie und wirtschaftliche Realität immer weiter auseinander. Selbst der Bürokrat in der staatlichen Planungsbehörde Gosplan in Moskau lachte sich innerlich kaputt, wenn er die frei erfundenen Zahlen in den nächsten Fünfjahresplan eintrug. Währenddessen schwärmte die Partei von neuen Errungenschaften, Triumphen und Erfolgen, in denen sich einmal mehr die Überlegenheit des Sozialismus manifestiere.
Während die Bevölkerung, mangels Mitspracherecht, zuerst mit den Schultern zuckte, dann die Faust im Sack machte und schliesslich auf die Strassen ging. Dass der Sozialismus siegen werde, was er ständig angesichts sich wiederholender Niederlagen auch musste, glaubte sowieso niemand mehr, obwohl der Sozialismus doch «alternativlos» war.
Genauso wenig, wie heute eine Mehrzahl von Untertanen, Steuerzahlern und Staatsbürgern in Europa ihren Regierungen noch abnimmt, dass deren Handeln kompetent, verantwortungsbewusst, erfolgreich sei, oder gar «alternativlos». Wir erleben also die letzten Zuckungen des real existierenden Euro-Raumes.
Scheitert Europa?
In all dem unsäglichen Geschwafel gibt es einen Satz, der das Problem auf den Punkt bringt: «Scheitert der Euro, scheitert Europa.» Bundeskanzlerin Merkel hat ihn unlängst wiederholt, und er bringt die unfassbare Realitätsblindheit der Regierenden auf den Punkt. Der Euro ist schon längst gescheitert, die Frage ist nur noch, ob und wie Europa scheitert.
In Griechenland herrschen bereits, wie prognostiziert, bürgerkriegsähnliche Zustände. Eine Mehrheit der Bevölkerung fühlt sich zu Recht von der eigenen Regierung nicht mehr vertreten, weil inzwischen eine «Troika» das Heft in die Hand genommen hat. Spanien, Portugal und Italien sind die nächsten Kandidaten für Manifestationen der Unregierbarkeit.
Und über allem schwebt das weltweite Finanzsystem, das sich in einer weitgehend ähnlichen Situation wie im Jahre 2008 befindet. Nur mit dem Unterschied, dass die meisten «lender of the last resort», also Staaten, inzwischen auch vor dem Bankrott stehen.
Auch die Insel Schweiz betroffen
Verblüffend ist weiterhin, dass sich nur ein bunter und kleiner Haufen von Unentwegten in Form der «Occupy»-Bewegung zu erstem und eher hilflosem Protest aufrafft. Offensichtlich ist es bei den Steuerzahlern, Rentenanwärtern und Sparern, also bei uns allen, noch nicht angekommen, dass in diesen Monaten unser gesammeltes Kapital verröstet wird. Es herrscht die gefährliche Ansicht: Wird doch schon nicht so schlimm werden, und die Regale in der Migros sind doch noch voll.
Aber glaubt jemand ernsthaft, um das stabilste Land in der Euro-Zone zu nehmen, dass Deutschland jemals in der Lage sein wird, den staatlich angehäuften Schuldenberg anders als durch eine galoppierende Inflation oder durch einen brutalen Schuldenschnitt wegzuhauen? Oder dass sich die Insel Schweiz mit ihrem ebenfalls weiterhin unregulierten Bankensystem diesen Auswirkungen entziehen kann?