Keiner hat es so klar formuliert: Nach dem Sieg im Kalten Krieg haben die USA als alleinige Supermacht die Legitimität, die neue Weltordnung bestimmen zu können. Und keiner forderte mit gleicher Konsequenz, der ehemalige Erzfeind Russland sei aus Europa durch NATO – Erweiterung, Weltraumbewaffnung herauszuhalten und durch eine Einkreisung mit Militärbasen sowie einen Raketenschild militärisch zu schwächen. Die Rede ist von Zbigniew Brzezinski.
Der 1928 in Warschau geborene polnische Amerikaner war Sicherheitsberater von Präsident Carter (1977 – 1981). In einem Interview enthüllte er 1998, dass die USA schon vor der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (1979) die Mudschahedin unterstützt hätten, um damit die Wahrscheinlichkeit eines Einmarsches der UdSSR zu erhöhen und so den Erzfeind in „sein Vietnam“ zu stürzen. Der Kritik, die USA hätten islamische Fundamentalisten und spätere Terroristen finanziert, entgegnete Brzezinski 1998: „Was ist wohl bedeutender für den Lauf der Weltgeschichte? Ein paar verwirrte Muslime oder die Befreiung Mitteleuropas und das Ende des Kalten Krieges?“
Russland - ein „schwarzes Loch“
1997 betrachtete Brzezinski Russland als einen „gescheiterten Staat“, der für absehbare Zeit in Chaos, Armut und ethnischen Konflikten versinken würde. Russland wurde von ihm als „schwarzes Loch“ beschrieben, das über keinerlei „politische Wahl“ mehr verfüge, „denn im Grund genommen geht es ums nackte Überleben“.
Amerika – „Herrscher der Welt“
Im gleichen Jahr 1997 prophezeite Brzezsinki, „die USA würden mindestens für den Zeitraum einer Generation – also bis 2027 oder darüber hinaus – ihren Supermachtstatus in der Welt aufrechterhalten können. In seinem Buch „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (1997) ging Brzezinski von einem auf „fortschreitender Globalisierung beruhenden Weltsystem“ aus, das „die Insignien des derzeitigen Herrschers der Welt annehmen“ werde. Das politische System der USA und seine Kultur würden sich auf ein transnationales Weltsystem übertragen und in diesem sich auflösen. Das sei die „angemessene Erbschaft, die Amerika als erste, einzige und letzte echte Supermacht der Nachwelt hinterlassen würde.“
Radikales Umdenken
Von dieser Vision nimmt Brzezinski in seinem jüngsten Buch (Strategic Vision - America and the crisis of global power. New York 2012) Abschied. Er spricht von einer zunehmenden Schwächung der westlichen Staatengemeinschaft. Der gleiche Brzezinski, der noch nach dem georgisch-russischen Krieg 2008 Putin mit Hitler verglichen hat und sich für eine dauerhafte Isolierung Russlands aussprach, fordert heute eine Annäherung und langfristige Kooperation mit dem ehemaligen Feind. Russland und die Türkei müssten in den Westen integriert werden. Nur ein um diese Länder „vergrösserter Westen“ könne der Gefahr ausweichen, selber isoliert zu werden. Die Zeit sei vorbei, da die USA und Europa mit grossspuriger Attitüde gegenüber Russland, China, Indien, Brasilien, Pakistan oder Iran auftreten könnten.
Parallelen Sowjetunion - USA
Was hat Brzezinski vom „Saulus zum Paulus“ gemacht? Ein wichtiger Grund für sein Umdenken ist der Zustand der USA. Erstaunlich und für viele Amerikaner schwer verdaulich ist, dass sie von Brzezinski hören müssen, Amerika könnte die gleiche Form von systematischer Lähmung erleben, mit der die Sowjetunion vor ihrem Zusammenbruch in den 80er Jahren konfrontiert war.
Im Vorwort zu seinem Buch stellt er folgende Parallelen zwischen der UdSSR der 80er Jahre und den heutigen USA fest: 1. Ein festgefahrenes und reformunfähiges politisches System. 2. Bankrott durch militärische Abenteuer und übermässige Rüstung. 3. Sinkender Lebensstandard der Bevölkerung. 4. Eine politische Klasse, die zunehmend unsensibel für die steigende soziale Ungleichheit ist und nur darauf bedacht ist, ihre Privilegien zu verteidigen.5. Versuch, den innenpolitischen Legitimitätsverlust durch aussenpolitische Feindseligkeit zu kompensieren. Und 6. Eine Aussenpolitik, die in die Selbstisolation führt.
Brzezinski glaubt, die zunehmende Lähmung der USA könne nur durch massive innen- und aussenpolitische Reformen überwunden werden. Wie die USA ihre innenpolitischen Krisen konkret überwinden und ihre Aussenpolitik neu ausrichten müssen, wird nicht diskutiert.
Ignorante Öffentlichkeit – einseitige Medien
Brzezinski stellt in allen westlichen Staaten eine aussenpolitische Ignoranz der Öffentlichkeit fest. Der US-Aussenpolitiker kritisiert die Einseitigkeit der westlichen Medien, die zunehmend von Feindbildern bestimmt würden, während die aussenpolitischen Perspektiven anderer Staaten oft nur verzerrt oder gar nicht wiedergegeben würden. Die westliche Berichterstattung untergrabe auf diese Weise die Ausstrahlungskraft der Demokratie und würde so die sich bereits abzeichnende Isolation des Westens weiter verstärken.
Mit Recht beklagt Brzezinski die Ignoranz der Öffentlichkeit und Einseitigkeit der Medien. Als ehemaliger Sicherheitsberater weiss er aber auch, wie es zu dem von ihm beklagten Missverhältnis gekommen ist. Weil moderne Kriege in den Medien gewonnen werden, wenden seit dem Vietnamkrieg das Pentagon und die Nato immer mehr Mittel für ihre „Öffentlichkeitsarbeit“ auf. Der Einfluss des militärisch – industriellen Komplexes auf die Medienberichterstattung, das Phänomen des „eingebetteten Journalismus“, die Rolle der Think Tanks usw. werden in Brzezinskis Buch aber nicht thematisiert. Auch eine selbstkritische Reflexion des prominenten Aussenpolitikers fehlt, dass er mit seinen Publikationen auch zur Einseitigkeit der öffentlichen Meinung beigetragen haben könnte.
Was hat der Westen noch zu bieten?
Allerdings gibt Brzezinski zu, in seinem Vergleich mit der Sowjetunion etwas übertrieben (overdraw) zu haben. Es gebe nicht nur Parallelen sondern auch Unterschiede. In den USA herrschten heute im Gegensatz zur damaligen Sowjetunion Demokratie und Freiheit. Das ändert aber nichts an den harten Realitäten: Die USA und Europa verlieren wirtschaftlich, militärisch und damit auch politisch an Gewicht. Als einzige Werte, mit denen sich der Westen gegenüber der übrigen Welt auszeichnen könne, verbleiben Demokratie und Freiheit. Brzezinski gibt dem Westen den Ratschlag, sich auf diese „soft power“ zu besinnen. Aber Demokratie, so warnt der ehemalige „Kalte Krieger“, lasse sich nicht durch aussenpolitischen Druck verbreiten sondern nur durch eigenes Beispiel.