
Die Helden sind müde, aber zufrieden. Im Allgemeinen. Nach einer Übergangsphase nach dem Abgang von Alexander Pereira hat nun ein neues Leitungsteam das Ruder der Salzburger Festspiele übernommen. Ein Team, zu dem nicht nur Männer gehören, sondern auch eine Frau: die Schweizerin Bettina Hering, Leiterin des Schauspiels.
Die Abschlusszahlen lassen sich sehen: Die Auslastung betrug 97 Prozent, und damit ein Prozent mehr als im Vorjahr; dies bei Preisen von 5 bis 450 € für die insgesamt 261’500 Tickets. Übriggeblieben ist dabei ein Überschuss von 1,6 Millionen € auf der finanziellen Seite. Und die Erkenntnis, dass Salzburg mit der neuen Leitung wieder auf künstlerisch höherem Niveau steht. Keine schlechte Bilanz also.
Generationenwechsel
Dank Markus Hinterhäuser, dem neuen Intendanten, wurde auch ein Generationenwechsel eingeleitet. Natürlich sind die grossen klangvollen Namen der vergangenen Jahre immer noch zugkräftig: allen voran Anna Netrebko, die sämtliche Kassen füllt, aber auch Riccardo Muti, Cecilia Bartoli, Daniel Barenboim, Placido Domingo oder Anne Sophie Mutter gehören einfach zum Grundgestein Salzburgs.
Neue Künstler sind allerdings dazu gekommen und haben sich sofort als Publikumslieblinge etabliert. Das gilt insbesondere für Teodor Currentzis und seine famose Musiker- und Sängertruppe aus dem russischen Perm, für die junge französische Sängerin Marianne Crebassa, die bereits als „Entdeckung des Jahres“ gilt, seit sie in der Hosenrolle des Sesto so überwältigend in Mozarts „La Clemenza di Tito“ auftrat. Zu den Stars gehört aber auch Simon Stone, der Aribert Reimanns Oper „Lear“ unter der musikalischen Leitung von Franz Welser-Möst, dem ehemaligen Generalmusikdirektor des Zürcher Opernhauses, so spektakulär inszeniert hat. Noch in der vergangenen Spielzeit war Simon Stone Hausregisseur am Theater Basel und hat schon dort mit seinen Inszenierungen für Aufsehen gesorgt.
Spitzenreiter bei der Anzahl von Zuschauern war freilich auch dieses Jahr „Jedermann“, ohne den Salzburg nicht denkbar wäre. 35’000 Besucher haben die Geschichte von Jedermann und seiner Buhlschaft angesehen. Zu Beginn wegen des Salzburger Dauer-Schnürlregens im Festspielhaus, später dann doch noch vor der eindrücklichen Kulisse des Domplatzes.
Jedermann – zeitgemäss zeitlos
Auch Bettina Hering, die neue Schauspielchefin der Salzburger Festspiele, kann also zufrieden sein mit ihren ersten Festspielen, obwohl ihr dieser „Jedermann“ zu Beginn auch etliche Probleme bereitet hat. Statt einer Auffrischung der bisherigen „Jedermann“-Aufführung musste innert kürzester Zeit eine Neu-Inszenierung her, weil das Regieteam sich querstellte und sozusagen über Nacht ein neues gefunden werden musste, das dann aber auch eine gänzlich neue Inszenierung auf die Beine stellte. Mit Starschauspieler Tobias Moretti in der Titelrolle und Stefanie Reinsperger als Buhlschaft. Ganz ohne Barock, dafür zeitgemäss zeitlos.
„Eine Neu-Inszenierung des ‚Jedermann‘ ist schon etwas Spezielles“, sagt Bettina Hering. Ihr winziges Büro liegt hoch oben auf dem Mönchsberg. Tief unter ihr der düstere Tunnel, der auch zur Parkgarage im Fels führt. Der Blick über die Salzburger Residenz, den sie hier oben hat, ist allerdings atemberaubend. „Grüezi“ kann man hier sagen, wenn man eintritt, denn Bettina Hering kommt aus Zürich. Sie lebt aber schon einige Jahre in Österreich und war Intendantin am Theater in St. Pölten, bevor sie nach Salzburg berufen wurde.
„Die Erwartungshaltung gegenüber dem ‚Jedermann‘ ist riesig“, nimmt sie den Faden wieder auf. „Die Uraufführung hat ja unter der Leitung von Max Reinhardt 1911 in Berlin stattgefunden.“ Reinhardt war es auch, der mit dem „Jedermann“ 1920 in Salzburg die Festspiele begründete. Während des zweiten Weltkriegs wurde das Stück nicht gespielt, seither aber jedes Jahr. „Das ist schon ein Phänomen, das es im deutschsprachigen Raum so nur einmal gibt“, sagt Bettina Hering. „An dieser Entwicklung beteiligt zu sein und weiter daran zu bauen, empfinde ich als grosse Verantwortung und Herausforderung. Man braucht auch eine Art Pioniergeist dafür.“ Nach 14 Vorstellungen von „Jedermann“ zieht sei Bilanz: „Die Neuinszenierung des ‚Jedermann’ mit dem fabelhaften Tobias Moretti in der Titelrolle und Stefanie Reinsperger als Buhlschaft ist mit seiner Neupositionierung sehr gut aufgenommen worden und verbindet für mich Tradition mit der Moderne.“
Inhaltliche Verknüpfungen
Neben „Jedermann“ gab es natürlich noch andere Theaterstücke, bei denen Bettina Hering die Verbindung zur Oper wichtig war. „Unser Motto lautete ‚Strategien der Macht’. Und da ist Frank Wedekinds Schauspiel ‚Lulu’ zum Beispiel ein totales Spiegelstück zu Schostakowitschs Oper ‚Lady Macbeth von Mzensk’. Das sind beides höchst komplexe Frauenfiguren, die auch gewisse Strategien haben, denen sie teilweise zum Opfer fallen. Oder Gerhart Hauptmanns ‚Rose Bernd’ ist für mich ein Spiegelstück zu Alban Bergs ‚Wozzeck’. Beide stehen auf der Verliererseite.“
Solche inhaltlichen Verknüpfungen – zu denen auch Konzerte gehören – soll es in den nächsten Jahren weiterhin geben. Und wenn möglich auch Uraufführungen von Stücken, die im Auftrag der Salzburger Festspiele geschrieben werden sollen. „Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Punkt und für das Theater ganz vital“, sagt Bettina Hering. „Man kann allerdings nicht alles in einer einzigen Spielzeit schaffen und ich bin froh, dass wir noch einige Zeit vor uns haben.“