ROG-Rangliste der Pressefreiheit
Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen wird seit 2002 jährlich erstellt. Sie zeigt den Stand der Medienfreiheit in 180 Ländern anhand der Kriterien Medienvielfalt, Unabhängigkeit der Medien sowie Sicherheit und Freiheit der Medienschaffenden. Die Rangliste 2017 bezieht sich auf das Jahr 2016. Die Länderergebnisse ergeben sich aus den Antworten auf einen Fragebogen in 20 Sprachen, der weltweit von Expertinnen und Experten ausgefüllt wird; dazu kommt eine qualitative Analyse. Je höher die Punktezahl ausfällt, desto schlechter ist die Platzierung auf der Rangliste.
Die Rangliste der Pressefreiheit 2017 von Reporter ohne Grenzen (ROG) spiegelt eine Welt wider, in der Angriffe auf Medien alltäglich geworden und «starke Männer» auf dem Vormarsch sind. Es ist eine Ära des Postfaktischen, der Propaganda und der Repression – insbesondere in den Demokratien. Die Schweiz belegt in der Rangliste wie im Vorjahr Platz sieben.
Die aktuelle ROG-Rangliste der Pressefreiheit zeigt die Gefahr einer negativen Wende der Situation der Presse- und Informationsfreiheit speziell in den führenden demokratischen Staaten auf. Traditionelle Demokratien, die im Umgang mit der Medienfreiheit als vorbildlich galten, haben bereits in den Vorjahren in der Rangliste Plätze verloren. Überwachungsobsession und Verletzungen des Quellenschutzes haben dazu beigetragen, dass dieser Prozess ungebremst weitergeht, etwa in den USA (43. Platz/-2), im Vereinigten Königreich (40. Platz/-2), in Chile (33. Platz/-2) und Neuseeland (13. Platz/-8).
Giftige Diskurse über Medien
Donald Trumps Aufstieg an die Macht in den Vereinigten Staaten und die Brexit-Kampagne im Vereinigten Königreich waren geprägt von Medienbashing und giftigen Anti-Medien-Diskursen, welche die Welt in eine neue Ära von Postfaktischem, Desinformation und «Fake News» führten.
Gleichzeitig wurde die Medienfreiheit überall dort zurückgebunden, wo sich das Modell des autoritären «starken Mannes» durchsetzte. So etwa in Jaroslaw Kaczynskis Polen (54. Platz/-7), wo das Regime nach der Umwandlung der öffentlichen Radio- und TV-Stationen in Propaganda-Werkzeuge versuchte, unabhängige Zeitungen, die sich gegen die Reformen des Regimes aussprachen, finanziell unter Druck zu setzen. Viktor Orbáns Ungarn (71. Platz) verlor vier Ränge, John Magufulis Tansania (83. Platz) deren zwölf. Nach dem Putschversuch gegen Recep Tayyip Erdogan bewegte sich die Türkei (155. Platz/-4) ins Lager der autoritären Regimes und ist nun das Land, in dem weltweit am meisten Medienschaffende inhaftiert sind. Wladimir Putins Russland bleibt im hinteren Bereich der Rangliste auf Platz 148.
«Das Tempo, mit dem sich Demokratien dem kritischen Punkt nähern, ist alarmierend für alle, die davon ausgehen, dass ohne eine stabile Pressefreiheit auch die anderen Freiheiten nicht garantiert sind», kommentiert Christophe Deloire, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen International: «Wohin wird diese Abwärtsspirale uns führen?»
Norwegen auf dem ersten, Nordkorea auf dem letzten Platz
In der aktuellen Rangliste sind sogar manche der traditionell weit vorne platzierten Staaten im Norden Europas zurückgefallen. Nach sechs Jahren an der Spitze hat Finnland (3. Platz/-2) seine Position aufgrund von politischem Druck auf Medien und Interessenkonflikten verloren. Auf Rang eins liegt nun Norwegen (1. Platz/+2). Schweden (2. Platz/+6) hat seine Position deutlich verbessert. Zwar werden dort Medienschaffende nach wie vor bedroht, doch die Behörden haben im vergangenen Jahr sehr klare Grenzen gesetzt, indem sie mehrere dafür Verantwortliche verurteilt haben. Die Zusammenarbeit von Medienunternehmen und Journalistenverbänden mit der Polizei wird als Fortschritt im Kampf gegen diese Drohungen gewertet.
Eritrea (179. Platz/+1), seit 2007 auf dem letzten Platz der ROG-Rangliste, hat ausländischen Medien – allerdings unter strenger Überwachung – Zugang zum Land gewährt. Damit hat das Land den letzten Platz an Nordkorea (180. Platz/-1) abgeben können. Das nordkoreanische Regime hält seine Bevölkerung nach wie vor in Unwissenheit und unter Druck – bereits das Hören eines ausländischen Radiosenders kann zur Deportation in ein Straflager führen.
Auf den hintersten Plätzen der Rangliste findet sich ausserdem Turkmenistan (178. Platz/0), eine der abgeschlossensten Diktaturen der Welt, die die Repression gegen Medienschaffende weiter ausgebaut hat. Weit hinten liegt auch Syrien (177. Platz/0), dessen endloser Krieg das Land zum tödlichsten Ort für Medienschaffende hat werden lassen. Sie werden in Syrien sowohl vom Regime wie auch von dschihadistischen Gruppen angegriffen.
Freiheit der Medien in allen Weltregionen bedroht
Die Pressefreiheit war noch nie so bedroht wie heute: Der «globale Index» lag noch nie so hoch (3872). Im Verlauf von fünf Jahren hat sich dieser von ROG verwendete Referenzindex um 14 Prozent verschlechtert. In diesem Jahr haben beinahe zwei Drittel der Länder eine Verschlechterung ihrer Situation verzeichnet, während die Zahl der Länder, in denen die Situation für die Medien als «gut» oder «zufriedenstellend» bezeichnet werden kann, um 2,3 Prozent gesunken ist.
Die Region Naher Osten und Nordafrika bleibt – mit den Kriegen im Jemen (166. Platz/ +4) und in Syrien – die Gegend, in der die Arbeit von Medienschaffenden weltweit am schwierigsten und gefährlichsten ist. Osteuropa und Zentralasien, die zweitschlimmste Region, liegt nicht weit dahinter: Fast zwei Drittel der dortigen Länder bewegen sich in der Rangliste um den oder hinter dem 150. Platz. Zur negativen Entwicklung in der Türkei kam 2016 das harte Durchgreifen gegen unabhängige Medien in Russland hinzu, während die autoritären Herrscher in früheren Sowjetrepubliken, Tadschikistan (149. Platz/+1), Turkmenistan (178. Platz/0) und Aserbaidschan (162. Platz/+1), ihre Kontroll- und Repressionssysteme perfektionierten.
An dritter Stelle der Weltregionen liegt der Raum Asien-Pazifik, wo sich «Negativ-Rekordhalter» in verschiedenen Bereichen finden. Zwei der Staaten, China (176. Platz/0) und Vietnam (175. Platz/0), müssen als weltweit grösste Gefängnisse für Journalisten und Blogger bezeichnet werden. Und mit Pakistan (139. Platz/+8), den Philippinen (127. Platz/+11) und Bangladesch (146. Platz/-2) finden sich in der Region einige der für Medienschaffende gefährlichsten Länder. Zudem sind hier eine grosse Zahl von «Feinden der Pressefreiheit» aktiv, die etwa an der Spitze von Diktaturen wie China, Nordkorea (180. Platz/-1) und Laos (170. Platz/+3) stehen; ihre Länder sind im Bereich Information eigentliche «schwarze Löcher».
Danach folgt der Raum Afrika, wo es zur Gewohnheit geworden ist, den Zugang zum Internet während Wahlen und grossen Protesten einfach zu kappen. Der amerikanische Raum liegt mehr als fünf Punkte vor Afrika; hier findet sich mit Kuba (173. Platz/-2) ein Land, das auf der Weltkarte der Pressefreiheit «schwarz» (Situation der Medien «sehr ernst») markiert ist – eine Farbe, die sonst für die schlimmsten Diktaturen und autoritären Regimes in Asien und im Nahen Osten reserviert ist.
Der Raum Europa und Balkan bleibt die Weltregion, in der die Medien am freiesten sind. Allerdings weist die Kennziffer für Einschränkungen und Verletzungen der Presse- und Informationsfreiheit genau hier im letzten Jahr den grössten Anstieg aus: 3,8 Prozent. Innerhalb der letzten fünf Jahre ist dieser Indikator für Europa sogar um 17,5 Prozent gestiegen. (In der Region Asien Pazifik hat er im gleichen Zeitraum nur um 0,9 Prozent zugenommen.)
Aufstiege, Abstürze und täuschende Resultate
Nicaragua (92. Platz/-17) hat den grössten Absturz in der diesjährigen Rangliste zu verzeichnen. Grund dafür waren viele Fälle von Zensur, Einschüchterung, Belästigung und willkürlichen Verhaftungen gegen unabhängige und oppositionelle Medien im Umfeld der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Daniel Ortega. Ebenfalls stark zurückgefallen ist Tansania (83. Platz/-12), wo der «Bulldozer», wie Präsident John Magufuli genannt wird, noch mehr Einfluss auf die Medien nimmt.
In zwei Ländern immerhin ist die Entwicklung besonders vielversprechend – und wird hoffentlich weitergehen. Zum einen ist es Gambia (143. Platz/+2), das sich von seinem autokratischen Präsidenten befreit hat und nun unzensierte Zeitungen wiederentdeckt und plant, die für die Medien restriktive Gesetzgebung zu ändern. In Kolumbien (129. Platz/+5) hat die Friedensvereinbarung einen 52-jährigen bewaffneten Konflikt beendet, der zu Zensur und Gewalt gegen die Medien geführt hatte. 2016 wurden – das erste Mal seit sieben Jahren – in Kolumbien keine Medienschaffenden getötet.
Andere grössere Veränderungen in der Rangliste mögen ein Stück weit täuschen. Italien (52. Platz/+25) etwa konnte nach dem Freispruch mehrerer Journalisten, darunter die beiden, die in der VatiLeaks-Affäre angeklagt worden waren, einen grossen Sprung nach vorne tun. Doch es bleibt das europäische Land, in dem am meisten Medienschaffende durch mafiöse und kriminelle Organisationen bedroht werden.
Frankreich (39. Platz/+6) hat sich in der Rangliste ebenfalls verbessert, doch das Land kehrt damit bloss in den Bereich der Rangliste zurück, in der es sich vor 2015, vor den Morden bei Charlie Hebdo, bewegt hatte. Abgesehen davon ist das französische Resultat das schlechteste seit 2013. Die französischen Medienschaffenden bewegen sich in einer zunehmend feindlichen Umgebung und Geschäftsleute benützen die Medien zunehmend für ihren eigenen Einfluss. Ein neues Gesetz zur Unabhängigkeit der Medien, das ROG begrüsst hatte, reicht nicht aus, um die Situation grundlegend zu verändern.
In Asien haben die Philippinen (127. Platz/+11) zwar in der Rangliste einen Sprung nach vorn gemacht, unter anderem, weil die Zahl der getöteten Medienschaffenden 2016 zurückgegangen ist. Doch die Beleidigungen und offenen Drohungen, die Präsident Rodrigo Duterte, ein weiterer neuer «starker Mann», gegenüber den Medien ausspricht, lassen keine gute Entwicklung erahnen.
Und die Schweiz?
Wie im Vorjahr belegt die Schweiz Rang sieben auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit. Die Expertinnen und Experten aus der Schweiz bewerten die hiesige Situation der Pressefreiheit insgesamt als gut und stabil. Doch eine Mehrheit von ihnen führt einige negative Trends an, die eine Verschlechterung der Position der Schweiz mit sich bringen könnten, wenn sie sich noch verstärken. Dazu gehören etwa die prekäre wirtschaftliche Lage vieler Pressetitel, die zunehmende Konzentration von Medieneigentum und der Mangel an Entwicklung im Bereich des investigativen Journalismus. Ausserdem konstatieren sie eine Zunahme von Publireportagen und Sponsored Content sowie von Angeboten, die von privatwirtschaftlicher, mit dem Thema verbundener Seite finanziert werden, was der unabhängigen Berichterstattung schaden könnte.
ROG Schweiz erinnert daran, dass die Bewertung der Experten sich auf das Jahr 2016 bezieht – die Einstellung von «L’Hebdo» und «Schweiz am Sonntag» sind darin noch nicht berücksichtigt, ebenso wenig grössere Umstrukturierungen auf verschiedenen Redaktionen, etwa bei «Le Temps».
ROG Schweiz drückt auch seine Besorgnis über die Entwicklung des Öffentlichkeitsprinzips in der Schweiz aus. Dieses wichtige Instrument für journalistische Recherchen ist noch nicht in allen Kantonen zufriedenstellend umgesetzt. Auf Bundesebene sind die Gebühren für Einsichtsbegehren oft unerschwinglich hoch und die Einschränkungen des Öffentlichkeitsgesetzes, die der Bundesrat ins Auge fasst, sind nicht gerechtfertigt. ROG Schweiz hofft, dass das Parlament hier korrigierend eingreifen wird.
ROG Schweiz erwartet ausserdem, dass der Ständerat den Artikel 293 des Strafgesetzbuches (Straftatbestand der «Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen») streicht und nicht die Haltung des Nationalrates übernimmt, der den Artikel in einer leicht entschärften Version beibehalten will.