Vielleicht darf man einmal auch etwas Positives über die EU berichten. Haben Sie bemerkt, dass Serbien und Kosovo, die 1999 auf unserem Kontinent einen blutigen Krieg ausfochten und in den 14 Jahren seither wie Hund und Katze miteinander zanken, einen Kompromiss über ein friedliches Verhältnis miteinander gefunden haben? Und dass das der EU zu verdanken ist?
Ein erster Schritt
Die Einigung ist, wie Kenner berichten, erst eine Etappe im Annäherungsprozess der beiden Staaten und Völker. Sie muss noch von den Parlamenten ratifiziert werden. Die Opposition in beiden Ländern läuft Sturm gegen den komplizierten Kompromiss, in welchem keines der beiden seine nationalistischen Maximalziele erreicht, und nennt ihn Verrat. Aber, wie die Berichterstatter ebenfalls schreiben, ist er wohl doch ein erster und wahrscheinlich eine gewaltlose Zukunft ankündigender Schritt vorwärts. Die beiden Regierungschefs hätten ihm wohl nicht zugestimmt, wenn sie nicht sicher wären, dass sie die Mehrheit ihrer Völker hinter sich haben werden.
Auf dem „Amselfeld“ (serbisch „Kosovo Polje“) haben die Serben 1389 eine blutige Schlacht gegen die Türken ausgefochten und verloren und wurden für Jahrhunderte deren Untertanen. Seit sie dann im 19.Jahrhundert ihre Unabhängigkeit von den Habsburgern erkämpften, spielte „Kosovo“ für sie trotz der Seltsamkeit, dass sie zum Nationalmythos eine Niederlage erkoren, dieselbe Rolle wie für uns Schweizer das Rütli und Morgarten.
Eine untertänige Provinz
Weil die Provinz Kosovo ihre Identität verkörperte, war sie für die Serben bis heute ein unantastbares Symbol ihres Patriotismus. Dabei war sie weder serbisch noch orthodox-christlich, sondern albanisch und unter den Ottomanen islamisch geworden. Präsident Tito, der Kommunist, der Jugoslawien seit 1945 nach seinem Sieg gegen die Königsanhänger vierzig Jahre lang Einheit und Frieden brachte, schuf einen kommunistischen aber doch föderalistischen Einparteienstaat aus Serbien, Kroatien, Slowenien, Mazedonien und Bosnien – aber nicht dem Kosovo: Er machte das albanisch-muslimische Land zu einer untertänigen Provinz des slawisch-orthodoxen Serbien.
Nach Titos Tod und dem Zerfall Jugoslawiens in seine Bestandteile 1991 hielt der serbisch-nationalistische Präsident Milosevic stur an diesem Untertanenstatus der Kosovaren fest und liess nicht einmal den Schulunterricht auf albanisch zu.
Die Nato schlägt zu - die EU vermittelt
Doch als er eine 1999 einer Erhebung der Kosovaren mit der militärischen Invasion der Provinz begegnete, griff die Nato militärisch ein, befreite das Land, und 2008 proklamierte Kosovo seine Unabhängigkeit als eigenständiger Staat. Eine archaisch verbissene Anhänglichkeit an den Amselfeld-Mythos hinderte aber die Serben bis diese Woche, die Unabhängigkeit der abtrünnigen Provinz anzuerkennen.
Und wer hat diese Anerkennung zustande gebracht? Die EU. Seit die Nato der Unabhängigkeit Kosovos zum Sieg verhalf, hat die EU die Serben und Kosovaren 14 Jahre lang mit diplomatischem Druck, mit Zökeln, Hin- und Her-Lavieren, Drohen und Drängen der gegenseitigen Anerkennung nähergebracht. Der Kompromiss vom 19.April 2013 verschafft eine Lösung des Kosovo-Problems, die im übrigen Europa selbstverständlich geworden ist und auf dem minderheitsbevölkerten Balkan als Fanal ausstrahlen wird: Gegen die serbische Anerkennung seiner territorialen Integrität gewährt Kosovo seiner serbischen Minderheit im Norden Autonomie.
Friedensgarantin für einen ganzen Kontinent
Die am Ende siegreiche Kraft bezog die diplomatische Aktivität der EU aus ihrer Ausstrahlung und Anziehungskraft als Friedensgarantin in Europa. Wie die Berichterstatter aus den Balkan beschreiben, war die Aussicht auf EU-Mitgliedschaft das stärkste Motiv der beiden in historischen Mythen gefangenen Parteien. Catherine Ashton, die Aussenministerin der EU welche die beiden verfeindeten Parteien in langen Verhandlungen zum Kompromiss brachte, sagte denn auch, das bringe die beiden Staaten der EU-Mitgliedschaft näher. Die Aussicht, in der EU eine Garantie von Gewaltlosigkeit und Wohlstand zu finden, überwand kollektive Eigensinnigkeiten, die seit 600 Jahren die Köpfe beherrschten.
Auch wenn die EU wegen der Euro-Krise mit sehr berechtigter Kritik überschwemmt wird, sollte ihre fundamentale Leistung nicht vergessen werden: Sie schafft seit sechzig Jahren in immer grösseren Räumen Frieden, Verträglichkeit und Zusammenarbeit unter den Völkern Europas. Heute sogar auf dem Balkan, der gegen solche Ideen jahrhundertelang immun war. Die EU ist eine Friedensgarantie für den ganzen Kontinent Europa geworden.