Der Erfinder von billigem Geld, Ex-US-Notenbankchef Allan Greenspan, ein Hauptverantwortlicher für die Finanzkrise 1, verabschiedete sich mit dem schönen Satz: «Blasen erkennt man erst, wenn sie platzen.» Sein Nachfolger Ben Bernanke wandelt auf seinen Spuren. Er verkündete, dass das Fed an seiner Politik des QE, der «quantitativen Erleichterung», festhalten wird.
Der Horror-Euphemismus
QE ist eine Wortblase, die beinhaltet: Die US-Notenbank wird weiterhin und ohne absehbares Ende jeden Monat für 85 Milliarden Dollar Staatspapiere und hypothekarbesicherte Wertpapiere aufkaufen. Macht pro Jahr eine runde Billion. Woher kommt der Geldregen? Aus dem Nichts, denn das Fed kann Dollar durch einen Klick auf der Computertastatur erschaffen. Und eine Billion ist selbst für die Dollarwelt und die USA kein Klacks. Zudem bleiben die Leitzinsen faktisch bei Null. Also ist Geld nicht nur gratis, sondern vermehrt sich ungehemmt. Das ist keine «quantitative Erleichterung», das ist die wohl grösste Blase aller Zeiten.
Kurze Blasenkunde
Sei es der Wert von Tulpenzwiebeln, seien es auf angeblichen Goldminen in Amerika beruhende Schuldpapiere, seien es ewig im Wert zunehmende US-Immobilien: Das waren alles Blasen. Aufgepumpt durch Irrationalität, Geldgier, Stampeden, Massenhysterie. Durch den ewigen Trugschluss: Wenn immer mehr, wenn alle anderen einen Haufen Geld verdienen, dann muss ich doch auch dabei sein, sonst wäre ich doch blöd. Alle diese Blasen sind geplatzt. Vorher war das nach allgemeiner Übereinkunft unvorhersehbar, nachher galt im allgemeinen Katzenjammer: Wie konnte ich nur so blöd sein? Das gilt natürlich auch für die aktuelle Geldblase, allerdings sind wir da noch im Zustand des Vorher.
Schon normale Blasen können verheerende Auswirkungen auf eine Volkswirtschaft, auf ein Finanzsystem haben. Wenn aber der Trieb- und Treibstoff unseres gesamten Wirtschaftslebens, eben Geld, zur Blase aufgepumpt wird, dann übersteigt das an Gefährlichkeit alle anderen Formen. Wenn diese Blasenbildung – die Bilanzen der wichtigsten drei Notenbanken der Welt pumpten sich in den letzten fünf Jahren von 3 auf über 9 Billionen Dollar auf – mit Nullzinsen einhergeht, dann ist es so, als ob man geradezu mutwillig und absichtlich die grösste Blase aller Zeiten aufpumpt, damit sie mit einem nie gehörten Knall platzen wird. Denn schon vorher, das unterscheidet eine Geldblase von allen anderen, gerät das ganze Wirtschaftssystem aus den Fugen.
Fehlende Barriere
Zinsen, wir wiederholen uns, sind eine Risikoprämie, eine Barriere. Wer mit einer sicheren Anlage inflationsbereinigt 3 Prozent verdient, ist’s zufrieden. Will er mehr, darf er spekulieren, sollte aber dabei wissen: mehr Ertrag, mehr Risiko. Wer für einen Kredit mehr als 8 Prozent zahlen muss, überlegt es sich sehr gut, ob er in der Lage sein wird, diese Zinsen durch ein Geschäft aufzubringen. Liegt diese Barriere bei Null (oder gar inflationsbereinigt im Negativen), dann herrscht Chaos. Der Gläubiger verliert selbst bei einer nur einigermassen sicheren Anlage Geld, indem er Geld verleiht. Der Schuldner kann sich faktisch gratis Geld leihen und damit nach Lust und Laune spekulieren, im schlimmsten Fall war’s doch umsonst. Diese Nullzinspolitik ist in ihrer Auswirkung nur damit zu vergleichen, als ob in der realen Welt Schwerkraft und Reibung aufgehoben würden.
Geld ist Mittel, nicht Zweck
Womit begründet das Fed seine verantwortungslose Politik? Sie diene der Wirtschaftsankurbelung und bekämpfe die Arbeitslosigkeit, trage also dazu bei, das Bruttosozialprodukt zu steigern – ein Aberwitz! Aktuell ist es so, dass in den USA mehr als 6 Dollar ausgegeben, gedruckt, neu hergestellt werden, um eine Steigerung des BIP um 1 Dollar zu erzielen. Man muss nicht an der HSG oder in Harvard studiert haben, um zu sehen: Da ist doch etwas falsch. Denn Geld ist ja nur ein Mittel, um den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu befördern. Nur ein Mittel, um akkumulierte Gewinne möglichst flüssig wieder für neue Wertschöpfung zu investieren. Wenn es so einfach wäre, dass mehr Geld mehr Wohlstand bedeuten würde, dann lebten wir schon längst im Paradies.
In der Vorhölle
Stattdessen leben wir in der Vorhölle. Lassen uns durch die Kraft des Faktischen blenden. Das Mantra aller Notenbankchefs lautet: Unsere vornehmste Aufgabe ist die Vermeidung einer Inflation. Nach der klassischen Lehre entsteht eine Inflationsgefahr durch eine Geldschwemme, der keine Steigerung des BIP gegenübersteht. Aber: Wir drucken inzwischen seit Jahren Geld wie Heu, und siehe da, es gibt keine galoppierende Inflation. Ehrlich gesagt, verstehen wir auch nicht, wieso das so ist. Aber hallo: Dann zerbrechen wir uns doch nicht den Kopf darüber, sondern drucken einfach weiter Geld wie Heu.
Dummerweise hat das zwar bislang entgegen der Erwartung die Konjunktur nicht richtig angekurbelt. Das verstehen wir ebenfalls nicht, aber man muss ja auch nicht alles verstehen. – Genau dies ist das typische Gebaren der meisten Marktteilnehmer vor dem Platzen einer Blase. Niemand versteht’s, aber alle machen mit.
Die Unumkehrbarkeit
Es gibt allerdings ein Argument, das eine teuflische Richtigkeit hat. Die Geldblase ist bereits zu einer Grösse aufgepumpt, bei der ein Luftablassen, also Geldabschöpfung plus Heraufsetzen des Leitzinses, dramatische Auswirkungen hätte. Und zwar sofort. Also pumpen wir doch lieber weiter, die Börsen jubilieren, die Immobilienbesitzer in der Schweiz lehnen sich beruhigt zurück, kein Grund zu Besorgnis, gar Panik. Dafür ist dann immer noch Zeit und Gelegenheit, wenn diese Blase platzt. Aber das war dann unvorhersehbar. Und die Frage, wer war’s, wie konnten wir alle nur so blöd sein, die interessiert dann niemanden mehr wirklich.
Übrigens: Den 1. und den 15. Oktober kann man sich schon mal als mögliches Platz-Datum vormerken. Bis zum 1. Oktober müssen sich Republikaner und Demokraten auf einen neuen Staatshaushalt einigen. Tun sie das nicht, dann kann der US-Staat zwar weiter Geld drucken lassen, aber ab 15. Oktober dürfen keine neuen Schulden aufgenommen werden. Und der Staat müsste ab 1. Oktober alle seine Aktivitäten, ausser den überlebenswichtigen, einstellen. Man erinnert sich, das ist die sogenannte Fiskalklippe, das Problem hatten wir auch schon mal. Das letzte Mal einigte man sich in letzter Minute und provisorisch. Dieses Mal ist es neuerlich ein echter Versuch, Staatsbankrott zu begehen. Wäre dann aber, richtig, unvorhersehbar gewesen. Im Nachhinein.