Die Ausstellung, die das Zürcher Kunsthaus ihm widmet, ist in der Schweiz die erste seit langem. Delaunay dürfte daher, obschon für Kunstinteressierte sicher kein Unbekannter, dank dieser gross angelegten Schau für die meisten Besucher zur Entdeckung werden. Es erwartet sie ein Œuvre, das trotz seiner in verschiedene Richtungen ausgreifenden Suchbewegungen klar zusammenhängt und sich als überwältigendes Fest der Farben präsentiert.
Robert Delaunay, aus einer aristokratischen Familie stammend, wird nach der Scheidung der Eltern von Verwandten auf einem Landgut aufgezogen. Als 15-Jähriger besucht er die fünfte Pariser Weltausstellung. Er sieht den Eiffelturm, der wie ein Leitmotiv seine Bilder prägen wird. Das zur vierten Pariser Weltausstellung 1889 errichtete und für lange Zeit höchste Bauwerk der Welt war anfangs umstritten. Zahlreich sind die vernichtenden Urteile bedeutender Zeitgenossen über das – wie sie meinten – hässliche und unnütze Ungetüm. Bei der Bevölkerung und in der internationalen Wahrnehmung hingegen setzte sich Eiffels geniales Bauwerk als Wahrzeichen der Stadt und Fanal des Fortschritts schnell durch.
In der bildenden Kunst war der Turm erst einmal kein Thema. Weder die Malerei noch die künstlerisch ambitionierte Fotografie beschäftigten sich mit ihm. Es ist Delaunay, der den Eiffelturm in den Mittelpunkt seines Schaffens rückt und in ihm die Signatur der zukunftsgläubigen Jahrhundertwende erblickt. Auf dem ersten der in Zürich gezeigten Turm-Bilder, einer Studie von 1909, hat er oben links hingepinselt: „Exposition universelle 1889 – La tour à l’univers s’adresse.“ Nicht nur den Weltausstellungsbesuchern, nicht nur der gesamten Weltöffentlichkeit, sondern dem Universum gilt seine Botschaft. Und die kann nur heissen: Hier sprengt die menschliche Zivilisation die engen Grenzen, in denen sie sich über Jahrtausende nur tastend voran bewegte.
Für Delaunay markiert Paris mit dem Eiffelturm die neue Epoche des grenzenlosen Fortschritts. Man wähnt sich im Zentrum einer stürmischen Bewegung, die – was angesichts der ambivalenten, ja vielfach auch bedrohlichen Fortschrittsvisionen von heute kaum mehr vorstellbar ist – optimistisch, ja begeistert begrüsst wird. Errungenschaften von Wissenschaft und Technik werden gefeiert als Heldentaten. 1909 überquert Louis Blériot als Erster mit seiner Blériot XI den Ärmelkanal von Calais nach Dover. Delaunay befindet sich in der begeisterten Menge, die den Piloten darauf in Paris empfängt, und Flugapparate tauchen fortan nicht nur in seiner in mehreren Versionen existierenden „Hommage à Blériot“, sondern auf diversen weiteren Bildern auf, oft zusammen mit dem Eiffelturm.
In den frühen 1910er-Jahren beginnt die Malerei sich von jedem Bezug zu realen Gegenständen zu lösen. Delaunay steht im Kontakt zu Kandinsky, dem Pionier dieses Epochenschritts, vollzieht aber den Übergang zur Abstraktion auf ganz eigenständige Weise. Sein „Disque“ von 1913 ist ein radikal einfaches, aufs Elementare reduziertes Bild: regelmässige Kreisringe, die in vier Sektoren geteilt und je monochrom ausgemalt sind aufgrund einer Farbentheorie, die für den Betrachter kaum zu entschlüsseln ist.
Das Bild ist in Delaunays Œuvre ein Solitär. Es folgt auf eine Reihe von Gemälden, die Sonne und Mond als Licht- und Formphänomene erforschen und auf Kreisstrukturen aufbauen. Der Maler selber wollte „Disque“ als Schlüsselwerk verstanden wissen, als seinen Durchbruch zur „reinen“ – wir würden sagen: abstrakten – Form. Tatsächlich bauen seine späteren abstrakten Bilder hauptsächlich auf dem Kreis auf. Sie zeigen ähnliche Formelemente wie „Disque“, lösen sich aber von der ehernen Strenge dieser Vorlage, indem sie Rhythmen als übergeordnete Formprinzipien einführen.
Delaunay ist nicht nur der Gestalter eines optimistischen Weltbezugs, sondern er feiert in seinen Bildern die Lebensfreude. Das beginnt schon mit der Wärme und Freundschaft in den frühen Porträts von Künstlerkollegen, setzt sich fort in der gemalten Begeisterung für das urbane Pariser Leben, kehrt wieder in der Zelebrierung technischer und sportlicher Spitzenleistungen und spiegelt sich schliesslich im ungetrübten Genuss reiner Formen und Farben.
In den späten 1930er-Jahren nimmt Delaunay erneut die für ihn einst typischen gegenständlichen Motive in seine Bilder auf. Von einer Rückkehr oder Kehrtwende kann man jedoch nicht reden. Es gibt in seinem Stil keinen Bruch, die Entwicklung ist organisch.
Für die Pariser Weltausstellung von 1937 erhielt Delaunay Aufträge zur Gestaltung des Palais des Chemins de Fer und des Palais de l’Air. In Zusammenarbeit mit seiner Frau Sonia Delaunay und in einem Fall sogar mit fünfzig weiteren Künstlerkollegen realisierte er in einjähriger Arbeit mehrere monumentale Wandgemälde und Raumgestaltungen – sie sind im Kunsthaus durch Entwürfe und Abbildungen dokumentiert (Bild ganz oben).
Die Delaunays waren nicht nur ein sich immer wieder gegenseitig anregendes Duo, sondern ebenso auch Mittelpunkt eines riesigen Beziehungsnetzes von Malern, Literaten, Musikern, Händlern, Kritikern. Die Liste ihrer Freunde und Bekannten ist ein Who-is-who der avantgardistischen Kulturszene jener Jahre in Paris und weit darüber hinaus. Die Zürcher Ausstellung beschränkt sich personell auf Robert und zeitlich auf die Pariser Jahre. Die Zeit in Spanien und Portugal während des Ersten Weltkriegs, in der Robert Delaunay sich künstlerisch anders orientierte, bleibt draussen.
Das Dunkle des 20. Jahrhunderts ist Robert Delaunay fast ganz erspart geblieben. Bei Kriegsausbruch 1914 befindet er sich mit seiner Frau in Nordspanien; sie verschieben die Heimreise. 1940 beim Einmarsch der Deutschen weichen sie nach Südfrankreich aus. Im Jahr darauf stirbt Delaunay in Montpellier.
Ob Delaunay ein glücklicher Mensch war? Kann sein, wir brauchen es nicht zu wissen. Die Ausstellung im Kunsthaus sagt etwas anderes, nämlich: Er hat Zuversicht, Begeisterung und Lebensfreude gemalt. Und seine Bilder brauchen kritische Blicke, die empfindlich auf Kitsch und Verlogenheit reagieren, nicht zu scheuen. Sie sind einfach richtig gut.
Kunsthaus Zürich: Robert Delaunay und Paris, 31. August bis 18. November 2018