Die Bombardements bringen neue Probleme, etwa die Stärkung der Terrororganisation Al Kaida oder die gefährliche Konfrontation zwischen Iran und Saudi-Arabien.
Der Feind kann sich jedenfalls über eins freuen: Er ist offenbar viel jünger, als er selbst glaubt. Für die iranischen Medien ist der neue saudische Verteidigungsminister Mohammad Salman nur 30 Jahre alt und nicht 34, wie es auf seiner offiziellen Webseite steht; für die den Revolutionsgarden nahe stehende Nachrichtenagentur Fars ist der saudische Prinz sogar der jüngste Verteidigungsminister aller Zeiten.
Der unerzogene junge Kriegsherr
Wenn es um Mohammad Salman und seinen Krieg im Jemen geht, scheint für die iranischen Medien das Adjektiv „jung“ seit vergangenem Freitag obligatorisch zu sein. An diesem Tag hatte der mächtigste Mann des Iran, Ali Khamenei, Saudi-Arabien ungewöhnlich scharf angegriffen, die Luftangriffe im Jemen als Völkermord bezeichnet und sie mit dem israelischen Gaza-Krieg gleichgesetzt. Probleme mit Saudi-Arabien habe man immer gehabt, aber bisher hätten die Saudis die Form gewahrt. Seitdem jedoch die „unerfahrenen Jungs in Riad am Ruder“ seien, zeige sich die Barbarei in Gänze, so Khamenei vor ausgewählten Gästen.
Von all diesen Verbalattacken wird seit jenem Freitag merkwürdigerweise nur das Attribut „die Jungs“ wie ein Refrain in den Medien wiederholt. Der junge Prinz wolle Energie, Frische und Tatendrang vorspielen, doch tatsächlich handele er wie ein unerfahrener und unerzogener Draufgänger, schreibt etwa die Webseite „Iran Diplomacy“, ein wichtiges aussenpolitisches Sprachrohr des gemässigten iranischen Präsidenten Hassan Rouhani. Wie alt Mohammad Salman tatsächlich auch sein mag: Der Prinz führt momentan eine ungewöhnliche Militärkoalition, der zehn sunnitische Staaten angehören, von grossen und mächtigen wie Pakistan und Ägypten bis zu kleinen und gescheiterten wie Bahrain und Sudan.
Durchschnittlich 30 Mal pro Tag bombardieren die Kampfjets das Nachbarland Jemen, bilanzierte am vergangenen Donnerstag der saudische General Ahmad Assiri, Sprecher der Militärkoalition, in seinem wöchentlichen Pressebriefing. Seine Piloten schonten die Zivilisten und zielten hauptsächlich auf Armeestützpunkte und -arsenale des jemenitischen Ex-Präsidenten Ali Abdollah Saleh, so der General, der jedes Mal auch die nebulösen und unrealistischen Kriegsziele diktiert: Die Huthi-Kämpfer sollten ihre Waffen niederlegen, sich aus der Hauptstadt Sanaa zurückziehen und schliesslich den flüchtigen Ex-Präsidenten Manssur Hadi als Staatsoberhaupt akzeptieren.
Hat sich der Prinz verkalkuliert?
Dass diese Ziele mit Angriffen aus der Luft erreicht werden können, daran kann wohl nicht einmal der General selbst glauben. Er müsste wissen, dass er für die gut bewaffneten, im Guerillakrieg erfahrenen und im ganzen Land operierenden Huthi-Rebellen eine Bodentruppe braucht, eine erfahrene, entschlossene und überzeugte Spezialtruppe für einen harten und langen Krieg - und eine solche Truppe hat er momentan nicht.
Pakistan und Ägypten, die anfänglich im Gespräch waren, haben inzwischen die Entsendung von Bodentruppen kategorisch abgelehnt. Einstweilen gehen also die Bombardements weiter, ohne den Vormarsch der Rebellen entscheidend aufhalten zu können. Doch die nächtlichen Angriffe zerstören zugleich die Infrastruktur jenes Sicherheitsapparates, der bislang auch für die Bekämpfung von Al-Qaida eingesetzt wurden. Chaos also, wohin man schaut.
Nach drei Wochen Luftkrieg und nach etwa 1‘000 geworfenen Bomben offenbart sich im Eiltempo die Unerfahrenheit des jungen Prinzen, der weder militärische Bildung noch Wehrdienst vorweisen kann, dafür aber ein Studium im islamischen Recht. Seine Hausmacht ist nichtsdestotrotz weiterhin gesichert, als Hofminister und Kabinettschef seines schwerkranken Vaters spricht er de facto als König. Ausserdem ist er nicht nur Oberbefehlshaber der Streitkräfte, sondern eigentlich auch Finanzminister. Denn er leitet eine Kommission, die über Erdöleinnahmen und -ausgaben wacht.
Seine Gegner werfen ihm zwar vor, korrupt, raffgierig und arrogant zu sein, doch er selbst hält sich zu Höherem berufen: Salman gilt als ein ernsthafter Thronanwärter. Nicht nur militärisch, auch politisch scheint sich der Prinz verkalkuliert zu haben. Dass er mit seinem Feldzug im Jemen in Wahrheit einen Krieg gegen die machthungrigen Mullahs in Teheran führe, die ungeniert nach dem Irak, Syrien und dem Libanon nun den Jemen beherrschen wollten, daran soll die sunnitische Welt ebenso glauben wie die westliche. Doch Teheran hält sich auffällig zurück und ruft ununterbrochen zum Frieden auf. Zudem sind handfeste militärische Beweise für eine iranische Einmischung im Jemen bis jetzt nicht aufgetaucht, dafür gibt es genug Nebenschauplätze und andere gegenseitige Provokationen.
Sexuelle Übergriffe und das Dilemma des Propagandakrieges
Der jüngste und unappetitlichste Vorfall ist die sexuelle Belästigung von zwei 14- und 15-jährigen Iranern durch saudische Grenzbeamte auf dem Flughafen von Dschidda. Was die Polizisten an diesem Tag mit den beiden Jungen gemacht haben, die sie bei der Ausreise separiert und in einen Raum geführt hatten, ist ungewiss. Nach der Ankunft in Teheran sprachen Familienangehörige und Parlamentsabgeordnete von Vergewaltigung und forderten harte Reaktionen, dann näherten sich die Zeitungen und Agenturen vorsichtig dem Thema an. Doch sehr schnell stiegen zahlreiche Webseiten und soziale Netzwerke ohne Scheuklappen ein; in wenigen Stunden und millionenfach vervielfältigt tauchten Witze und Beleidigungen auf niedrigstem Niveau auf.
Saudi-Arabien war Ziel und Anlass zugleich. Schnell ging die Welle der digitalen Empörung über Saudi-Arabien hinaus, plötzlich wurde alles Arabische das Ziel bissiger, spöttischer und zum Teil rassistischer Kommentare. Drei Tage später kam es zu einer besonderen Demonstration vor der saudischen Botschaft in Teheran, die sich äusserlich und inhaltlich von allen bisher üblichen, staatlich organisierten Aufmärschen unterschied.
Gut gekleidete Nord-Teheraner riefen vor der saudischen Vertretung Parolen, die keineswegs islamisch, dafür aber nationalistisch waren: „Wozu überhaupt die Pilgerfahrt nach Mekka“, las man auf ihren Plakaten. Die offizielle Propaganda des Iran stand plötzlich vor einem Dilemma: Zornige Stimmen gegen Saudi-Arabien sind zwar willkommen, doch sie dürfen nicht in persische Nostalgie ausarten oder sich in antiarabische oder gar antiislamische Stimmung verwandeln. Die Regierung in Teheran ist bei ihrer Sprachregelung geblieben: Es war keine Vergewaltigung, sondern sexuelle Belästigung, Saudi-Arabien müsse sich trotzdem offiziell entschuldigen und die beschuldigten Polizisten verhaften.
Pilgerfahrt nach Mekka gestoppt
Die Atmosphäre bleibt trotz solcher Versuche der Mässigung gespannt, die iranische Regierung steht unter Handlungsdruck. Am Montagabend verkündete der Minister für Kultur und Islamische Führung, Ali Djannati, im staatlichen Fernsehen: Solange die beiden saudischen Beamten nicht verhaftet und bestraft worden seien, werde es keine Pilgerfahrten nach Mekka ausserhalb der offiziellen Pilgerzeit mehr geben. Während das offizielle Saudi-Arabien den Vorfall ignoriert und schweigt, dreht sich die Propagandaspirale in Teheran weiter. „Vergewaltigung und Erniedrigung der Pilger haben System“, erklärte am Dienstag die iranische Justizbehörde, die von Hardlinern kontrolliert wird.
Die Stellungnahme ist damit eine Art juristisch-religiöses Gutachten - und das hat weitreichende Konsequenzen. Denn es stellt die Fähigkeit Saudi-Arabiens infrage, „Hüter des Gotteshauses“ für alle Muslime zu sein. Doch von all dieser iranischen Aufregung und Empörung ist in den saudischen Medien nichts zu erfahren. Iran und Saudi-Arabien sind offenbar zurückgekehrt zum Nullpunkt, zu jener gespannten Zeit vor 29 Jahren, als der iranische Republikgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini sagte: „Ich werde wahrscheinlich irgendwann Saddam Hussein verzeihen, aber niemals den Al Saud.“ Doch Zeitvergleiche sind immer problematisch. Der Irak, Kriegsgegner von damals, ist längst zum Verbündeten avanciert und es ist Saudi-Arabien, das sich in einem Krieg ohne erreichbare Ziele befindet.
Gefährliche Rivalität, ungewisse Zukunft
Die Flamme lodert lichterloh, militärisch wie propagandistisch, und sie hat viele Potentiale. Sie kann sich zu einem sehr grossen Flächenbrand entwickeln, dessen Feuersbrunst Grenzen überschreitet und mehrere Länder erreicht. Oder sie wird zu einem unendlichen Schwelbrand mit ungewissem Ausgang. Nur verpuffen wird sie nicht so schnell. Was aus dem jemenitischen Krieg wird, wissen wir auch in der dritten Wochen der saudischen Luftangriffe nicht. Wohin dieses militärische Abenteuer schliesslich führen wird, hängt auch von Taten und Worten der Machthaber in Teheran ab. Noch versucht die Regierung in Teheran, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn die Islamische Republik ist weder willens noch fähig, sich in ein militärisches Abenteuer zu begeben - zumal man gerade dabei ist, sich über die Atomverhandlungen der Welt der Diplomatie zu nähern.
Während Aussenminister Javad Zarif am Dienstag in der spanischen Hauptstadt Madrid einen Vierpunkte-Friedensplan für den Jemen vorlegte – den Saudi-Arabien natürlich umgehend ablehnte -, steht die westliche Welt merkwürdigerweise voll hinter Saudi-Arabien. Am Dienstagabend hat der UN-Sicherheitsrat die Huthi-Rebellen mit einem Waffenembargo belegt und sie zum Rückzug aus den von ihnen besetzten Gebieten aufgefordert. Diese Resolution sei eine direkte Unterstützung für den Feind, schreibt Stunden später die von den Huthis kontrollierte jemenitische Nachrichtenagentur: Das Volk werde diese Feindschaft bestrafen.
Mit freundlicher Genehmigung von Iran Journal