Ein Blick ins Schaufenster. Die digitalen Kameras sind sich sehr ähnlich. Die Gehäuse meist schwarz, die Preise schwanken. Mal 200, mal 300, mal 500, mal 1000 Franken, mal darüber. Rein äusserlich betrachtet lässt sich weder an den Gehäusen noch an den Objektiven der unterschiedliche Wert erkennen. Auf den Datenblättern steht: 5 Megapixel, 10 Megapixel, 12 Megapixel oder 14 Megapixel. Wenige Boliden bieten mehr.
Die Objektive, meistens Zoom, liefern Lichtstärken von 1:2,8 bis 1:5,6 - je nach eingestelltem Zoomfaktor. Die Kameras machen auch Videos. Auf den Datenblättern finde ich also auch noch die mehr oder weniger hohe Auflösung nach dem neuen Standard Full-HD (High Definition) mit entsprechenden Pixelangaben. Viele Displays sind schwenkbar. Und die meisten Kameras sind verblüffend leicht. Und hässlich.
Der risikoreiche Weg des Bildes
Ich gebe zu, ich bin nicht objektiv. Wenn ich in die Auslagen mit Fotoapparaten schaue, träume ich mich zurück in die Zeiten, als ich mir in den 60er Jahren meine Nase an den Schaufenstern der Fotofachgeschäfte plattgedrückt habe: Da gab es die Voigtländer Bessamatic. Sie war eine der ersten deutschen Spiegelreflexkameras mit einem Selen-Belichtungsmessfeld am Gehäuse - aus heutiger Sicht ein technisches Unikum, aber für mich damals der Inbegriff des Luxus.
Die Rollei mit ihren zwei Objektiven, eines allein für die grosse Mattscheibe, auf der man das Motiv in der Draufsicht von oben eingrenzen und scharfstellen konnte, war ein Faszinosum. Ganz zu schweigen von den kleinen fast unscheinbaren Kameras, die aber rein äusserlich an die Präzision von Uhrwerken erinnerten, den Namen Leica trugen und so gut wie unbezahlbar waren. Und für den kleinen Geldbeutel gab es aus dem kommunistischen Teil Deutschlands Spiegelreflexkameras von der Firma Pentacon wie die Exa und die Praktica. Etwas später gesellten sich die ersten Japaner dazu. Damals ahnte man noch nicht, dass etwa die Nikon F, insbesondere die spätere F 3, zur weltweit führenden Reportagekamera werden sollte. Sie war nahezu unverwüstlich.
Kein Foto kam direkt auf die Welt. Von der Belichtung über die Entwicklung bis zum „Abzug“ ging der Weg, der wie bei einer Geburt risikoreich war. Jeder konnte davon erzählen, wie ihm ganze Filme oder zumindest einzelne Fotos durch Missgeschicke verdorben wurden. Und wenn man in Schachteln mit alten Fotos wühlt, findet man immer wieder welche mit gelben Flecken, die auf Fixierfehler hindeuten.
Das spezielle Kribbeln
Solche Geschichten erzählen die schwarzen Tausendsassas in den Schaufenstern nicht. Es liegt nicht an der schwarzen Farbe, es liegt nicht an den Grundformen, die ganz offensichtlich internationalen Designtrends ebenso folgen wie den Gesetzen der Ergonomie. Die Kameras können auch bunt, klein und extravagant sein, feste Brennweiten oder hohe Preise haben: Mit ihnen stellt sich nicht mehr das spezielle Kribbeln ein, das früher mit dem Fotografieren verbunden war.
Man merkt den Marketingstrategen an, wie sehr sie sich darum bemühen, Träume zu kreieren. Leica zum Beispiel erzählt in einem speziellen Segment Geschichten. Die kürzlich vorgestellte Leica X1 erinnert an die die guten alten Leica-M-Modelle. Deswegen hat sie eine Festbrennweite, die besonders hochwertig ist, aber man fragt sich, was das soll. Fuji wird im kommenden Frühjahr die Fuji X100 auf den Markt bringen, die wie eine Leica X1 aussieht. Diese Kamera gibt es derzeit nur im Prospekt und sieht toll aus. Kaufen würde ich sie allerdings ebenso wenig wie das Original.
Denn die Digitalisierung der Fotografie hat auch meine Ansprüche verändert. Seit drei Jahren fotografiere ich mit einer Leica-D-Lux-3 und muss sagen, dass diese Kamera weitaus mehr leistet, als ich je erwartet hätte. Viele Stunden und Tage habe ich inzwischen mit der Bearbeitung der Bilder mittels Photoshop zugebracht, hunderte von Kopien im Fachhandel bestellt und einige Bildbände und Kalender drucken lassen. Niemals hätte ich solche Ergebnisse mittels der früheren Fototechnik einschliesslich meines erstklassigen Schwarz-Weiss-Labors erreicht. Und zur digitalen Fotografie gehört eben auch ein Zoom. Für eine feste Brennweite müsste man schon sehr gute Argumente ins Feld führen.
Vom Gestalter zum Bediener
Und doch bleibt ein schaler Geschmack. Meine D-Lux ist fabelhaft, aber ich liebe sie nicht. Wenn ich meine alten Leica-M-6 anschaue, meine Nikon FM in die Hand nehme, bewegt sich in mir mehr. Das sind genau die Momente, die die Marketingstrategen so gerne kreieren möchten. Und die sie nicht erreichen. Behelfsweise versuchen sie es mit Nostalgie, wobei einzelne wenige Unternehmen alte mechanische Kameras komplett nachbauen und ins Programm nehmen.
Die Hochleistungs-Massenprodukte aber drängen sich wie von selbst auf, und vielleicht ist es genau das, was an ihnen stört. Ihre Logik ist zu unausweichlich. Ihr Design zeigt an, wie präzis sie auf ein Massenpublikum zugeschnitten sind, das überall auf der Welt den gleichen berechenbaren Kaufimpulsen folgen soll. Das, was früher die Individualität der Kameramarken ausmachte, ist global abgeschliffen.
Hinzu kommen die vielen automatischen Funktionen, die auch die Bedienung einebnen. Während die alten Kameras in ihrer ganzen Unvollkommenheit den Nutzer zum Gestalter machten, reduzieren die neuen Kameras ihn zum Bediener oder besser: zum Halter im wörtlichen Sinne. Hinhalten, auslösen. Die Kamera „weiss“ schon am besten, was jetzt technisch geschehen soll. Schliesslich liegen ihren Programmen Vergleichsdaten von Millionen von Fotos von standardmässig erfassten Motiven zugrunde.
Es ist sinnlos, sich nostalgisch gegen diese Entwicklung zu stemmen. Vielmehr kann man versuchen, sich in der entzauberten Welt der modernen Fotografie einen Weg zu bahnen, der zu neuem Zauber führt. Davon wird noch zu berichten sein.