Weniger als 80 Tage vor der amerikanischen Präsidentenwahl am 3. November ist der United States Postal Service (USPS) von den Strudeln des heftiger werdenden Wahlkampfgetöses erfasst worden. Den Anstoss zu diesen Aufwallungen hat, wie bei vielen andern Themen, Präsident Trump persönlich gegeben. Schon im Frühjahr nannte er den riesigen staatlichen Postbetrieb einen «Witz». Und in der vergangenen Woche unkte er, dass die Corona-bedingte Zunahme der Briefwahl im November zum «grössten Wahlbetrug in der amerikanischen Geschichte» führen könnte.
Mit solchen provokativen Äusserungen begründete Trump unter anderem seinen bisherigen Widerstand gegen ein milliardenschweres Sanierungsprogramm für den staatlichen Postbetrieb, über das im Kongress verhandelt wird. Doch der Verdacht ist weit verbreitet, dass es dem Präsidenten keineswegs nur um finanzielle Einwände gegen die geplanten Investitionen für die Post geht.
Seine eigentlichen Motive, meinen die Kritiker, zielten darauf ab, das grundsätzliche Recht der rund 180 Millionen Wähler, die Stimme bei der bevorstehenden Präsidentenwahl per Briefpost abzugeben, zu sabotieren oder zumindest einzuschränken. Dass ihm die Briefwahl missfällt, hat Trump unumwunden eingeräumt, als er – ohne jeden Beleg – behauptete, diese Art der Stimmabgabe werde ihn bei der Wahl im November benachteiligen, weil sie alle möglichen Manipulationen ermögliche.
Das Schlechtreden des United States Postal Service durch den Präsidenten könnte aber nach Ansicht mancher Kommentatoren ebenso dem Zweck dienen, im Falle einer knappen Niederlage das Ergebnis vehement mit dem Hinweis auf die angeblich unzuverlässige Briefpost anzufechten. Der Verdacht, dass man im Trump-Lager den Postdienst tatsächlich zu einem dysfunktionalen System degradieren möchte, um ihn so als Manipulier-Instrument bei der November-Wahl einzusetzen, wird zudem durch umstrittene Massnahmen des seit Juni amtierenden neuen Post-Chefs Louis DeJoy angeheizt. In den Medien kursieren seit kurzem Berichte und Bilder, die in einigen Gegenden des Landes den Abbau einer grösseren Anzahl der charakteristischen blauen USPS-Briefkästen dokumentieren sollen.
Eindeutig geklärt sind diese Vorgänge bisher nicht, doch DeJoys Management an der USPS-Spitze erweckt schon deshalb Misstrauen, weil bekannt ist, dass er eng mit Trumps Republikanern verbandelt ist und dieser Partei schon um die zwei Millionen Dollar gespendet hat.
Die vom Wahlkampf befeuerte Kontroverse um den staatlichen Postdienst hat jetzt auch die Führung der Demokraten zum dringlichen Handeln animiert. Die Vorsitzende des Repräsentantenhaus Nancy Pelosi hat für den Samstag die Abgeordneten aus den Ferien zu einer ausserordentlichen Sitzung einberufen. Dabei soll über die Verabschiedung eines Gesamtpakets von 25 Milliarden Dollar zur Stärkung der postalischen Infrastruktur und einer Sonder-Investition von 3,6 Milliarden zur Sicherung des Briefwahl-Ablaufs beraten werden.
Trump hat sich bereits zuvor gegen das langfristige Hilfspaket ausgesprochen. Doch steht noch nicht eindeutig fest, wie die Republikaner insgesamt abstimmen werden. Interessanterweise haben auch einige führende Vertreter dieser Partei erklärt, sie seien mit den Aussagen über die angebliche Dysfunktionalität des Postdienstes nicht einverstanden.
Der staatliche Postdienst ist zwar tatsächlich hoch defizitär. Aber er ist laut Umfragen bei der überwältigenden Mehrheit der Amerikaner weiterhin sehr beliebt und er beschäftigt über 630’000 Angestellte. Trump geht also auch das Risiko ein, dass er mit seiner hemdsärmeligen Polemik gegen diese Institution bei der Präsidentenwahl mehr Wähler vor den Kopf stösst, als er durch eine erschwerte Briefwahl von der Stimmabgabe für Joe Biden abhalten könnte.
Nachtrag: Laut Information der "Washington Post" hat Louis DeJoy, der von Trump eingesetzte Postmaster General (Chefmanager) des staatlichen Postdienstes, am Dienstag erklärt, dass die umstrittenen Umstrukturierungen in seiner Behörde bis nach der Präsidentenwahl vom 3. November sistiert würden. Die heftige Kritik in der Öffentlichkeit an solchen Massnahmen wie der Abbau von blauen Briefkästen oder die vorgesehene Reduktion von Sortiermaschinen hat also Wirkung gezeigt.