Ein spannender Trend zeichnet sich ab. Rund um den Erdball steigen immer mehr Menschen auf die Barrikaden gegen ihre Regierungen. Dabei sinkt das Durchschnittsalter jener, die sich auflehnen. Wütende Teenager organisieren Protestkampagnen über die sozialen Medien – und plötzlich realisieren sie, dass sie damit die Massen mobilisieren und die satte Politikszene in die Defensive drängen können.
Bewaffnete Lehrkräfte? Ein No-Go
Das Fass zum Überlaufen brachte in Florida die Glanzidee aus dem White House, zukünftig Lehrkräften an Schulen das Waffentragen zu erlauben. Dieser makabre Vorschlag als präsidiale Reaktion auf den letzten Amoklauf mit 17 Opfern aus einer endlosen Serie von ähnlichen „Hinrichtungen“ in der Vergangenheit durch Massenmörder an Schulen fand zwar Applaus bei der National Rifle Association (NRA), der mächtigen Waffenlobby in den USA. Doch gleichzeitig wurden im Februar 2018 die Schüler der Szene des jüngsten Massakers mobilisiert. Unbeeindruckt von den Drohgebärden der NRA haben Tausende von ihnen in Parkland, Florida für eine Verschärfung des US-Waffenrechts demonstriert. In der Hauptstadt Tallahassee versammelten sich Überlebende des Blutbades und mit ihnen Hunderte von aufgebrachten Teenagern vor dem Capitol. Ihr Engagement wirkte ansteckend, auch an anderen Orten des Bundesstaates schlossen sich Schüler mit Streiks diesen Protesten an.
Die Bewegung griff inzwischen aufs ganze Land über – die Jugend demonstriert für härtere Waffengesetze und mobilisiert gleichzeitig Erwachsene. Bereits werden diese Jugendlichen als Helden gefeiert und die Medien orakeln, ob Schüler diesmal die amerikanische Regierung endlich zwingen könnten, die Gesetze zu ändern. Offensichtlich sind es heute in zunehmendem Masse Jugendliche, die sich auflehnen, organisieren und die trägen Massen mobilisieren. Sie sind die nächsten Erwachsenen, sie involvieren sich über die sozialen Medien, noch bevor sie an der Urne mitbestimmen können. Und sie kommen gut an in der Gesellschaft, wer hätte nicht Sympathien für diese aktiven „Politikerinnen und Politiker“?
Die US-Regierung wird angeklagt
In San Francisco verstummte das Publikum, als im Herbst 2017 an einer Veranstaltung für Unternehmer in einer Fabrikhalle der Teenager Xiuhtezcatl („Schuhtess-kat“) mit langem Haar auf die Bühne sprang und verkündete: „Ich verklage Donald Trump!“ Der Siebzehnjährige kann die Auftritte vor Publikum gar nicht mehr zählen, schon als 15-Jähriger sprach er vor der Generalversammlung der Uno in New York. Seine Botschaft: Zusammen mit 20 weiteren Jugendlichen verklagt er die US-Regierung für ihre Klimapolitik. Soeben hat er auch ein Buch publiziert: „We Rise“ („Wir erheben uns“). Damit könnte ihm gelingen, was bisher undenkbar schien. Er könnte zum Helden einer neuen grünen Jugendkultur werden. Bereits wird er zu Fernsehshows und internationalen Kongressen eingeladen – seit acht Jahren schon wettert er gegen Kohle- und Fracking-Unternehmen.
Daniel Kammen, Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley und 2007 Mitglied des Friedens-Nobelpreis-Gewinner-Teams, einige Jahre älter als der oben zitierte Shootingstar, drückt zur selben Zeit aus, was längst weltweit klar ist: „Die Politik müsste sich ändern, die Wirtschaft, das Verhalten der Menschen. Nie war die Bedrohung für das Klima so gross und mit Donald Trump hätte die Umweltbewegung sogar das ideale Feindbild“. Jetzt stellt sich die Frage, ob dem Jungen mit dem hüftlangen Haar etwas gelingt, was den Tausenden von Experten in der Vergangenheit nicht gelang? Eine Klima-Revolution.
Bewegung „Jeunes avec Macron“
Frankreich wählte im Mai 2017 Emmanuel Macron als Staats-Präsidenten und hat damit bereits eine kleine Revolution realisiert. Getragen wurde diese durch die Jugend – die gleichzeitig eine neue politische Kategorie etablierte, abseits der ausgelaugten politischen Parteien. Symbolisiert wird dieses kleine „Erdbeben“ durch die jüngste Abgeordnete der „La République en Marche“ in der Nationalversammlung. Sie heisst Typhanie Degois, ist 22-jährig und hat in ihrem Wahlkreis Savoyen jenen alten Herren aus dem Palais Bourbon verjagt, der dort seit 20 Jahren sass und sich während der Wahlkampagne lustig machte über das Alter seiner Herausforderin. Auch in Zahlen bestätigt sich der Eindruck des fulminanten Wandels: 38,6 Prozent beträgt dort seither der Frauenanteil im nationalen Parlament (in der Schweiz: Ständerat 15,2%, Nationalrat 32,0%).
Das Volk geht auf die Barrikaden
Der brutale Mord am Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten hat in der Slowakei im März 2018 zu riesigen Massendemonstrationen gegen die grassierende Korruption geführt, wie sie das Land seit 1981 nie mehr gesehen hat. Über 50’000 Demonstranten – auffallend viele Jugendliche – brachten die Regierung ins Wanken, der Innenminister trat im März 2018 zurück. Parteilose Aktivisten organisierten die Protestzüge, Politiker waren als Redner ausdrücklich unerwünscht.
Schon 2017 war es in Bukarest zu den grössten Protesten seit 1989 gekommen – auch hier ging es um die Bekämpfung der Korruption. Eine neue, selbstbewusste Bevölkerungsschicht trat an gegen ihre Regierung, empörte und fordernde Bürger waren erwacht. Getragen wurde der Protest auch hier von Aktivisten, jungen Familien mit kleinen Kindern, die Eltern gut ausgebildet und nicht mehr, wie früher, als Bittsteller antretend.
Anzeichen einer digitalen Revolution
Auch in Brasilien, anderen südamerikanischen Staaten oder in Südkorea stehen die Zeichen auf Sturm. Dass sich das Volk gegen die Korruption ihrer politischen Kaste auflehnt, ist zwar nicht neu. Doch das Ausmass und die Vehemenz lassen aufhorchen. Offensichtlich spielt dabei die unaufhaltsame Digitalisierung in Gesellschaft und Politik eine wichtige Rolle. Die Erneuerung des politischen Systems und die Partizipationsmöglichkeiten des Volkes werden durch Computerprogramme rasch vereinfacht und vorangetrieben.
Und in der Schweiz? Ende 2017 haben Professoren der Uni Zürich unter der Koordination von Abraham Bernstein, Direktor der „UZH Digital Society Initiative“ einen Aufruf lanciert und die Anleitung verbreitet, wie die Digitalisierung demokratische Prozesse verändern könnte. Mit im Boot sind Fabrizio Gilardi, Politologieprofessor und der Politologe Maximilian Stern. Ziel dieser Aktivität ist es, die Bevölkerung viel früher in den politischen Planungsprozess zu involvieren. Nicht nur können auf diese Weise Abläufe optimiert werden, Ziel ist es vielmehr, ganze Prozesse auf Grund auf neu zu organisieren.
Gedanklich bereits integriert hat in der Schweiz die junge politische Bewegung „Operation Libero“ Ideen der Neuorganisation der politischen Landschaft. Via soziale Medien mischt sie sich ein und führt erfolgreich Kampagnen zu Abstimmungen, dort, wo es ihnen wichtig erscheint (Durchsetzungsinitiative, No-Billag-Initiative). Sie rekrutiert ihre Aktiven aus dem ganzen politischen Spektrum und bezeichnet sich deshalb ausdrücklich als Bewegung – nicht Partei. Damit ermöglicht sie eine Abkehr von Dogmatismus und ideologischer Befangenheit im politischen demokratischen Umfeld.