Es ist eine Illusion zu glauben, Geldbewegungen könnten inhaltlich kontrolliert werden. Je schärfer und umfassender die seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wuchernde Gesetzgebung gegen Geldwäscherei wird, desto mehr offenbaren sich ihre Schwächen.
Geld oder andere Tauschmittel benötigt der Mensch zum Leben. Er strebt individuell oder kollektiv danach, Reserven anzulegen. Hat er genug davon, strebt er oft nach mehr. Dies kann bei einigen in eine Gier, ja eine Sucht ausarten.
Wer hat, will noch mehr
Wer mehr hat, will noch mehr. Dies zeigt sich auch bei sehr vermögenden Menschen, insbesondere bei russischen und US-amerikanischen Oligarchen, aber nicht nur bei ihnen. Das ist nicht eine Erscheinung der heutigen Zeit, es gab sie zu allen Zeiten. Der geldgierige Père Grandet in Honoré de Balzacs «Eugénie Grandet» von 1833 ist sicher vielen Lesern das berühmte literarische Beispiel für einen Menschen, der alles, schlicht alles, seinem Streben nach Gold unterordnet – und dabei die Seele verliert.
Hat Putin den Westen über den Tisch gezogen?
Zeiten des Umbruchs sind oft eine Einladung und Gelegenheit, die Gier nach Reichtum auszuleben. Im Chaos der 1990er Jahre sind in Russland dank dem berüchtigten und intransparenten System «Kredite gegen Aktien» eine schmale Elite von Oligarchen unanständig reich geworden. Geschäftsleute, die dem bankrotten russischen Staat Kredit gewährten, erwarben als Gegenleistung billige Optionen für den Erwerb von Staatsvermögen. Von diesem Kaufsrecht machten zahlreiche russische Geschäftsleute Gebrauch. Namen der Oligarchen wie Potanin, Abramovic, Vekselberg und Usmanov etc. sind in den letzten Wochen medial ins kollektive Gedächtnis gerufen wurden.
In der NZZ vom 28. Juli 2012 stellte Gerold Hosp zum Thema Oligarchen wörtlich fest: «In seiner Kampagne im März 2012 für die Präsidentenwahl verzichtete Wladimir Putin nicht darauf, dieses für einen Grossteil der russischen Bevölkerung emotionale Thema anzusprechen. Es könne ein Schlussstrich unter die als unfair empfundenen Privatisierungen in der Frühphase des russischen Kapitalismus gezogen werden, indem die Profiteure eine einmalige Steuer zahlten, meinte Putin.»
Putin ist nicht dank dem Kredittrick der 90er Jahre reich geworden, sondern später als Staatschef. Als solcher hat er sich mit den «Kreditoligarchen» geeinigt. Er hat ihnen die Freiheit gelassen, ihr Vermögen im westlichen sogenannten Raubtierkapitalismus weiter zu vermehren. Die heutige Entrüstung in den Medien über die Raubzüge der russischen Oligarchen ist heuchlerisch. Im Westen waren die moralischen und regulatorischen Tricksereien der Oligarchen nach dem Zerfall der Sowjetunion bestens bekannt.
Die Heuchelei rund um die russischen Oligarchen
Die westlichen Staaten haben während Jahren den Oligarchen Tür und Tor geöffnet. Gegen «dirty money» gründeten oder kauften sie westliche private und kotierte Aktiengesellschaften verschiedenster Branchen, Immobilien aller Art, selbst Goldene Visa. In London entstand der Stadtteil Londongrad, der Oligarchen und deren Familienangehörigen gehört – bis vor einigen Wochen. Bereits 2020 bezeichnete ein britischer Unterhausausschuss den Finanzplatz London als «Waschsalon» für schmutzige Gelder. Laut der Organisation Transparency International sind in Grossbritannien Liegenschaften im Wert von 1,5 Milliarden Pfund im Besitz von Russen, denen Bestechung vorgeworfen wird oder die zum Machtzentrum des Kremls gehören.
London steht nicht allein. Los Angeles und New York hiessen Oligarchen herzlich willkommen, ebenfalls Frankreich und Spanien und die Schweiz. Jachtenbauer ebenso.
Bürokratie gegen virtuelle Waschsalons
Banken, amerikanische, englische, deutsche, schweizerische, französische und spanische, waren die Einfallstore für die russischen Oligarchen in den Westen. Es ist in aller Nüchternheit festzustellen, dass die seit Anfang der 1980er Jahre entstandenen Gesetze gegen Geldwäscherei Ziel und Zweck nicht erreicht haben. Nun wird nach einer weiteren Verschärfung der Bekämpfung von virtuellen Waschsalons gerufen. Bewirken wird dies eine noch grössere Bürokratie für Behörden und Banken, eine schleichende Erosion der Privatsphäre (trotz Datenschutzvorschriften), die Drangsalierung der Bevölkerung bei Überweisungen kleinerer und mittlerer Geldsummen. Die Kosten der Banken für die sogenannte Compliance – welche von den Banken elegant an die Kunden weiter belastet werden – sind in den Himmel gewachsen.
Aber: Werden substanziell hohe Geldbeträge weiterhin wie bisher im Bankensystem durchgewinkt? Dies ist leider aus nachfolgenden Gründen zu befürchten.
Gezinkte Karten auch in Delaware und Miami
Es gibt nicht nur russische Oligarchen, es gibt auch US-amerikanische, indische, chinesische und weitere. Investigative Journalisten haben sich z.B. mit den Panama- und Pandora-Papers vor allem auf Gesellschaften in der Karibik und im Pazifik eingeschossen, die problematische Steuerkonstruktionen offerieren. Auch die US-Steuerdomizile Delaware und Miami arbeiten mit gezinkten Karten.
Mauritius ist die Steueroase für Indien. Es gibt kaum eine indische Bankengruppe ohne Tochtergesellschaft in diesem Inselstaat. Internationale Käufe und Verkäufe werden oft über Briefkastenfirmen mit Sitz in Mauritius abgewickelt.
Das Streben nach Reichtum und Geld scheint Teil der menschlichen Natur zu sein. Bürokratie wird es nicht schaffen, dieser Verlockung zu widerstehen.
Die Schweiz – kein Sonderfall
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine scheinen sich diverse Kreise auf die Schweiz einzuschiessen, weil diese wegen vernünftiger Steuergesetze, überwiegend ehrlicher – und damit dummer? – Bevölkerung, stabiler Politik und Infrastruktur angeblich viele Oligarchen angezogen hat. Alle westlichen Staaten, nicht nur die Schweiz, müssen sich die Frage gefallen lassen, weshalb sie den russischen Oligarchen Tür und Tor geöffnet haben, obwohl diese russische Staatsvermögen veruntreut haben. War es ein schlauer Schachzug Putins, die Oligarchen für ihre Raubzüge in den Westen zu entlassen? Auch wenn vermehrte Transparenz begrüssenswert ist, stehen die Schweiz und deren Banken in der Akte «Oligarchen» sicher nicht schlechter da als andere westliche Staaten. Das Land wird zu Unrecht verleumdet. An die en vogue gekommene Kriegsrhetorik müssen wir uns wohl gewöhnen.
Banken als überforderte Detektive
Der Weg zur weltweiten Flut von Geldwäschereivorschriften war gepflastert mit der guten Absicht, kriminelle Schandtaten, Terrorismus und Menschenhandel eingeschlossen, zu bekämpfen. Alle Zahlungen sollten von den Banken auf Herz und Nieren durchleuchtet werden. Heute sind Heerscharen von Bankangestellten der Compliance-Abteilungen beauftragt, als Erfüllungsgehilfen der Steuer- und Strafbehörden unsaubere, kriminelle oder unversteuerte Geschäfte aufzuspüren. Die Umsetzung leidet daran, dass Detektivarbeit keine ursprüngliche Banktätigkeit ist. Unterschiedliche Praktiken in verschiedenen Ländern infolge eigener Kulturen, Gebräuche und Moralstandards machen die Sache nicht leichter. Was früher gang und gäbe war, läuft Gefahr, kriminalisiert zu werden.
Compliance-Abteilungen stehen unter Druck von Seiten des Managements, grosse Geldbeträge leichter durchzuwinken als vergleichsweise kleine Summen. Die grosszügige Akzeptanz der massiven Zuströme russischer Gelder ist auf dieses Verhalten zurückzuführen. Je höher die Summen der überwiesenen Geldbeträge sind, desto schwieriger wird es aus ökonomischen Gründen für die Banken, Gelder zurückzuweisen. Sie werden nicht nur durch die Überweiser, sondern auch durch die Empfänger unter Druck gesetzt, Gelder durchlaufen zu lassen. Geld fliesst wie Wasser.
Mehr Transparenz durch Besteuerung des Zahlungsverkehrs
Heute müssen wir feststellen, dass es unfair und eine Illusion war, diese bankfremde Detektivarbeit den Banken zu überbürden und sämtliche Zahlungen zu hinterfragen. Das ist eine Mission impossible. Bester Beweis ist das Bespiel der russischen Oligarchen. Wäre es nicht effizienter, mit einer minimalen Besteuerung der weltweiten Zahlungsflüsse Transparenz in den Zahlungsverkehr zu bringen?