Der Bundesrat unterstützt die Kandidatur des ehemaligen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank und jetzigen Vizepräsidenten von BlackRock, Philipp Hildebrand. Es wäre für die Schweiz eine grosse Ehre, wenn Hildebrand diese Funktion übernehmen könnte. Für die OECD wäre es ein Glücksfall. Den Umbau des internationalen Steuersystems könnte Hildebrand mit einem neuen Approach und Aussicht auf Erfolg an die Hand nehmen.
Der jetzige Generalsekretär Gurría
Vor seiner Zeit bei der OECD hat der jetzige Generalsekretär Angel Gurría als Finanzminister Mexikos die mexikanische Wirtschaft ohne Finanzkrise durch einen Regierungswechsel gesteuert. Als OECD-Generalsekretär hat er die Leitung einer gross angekündigten umfassenden Steuerrevision des internationalen Konzernrechts dem Etatisten Pascal Saint-Amans überlassen, einem tüchtigen französischen Staatsbeamten mit ENA Ausbildung. Diesem ist es nicht gelungen, seine Steuervorschläge zu einem Wurf zu gestalten, der einfach und überzeugend ist. Das Projekt muss neu aufgegleist werden. Der neue Generalsekretär wird es selber prägen müssen.
Hildebrands Erfahrungen
Philipp Hildebrand hat 2012 sein Präsidium bei der SNB abgeben müssen wegen einer Geschichte, die nach familiärer Sippenhaftung riecht. Das war nicht nur ein Schlag gegen ihn persönlich, sondern auch gegen die Nationalbank selber. Diese hat in den letzten Jahren ihre Bewegungsfreiheit im Zinsbereich aufgegeben, im Devisenbereich mit Aufkäufen von Milliarden fremder Währungen den Kurs des Schweizer Frankens manipuliert.
Von der Nationalbank wechselte Hildebrand in die Privatwirtschaft. Er ist Vizepräsident des weltweit grössten Vermögensverwalters BlackRock, der ein Vermögen von mehr als USD 8’500 Milliarden betreut.
Die kombinierte Kompetenz von Hildebrand als früherer Leiter der Nationalbank und als Vizepräsident von BlackRock würde dem Bündnis der 37 OECD-Mitgliedstaaten einen Erfahrungsschatz bringen, der dringend benötigt wird.
Schwerpunkte des Kandidaten Hildebrand
Eindrücklich sind die drei Schwerpunkte, die Philipp Hildebrand als OECD-Generalsekretär in den Vordergrund stellen will. Seine drei grossen Themen sind die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung, der Umbau des Steuersystems und die erforderlichen Massnahmen bei der Bewältigung des Klimawandels. Diese drei Bereiche hängen eng miteinander zusammen. Die wachsende Schere zwischen Arm und Reich erfordert Korrekturen bei der Fiskal- und Ausgabenpolitik. Das Wirtschaftssystem darf nicht aus den Fugen geraten, der Geldkreislauf muss sichergestellt werden. Erneuert werden muss das heutige antiquierte Steuersystem.
Anpassungen beim Steuersystem sind notwendig, wenn nur schon die grössten Diskrepanzen zwischen Einkommens- und Vermögensverteilung beseitigt werden sollen. Dies allein ist eine Herkulesaufgabe. Der Klimaschutz wird Milliarden verschlingen. Wie sollen die riesigen auf uns zukommenden Ausgaben finanziert werden, wenn nicht über Steuereinkünfte? Die Finanzierung über Schulden kann nicht die Lösung sein, Modern Monetary Theory hin oder her.
Einkommens- und Vermögensunterschiede verschärfen sich
Das Vermögen von Milliardären hat seit Beginn der Corona-Pandemie allein in den USA dank inflationären Börsenpreisen um über 1’000 Milliarden Dollar zugenommen. Nur Wenige profitieren von der Bonanza an den Aktienmärkten. Die Mehrheit ist auf Sparkonten angewiesen, die keinen Zins abwerfen.
Startups mit brillanten Ideen können seit kurzem, auch im Social Media Bereich, dank billiger Finanzierung rasch wachsen. Gelingt ein Börsengang, winken den Initianten Kapitalgewinne in Milliardenhöhe. Erfolgsgeschichten beschränken sich seit kurzem nicht nur auf das Silicon Valley. Das jüngste Beispiel ist die rumänische Softwaregesellschaft UiPath, die auf automatische Prozesse mit Robotern spezialisiert ist. Sie wird gemäss FT bereits mit USD 35 Milliarden bewertet. Der Globalisierungszug ist in voller Fahrt.
Nicht nur beim Vermögen öffnet sich die Schere, sondern auch bei den Einkommen. Berichte über zunehmende weltweite Armut häufen sich. Selbst in entwickelten Ländern führen Digitalisierung, Globalisierung und zügellose Finanzialisierung zum Verlust von Arbeitsplätzen. Arbeitslosigkeit nimmt schleichend zu, durch die Coronakrise verstärkt sichtbar. Wer Augen und Ohren offen hält weiss, dass auf dem Arbeitsmarkt nicht alles zum Besten bestellt ist.
Finanzialisierung öffnet die Schere zwischen Arm und Reich weiter
Das Wort Finanzialisierung ist eine Neuschöpfung der letzten Jahre. Transaktionen aus der Finanzwelt führen mehr und mehr ein Eigenleben. Sie werden immer gewichtiger im Vergleich zur Realwirtschaft. Das Finanzsystem arbeitet mit einer starken Hebelwirkung dank Gewährung von Krediten, Derivaten und anderen Finanzierungen. Grossbanken, Schattenbanken, Rohstoffhändler und Hedgefunds, die das grosse Rad drehen, profitieren besonders von diesem Trend. Die Finanzialisierung führt zum Aufblähen des gesamten Bankensystems. Bereits 2008 war die Finanzialisierung die zentrale Ursache für die weltweite Finanzkrise. Simple Hypotheken wurden über problematische Verbriefungen solange in finanzielle Pakete mit Sprengkraft verpackt, bis diese 2008 explodierten.
Auswüchse des Börsenwesens am Beispiel von GameStop
Der Finanzskandal GameStop ist ein typisches Beispiel einer übertriebenen casinoähnlichen Finanzialisierung. Dank der Kombination von Derivaten, Leerverkäufen und Hedgefunds wurden Transaktionen abgewickelt, bei denen man sich rückblickend fragen muss: Was soll das?
Wer letzte Woche das Auf und Ab der GameStop-Aktie mit all ihren Schattierungen verfolgte, kommt zum Schluss, dass Derivate jenseits eines Bezugs zur realen Welt volkwirtschaftlich keinen Sinn machen. Unanständig, ja dreist, ist die Rolle des Brokers Robinhood, der vorgibt, den kleinen Anlegern zu helfen, indem er diese mit Nullkommissionen zu riskanten Aktientransaktionen verleitet. Vor Ausführung der Kundenaufträge stellt Robinhood jedoch die entsprechenden Transaktionsdaten diversen Hedgefunds zur Verfügung. So können sich diese in den Handelsfluss einschalten und über den Hochfrequenzhandel risikolos Geld verdienen. Dass mit solchen Manövern und Manipulationen politisch böses Blut gegen „die gierigen Spekulanten von Wall Street“ erzeugt wird, ist naheliegend. Das Wort „Occupy Wall Street“ fällt wieder, nicht nur von linken Aktivisten, sondern auch von rechten Gruppierungen.
Ein enormes Steuerpotential liegt in den Geldflüssen der Finanzwelt brach. Die Lösung ist die Mikrosteuer auf allen Zahlungsströmen.
Ein riesiges Steuerreservoir
Derivate betrugen im Mai 2020 in der Schweiz über 28 Millionen Milliarden Franken. Das ist eine 28 mit 15 Nullen, eine verrückte Zahl.
Allein in der Schweiz beträgt der jährliche Zahlungsverkehr weit über 100’000 Milliarden Franken.
Der Grossteil des Geldflusses entfällt auf Transaktionen der Finanzindustrie. Angesichts der vor uns liegenden horrenden Kosten des Klimawandels und angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich darf dieses Steuerreservoir nicht weiter brachliegen.
Die OECD muss ein neues Steuersystem aufbauen
Im Vor-Corona Jahr 2019 hat die OECD Vorschläge für die Revision des Steuersystems unterbreitet. Im Kern stand die Idee einer Verschiebung der Gewinnsteuern internationaler Firmen vom Ort der Wertschöpfung in die Absatzmärkte. Inzwischen sind die Bemühungen der OECD weitgehend im Sand verlaufen, man hört nichts mehr. Der Ansatz, den antiquierten Strukturen des bestehenden Steuersystems lediglich neue Finessen aufzupfropfen und es weiter zu komplizieren, muss scheitern. Auch in diesem Bereich muss die neue OECD-Leitung einen neuen Ansatz wagen. Die Herausforderungen von Finanzialisierung und Digitalisierung des 21. Jahrhunderts werden in den Arbeitspapieren der OECD erwähnt. Doch die richtigen Schlüsse werden nicht gezogen. Die Einführung einer internationalen Besteuerung der Zahlungsströme ist früher oder später unvermeidbar.
Das Fiasko der deutschen Finanztransaktionssteuer
Im Dezember 2019 lobte die deutsche Kanzlerin Merkel ihren Vizekanzler Scholz für das Konzept einer neuen Finanztransaktionssteuer. Dieses war wenig durchdacht. Nur gewisse Börsentransaktionen sollten der Finanztransaktionssteuer unterliegen, nicht aber Derivate und Hochfrequenzhandel. Vizekanzler Scholz plante seinen Steuerplan während der deutschen Präsidentschaft des EU-Rates im zweiten Halbjahr 2020 europaweit durchzusetzen. Daraus wurde nichts. Corona hat die EU-Präsidentschaft Deutschlands überschattet und den Vorstoss von Scholz zur Makulatur gemacht.
Es braucht die Mikrosteuer auf den Geldflüssen
Der entscheidende Faktor der heutigen Finanzwelt angesichts von Globalisierung, Digitalisierung und Finanzialisierung sind weltweit wachsende Zahlungsströme. Das betrifft sowohl die Real- als auch die Finanzwirtschaft. Beide sind mit einer Mikrosteuer zu belasten. Die OECD muss diese Chance beim Aufbau eines neuen Steuersystems erkennen. Eine Mikrosteuer im Promillebereich auf allen Zahlungsströmen generiert einen Steuerertrag, der mithelfen wird, die Ungleichheit der weltweiten Einkommens- und Vermögensverteilung zu reduzieren und die Giga-Kosten des Klimawandels zu bewältigen.