Plattencover sollten schon immer Emotionen wecken. Das ist ihr trivialer Zweck im Sinne der Werbung. Dabei aber hat sich etwas verselbstständigt. Die Fotografen haben nicht einfach nur Auftragsarbeiten beigesteuert, sondern irgendetwas in ihrem Inneren trieb sie zu äusserster Kreativität.
Mehr als Nostalgie
Dieser Antrieb bestand aus der Musik und aus den Musikern. Und man wird dazu sagen müssen: aus der ganzen Atmosphäre, die diese Musiker und ihre Kompositionen, ihre Studios und ihre Lebensweise umgab. Da brach sich etwas noch nicht Dagewesenes Bahn, und die Fotografen wurden zu einem Teil davon.
Nostalgie wäre das falsche Wort, um die Gefühle zu umreissen, die sich beim Gang durch die Ausstellung einstellen. Denn es geht dabei nicht um eine Vergangenheit, an die man allein deswegen gerne denkt, weil damit schöne Erinnerungen verbunden sind. Diese Vergangenheit enthält mehr. Sie erinnert uns an kreative Energien, an Aufbrüche und atemberaubend Neues, das es so heute zumindest in der Kultur nicht mehr gibt. Das Neue heute erschöpft sich weitgehend in Fortschreibungen und Variationen dessen, was seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgebrochen ist.
Was ist wirklich neu?
Dieses Urteil mag ungerecht sein, und Jüngere werden vielleicht in dem heutigen Neuen mehr Neues entdecken als diejenigen, die vom Neuen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts mitgerissen wurden. Die Werbung spricht davon, dass alles mögliche „neu definiert“ oder „neu erfunden“ wird. Ist das aber mehr als Wortgeklingel, das sich quasi selbsttätig fortsetzt?
Die Ausstellungsmachern ist es gelungen, rund 500 Exponate zusammenzutragen. Diese Cover wurden von einigen der damals weltbesten Fotografen, deren Werke bis heute Massstäbe setzen, gestaltet. Um nur einige Namen zu nennen: Robert Frank und David Baily fotografierten für die Rolling Stones, Annie Leibovitz für John Lennon, Jean-Baptiste Mondino für Prince, Madonna oder Stephan Eicher, Robert Mapplethorpe für Laurie Anderson. Vom Altmeister Irving Penn stammen Porträts von Miles Davis, die für sich genommen längerer Betrachtungen wert wären. Auch Nan Goldin fehlt nicht. Sie hat zum Cover für „Sous le Manteau“ von 2000 einen jungen Mann dabei in Szene gesetzt, wie er einem Mädchen genussvoll ins Höschen greift.
Die Porträts von Richard Avedon waren im Laufe von sechs Jahrzehnten auf über 120 Plattenhüllen zu sehen. Und der berühmte Lee Friedlander startete seine Karriere mit Porträts von Jon Coltrane und Ray Charles. Beeindruckend auch, wie Jean-Paul Goude wieder und wieder Grace Jones fotografiert hat, bis am Ende eine totale Stilisierung herauskam.
Pikant ist auch, dass man ein Cover von Jock Sturges, der mit seinen Aktinszenierungen ganz junger Mädchen heutzutage als zumindest umstritten gilt, findet. Daneben sieht man Arbeiten von Annie Leibovitz und W. Eugene Smith, die eine einem breiten Publikum als Modefotografin bekannt, der andere verzehrte sich nahezu mit seinen Industrieaufnahmen von Pittsburg und hat entsprechend ein ebenso düsteres wie faszinierendes Porträt von Monk geschaffen.
Dazu gesellten sich Künstler wie Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Dieter Roth oder Pipilotti Rist. Und natürlich spielten die Grafiker dabei eine grosse Rolle. Galt es doch nicht nur, einzelne Cover optimal zu gestalten, sondern nach und nach versuchte man, für jede Band beziehungsweise jedes Label eine Art Corporate Design zu entwickeln.
Dem trägt die Ausstellung Rechnung. In den einzelnen Räumen werden die Cover nicht nur im zeitlichen Zusammenhang oder in Verbindung mit bekannten Namen gezeigt, sondern es werden auch verschiedene gestalterische Trends nachgezeichnet.
Das Aufkommen der CD in den achtziger Jahren schränkte aufgrund des wesentlich kleineren Formates die Covergestaltung ein. Doch hat sich, wenn auch in wesentlich kleineren Auflagen, die alte Vinyl-Platte gehalten. Und so sieht man in der Ausstellung auch noch Cover in diesem Format. Aber haben sie noch den früheren Biss?
Die Ausstellung in Winterthur wurde zunächst während Les Rencontres de la photographie d´Arles 2015 unter der Kuratierung von Sam Stourdzé, Antoine de Beaupré und Serge Vincendet gezeigt. Aus diesem Anlass ist auch der umfangreiche Katalog erschienen.
Fotomuseum Winterthur, Grüzenstrasse 44/45, Total Records, Vinyl und Photography, bis 16. Mai 2016