Als sich 1990 der Aufbau des Binnenmarktes der EG (wie sie noch hiess) seinem Ende näherte, schien es zwingend, ihm eine Währungsunion zur Seite zu stellen. Ohne Währungsunion blieb das stolze Projekt ein Torso! Elf nationale Währungen von zwölf Mitgliedstaaten (Luxemburg brauchte den belgischen Franc) zersplitterten den Binnenmarkt.
Also Währungsunion!
Beim Reisen musste man x Währungen in der Tasche haben, die unvorhersehbaren Auf- und Abwertungen unter ihnen verunmöglichten den Unternehmen langfristige Kalkulationen, und sie zerrissen bei jedem Schub den „gemeinsamen Agrarpreis“, das Zentralstück der EG-Agrarpolitik, in elf verschiedene - den Bauern in zwölf Ländern zu zahlende - Preise für ihr Getreide, das Fleisch, die Butter... Exportierten sie ihre Erzeugnisse in ein anderes EG-Land, dann mussten die durch Auf- und Abwertungen entstandenen Preisunterschiede, um die Fiktion des „gemeinsamen Preises“ aufrechtzuerhalten, am Grenzübergang kompensiert werden.
Grenzen abschaffen war also unmöglich, der „gemeinsame Agrarmarkt“ gemeinsam nur noch in kurzen Phasen monetärer Stabilität, von einem „Raum ohne Grenzen“ konnte keine Rede sein.
Also Währungsunion! Im Dezember 1991 verabschiedeten die EG-Führer an einem legendären Gipfeltreffen den „Maastricht-Vertrag“, dessen Hauptstück die Gründung einer Währungsunion war. Wenige sahen und niemand sagte es damals: Mit diesem ehrgeizigen Werk war die EG überfordert. Ihre Politiker überluden diese Union als Geburtshelfer mit Fehlern. Ihre dilettantischen Entscheide entstanden unter anderem aus nationalen, aussen- und innenpolitischen Motivationen, die mit der Währungsunion nichts zu tun hatten.
Mitterrands Erpressung
So das Spiel politischer Erpressung, das der französische Präsident mit dem deutschen Bundeskanzler trieb. Helmut Kohl kämpfte 1990 für die Wiedervereinigung mit dem 1989 aus der sowjetischen Satellitenherrschaft entlassenen Ostdeutschland. Die britische Premierministerin Maggie Thatcher mit ihren 19.Jahrhundert-Ideen von nationalistischer Macht- und Gleichgewichtspolitik bat François Mitterrand, mit ihr zusammen diese Wiederauferstehung Grossdeutschlands zu verhindern.
Zu zweit wäre das geglückt. Etwas später reiste Mitterrand nach Deutschland zu Kohl und soll ihm angeboten haben, die Einigung zu unterstützen – wenn er die D-Mark in eine gemeinsame EG-Währung einbringe. Gegen welche dann der Franc nicht mehr abgewertet werden konnte... Keiner von beiden hat das je zugegeben. Aber von da an unterstützte Mitterrand die Wiedervereinigung. Sie kam 1990 zustgande und 1991 die Währungsunion.
Montanunion - Sieger und Besiegte werden Freunde
1990 war unter ihren Leadern auch die geniale Ur-Vision der EG verloren gegangen, die für ein Gesamtgleichgewicht ihrer Entwicklung sorgte: eine Staatengemeinschaft, in welcher Politik und Wirtschaft sich gegenseitig zu neuen Einigungssprüngen antreiben.
In der ersten EG, der 1952 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, beflügelte die Aussicht auf diesen Grossmarkt sechs Länder zu unerhörten Taten: Abtreten nationaler Souveränität an eine „Hohe Behörde“, Mehrheitsbeschlüsse, denen man sich unterzog, Verschmelzung der beiden fürs Kriegführen unerlässlichen Branchen zu einem supranationalen Grosskomplex, in welchem Kriege unter den jahrhundertelangen Todfeinden unmöglich wurden.
Sieben Jahre nach Hitler und dem Sieg über Nazideutschland arbeiteten in der Führung dieser „Montanunion“ hohe Politiker der fünf Siegerländer mit ihrem deutschen Kollegen friedlich zusammen und wurden Freunde.
Der Tunnelblick der Wirtschaftsintegration
Doch schon 1955 scheiterte der nächste Sprung, die „Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft“, welche gleich auch noch die Armeen der sechs Länder verschmelzen wollte, an einem französischen Rückfall in den Nationalismus. Von diesem Schlag erholte sich die Beteiligung des Politischen am Einigungsprozess nie mehr.
Fünfzig Jahre lang wurden Fortschritte nur noch auf wirtschaftlichem Gebiet gesucht. Und erzielt! Zollunion, gemeinsamer Markt, gemeinsame Agrarpolitik, Wettbewerbs-, Verkehrs-, Handels-, Industrie-, Regionalpolitik – Währungsunion! Für das europäische Führungspersonal jener Epoche war sie die natürliche Fortsetzung des 1950 begonnenen Einigungsprozesses und seine Krönung. Typisch für diesen Tunnelblick sind zwei blinde Flecken der damaligen Europapolitik:
Der Automatismus, das Wunderrezept
Mitmachen in einem grossen Markt war in den EG-Ländern populär, das Abtreten von politischer Souveränität nicht. Die EG-Leader wollten nicht sehen oder sahen es gar nicht mehr, dass die Währungsunion mit politischen Führungskompetenzen für eine sie stützende Wirtschaftspolitik einhergehen musste. Schon ein Blick in die Geschichte früherer Währungsunionen hätte ihnen gezeigt, dass solche (ausser den kleinen wie Schweiz-Liechtenstein oder Luxemburg-Belgien) ohne politische Einheit nie Bestand hatten.
Ohne den Mut, übernationale Institutionen und Mechanismen ebenso zwingend in den Vertrag schreiben wie die gemeinsame Währung, überliessen sie sich einem unter dem Namen „Automatismus“ bekannten Glauben, die einheitliche Währung werde die politisch nötigen Begleitmassnahmen dann schon erzwingen. Ein kapitaler Irrtum, den ihre Nachfolger heute teuer bezahlen.
Der Balkankrieg: Wegschauen!
Dabei gab es in ebendiesen Jahren eine übergrosse Herausforderung, das Gleichgewicht zwischen Wirtschaft und Politik wiederherzustellen. Auf dem eigenen Kontinent wüten die grausamen Bruderkriege unter den jugoslawischen Nachfolgestaaten.
Alles drängt zur Bildung einer gemeinsamen EG-Aussenpolitik und militärischem Eingreifen, um die Schlächterei zu stoppen. Aber nein, man schaut weg und verbeisst sich in die Schaffung einer Währungsunion. Für Befriedung greift man dann doch noch zweimal ein. Aber erst im Schlepptau der Amerikaner und widerstrebend.
Monetärer Dilettantismus
Man hätte ja wenigstens die Währungsunion selber nach allen Regeln der Kunst konstruieren können. Aber auch daran fehlte es. Ein exzentrischer Hellseher übte von innen her beissende Kritik an ihren Schwächen: Bernard Connolly, Währungsexperte in der EG-Kommission. Doch diese ertrug das nicht: Er wurde 1995 hinausgeworfen und ist heute ein gesuchter Berater für den Umgang mit der Euro-Krise. Die Geburtshelfer tauften das Unternehmen zwar Wirtschafts- und Währungs-Union“, aber zwingende Regeln gaben sie nur der Währungsunion, der Wirtschafts-Union bloss unverbindliche Leitlinien.
Heute wird ihren Nachfolgern brutal demonstriert, dass für eine gut funktionierende Währungsunion auch eine harmonisierte Wirtschafts-, Konjunktur-, Finanz- und Budgetpolitik Voraussetzung ist. Das erkannten Deutschland und Frankreich mit ein paar Jahren Verspätung und zwangen ihren Partnern als Zusatzvereinbarung eine Budgetdefizitgrenze von 3 Prozent auf, aber mit so schwachen Abstimmungsregeln, dass sie sich den Sanktonen mit ihrem Veto entziehen konnten, als sie selber als erste diese 3 Prozent überschritten. Da konnte man natürlich später auch die Griechen nicht strafen.
Aus den Geburtsfehlern lernen?
Die Geburtsfehler eliminieren und von Null auf neu beginnen? Unmöglich, die Euro-Union hat schon zuviel Beharrungsvermögen und auch schätzenswerte Vorteile, die Politiker können nur in der Hoffnung, dass sie nicht einstürzt, in alle Ecken rennen, um die täglich aufflackernden Brände einzudämmen.
Sachte scheinen sie aber den wichtigsten Lektionen aus den Geburtsfehlern näher zu kommen: dass eine Rettung des Euro weit über die blosse Währungspolitik hinaus bis ins Politische gehen muss, dass die gesamte Wirtschafts- inklusive Währungspolitik mehr Harmonisierung und einheitliche Leitung braucht, die EU überhaupt mehr Einheit und Führung, einen neuen Sprung nach vorn, vielleicht sogar eine Gesamtüberholung, eine neue Vision des grossen Gleichgewichts.
Ein "Masterplan" bis Ende Juni?
Die Präsidenten des Europäischen Rates der Regierungschefs, der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und der Euro-Gruppe des Ministerrats haben den Auftrag bekommen, bis Ende Juni einen „Masterplan“ auszuarbeiten. Gespannt, was uns van Rompuy, Barroso, Draghi und Juncker auskochen.