Was eine Buhne ist, kann man nachschlagen, etwa in der Wikipedia. Das sollte man tun, bevor man bei einer Flussfahrt auf eine stösst. Sonst droht Ungemach.
Eine Buhne ist ein in etwa rechtwinklig zum Ufer eines Flusses errichteter Damm, welcher der Fahrrinnenvertiefung und dem Uferschutz dient, in dem sie künstlich die Querschnittsfläche des Flussbettes verkleinert und als Folge der so erzeugten erhöhten Fliessgeschwindigikeit in der Flussmitte die Ablagerung von Sediment in der Fahrrinne verhindert (frei nach Wikipedia).
Das Problem der Wasserstände
Das Tor an der Strassburger Nordschleuse schliesst sich hinter der Solveig. Wir warten, nichts scheint zu geschehen. Schon befürchten wir eine technische Panne und wollen den Schleusenwärter über Funk aufrufen, da gleitet am andern Ende des Schleusenbeckens das Tor zur Seite. Offenbar ist beim jetzigen erhöhten Wasserstand der Niveauunterschied zwischen dem Rhein-Marne Kanal und dem Rhein so klein, dass man in der Schleuse den Ausgleichsprozess kaum wahrnimmt. Bei normalem Wasserstand liegt der Kanal etwas höher, doch wenn der Rhein wirklich Hochwasser führt, schützt die Schleuse den tiefer liegenden Kanal und die Ill, welche durch Strasbourg fliesst, vor den Wassern des Rheins. Weil also das Niveaugefälle je nach Wasserstand im Rhein einmal vom Kanal zum Fluss, ein anderes Mal vom Fluss in den Kanal verläuft, haben die Schleusentore nicht die typische Form eines flachen Pfeiles, sondern wurden als seitwärts bewegbare Schiebetore konstruiert, welche Druckunterschiede in beiden Richtungen abfangen können.
Doch in dieser Schleuse beeindruckt nicht der Höhenunterschied, sondern der „nautische Kulturschock“: Hier die idyllisch anmutende französische Kanallandschaft der Vorkriegszeit, dort die wichtigste Wasserstrasse Europas, auf der 200 Meter lange Schubverbände ganze Türme von Containern vor sich herschieben und Wellen produzieren, welche sogar unser meertaugliches Schiff ganz schön ins Tanzen bringen können.
Die Zähmung des mächtigen Flusses
Allerdings würden diese Giganten nicht bis Strasbourg oder gar bis Basel verkehren können, wenn Frankreich und Deutschland nicht in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts begonnen hätten, den Grand Canal d’Alsace zwischen Weil und Breisach und die entsprechenden obersten vier Staustufen zu bauen. In der gleichen Zeit erfolgte die Begradigung des Rheins unterhalb Breisach. Diese und die zahlreichen aus mächtigen Steinblöcken errichteten Buhnen vergrösserten das Gefälle im Fluss und damit die Fliessgeschwindigkeit des Wassers so stark, dass dadurch die Rheinschifffahrt erschwert wurde.
So kamen zur Zähmung des mächtigen Flusses im Laufe der Zeit flussabwärts bis auf die Höhe von Rastatt sechs weitere Staustufen dazu. Nach einem Unterbruch während des Zweiten Weltkrieges wurden die letzten beiden Staustufen, Gambsheim 1974 und Iffezheim 1977, fertig gestellt. Damit handelte man sich gleich drei Vorteile ein, nämlich Kraftwerke zur Energiegewinnung, Schutz vor Hochwasser und kleinere Fliessgeschwindigkeiten im Fluss. Diese Bauten führten umgekehrt zu einer drastischen Veränderung der oberrheinischen Naturlandschaft, welche vorher durch periodisch überflutete Auenwälder und viele mäandrierende Flussarme geprägt gewesen war. Das wäre ein Thema für sich.
Erinnerung an ein Desaster
Wenige Stunden nach dem Passieren der Schleuse Strasbourg fahren wir hinter einem Frachtschiff aus der Schleuse Iffezheim auf den nun bis zum Meer frei fliessende Rhein hinaus. Wo der Schleusenkanal von rechts in den alten Lauf des Rheins mündet, drehen wir scharf nach links, fahren ein Stück den alten Rhein hinauf und umkurven oberhalb der imposanten Strassenbrücke, welche Frankreich mit Deutschland verbindet, sorgfältig eine grüne Markiertonne und erreichen schliesslich die enge Einfahrt in den auf französischem Boden liegenden Hafen Beinheim. Ganz zuhinterst im Becken hat der Motorbootclub des deutschen Iffezheim seine Liegeplätze. Meine Frau und ich sind ein wenig aufgeregt bei diesem Manöver, obschon es eigentlich nicht sehr schwierig ist. Aber das hat seinen guten Grund, und dieser liegt sieben Jahre zurück.
Es war der 1. August 2009: Den Tag werden wir wohl nicht so schnell wieder vergessen, auch wenn keine einzige Rakete losging, keine patriotischen Reden gehalten und keine Abzeichen verkauft wurden. Aber sonst ging einiges los, und geredet wurde danach auch viel. Wir waren mit der Solveig vor zwei Tagen bei Mannheim vom Neckar flussaufwärts in den Rhein gefahren. Unser Ziel war Basel, wo das Schiff überholt werden und überwintern sollte. Für unser schweres Schiff, das als Wasserverdränger (im Gegensatz zu den über das Wasser gleitenden leichten Motorbooten) aufgrund seiner Länge sich nicht schneller als mit ca. 17 km/h durch das Wasser pflügen kann, ist eine solche Fahrt eine rechte Strapaze. Für die Fahrt über 80 Kilometer von Mannheim bis zur untersten Rheinschleuse Iffezheim hatten wir zwei Tage eingeplant. Die Strömung war enorm, wir erreichten gerade noch eine Geschwindigkeit von 5 bis 6 km/h gegenüber dem Land.
Der fatale Anker
Wir waren guten Mutes, als wir von weitem die Einfahrt zur Schleuse Iffezheim und den alten Rheinarm mit der Strassenbrücke sahen. Ich hatte mir die Fahrroute in den Hafen von Beinheim vorher in der Flusskarte angesehen, aber offenbar nicht richtig interpretiert, denn als ich nach der letzten Spierboje (so nennt man Bojen, welche das äussere Ende von Buhnen markieren) den Schifffahrtsweg in Richtung der mittleren Brückenöffnung verliess, fuhren wir mit einem dramatischen Rumpelgeräusch auf eine im Alten Rhein weiter in den Fluss hinausgebaute Buhne auf, welche wegen des Hochwassers vollständig überflutet und daher nicht sichtbar war. Wir sassen mit dem vorderen Teil des Schiffes fest.
Nicht gerade beruhigend war es, dass wir schon nach kurzer Zeit über den Funkkanal der Schleuse Iffezheim eine Meldung an alle hörten: „Schiffshavarie unterhalb der Schleuse Iffezheim“. Offenbar hatte man uns von der ungefähr einen Kilometer entfernten Schleuse aus beobachtet. Unterdessen hatten wir zur Sicherheit den Anker gesetzt. Ich rief den Motorbootclub Iffezheim an, wo zum Glück sofort jemand antwortete und Hilfe versprach. Kurz danach tauchten zwei Boote aus der Hafeneinfahrt auf, doch noch bevor sie bei uns waren, spülte uns die Welle eines vorbeifahrenden Frachters von der Buhne herunter. Das Boot legte sich beängstigend stark auf die Seite, man hörte es krachen, und dann war der Spuk vorbei – dachten wir –, bis wir feststellten, dass sich der Anker nicht mehr heben liess. Kein Wunder, er hatte sich auf der Buhne festgesetzt und wäre, so lernt man es in der Bootsfahrschule, nur durch Überfahren zu deblockieren gewesen, aber auf die Buhne wollten wir begreiflicherweise nicht mehr zurück.
Polizei, Polizei
Zu zweit waren wir nicht in der Lage, die Situation zu meistern. Unterdessen waren zum Glück zwei Männer von den beiden Booten zu uns aufs Schiff gekommen. Mit vereinten Kräften gelang es schliesslich, das Schiff zu befreien. Einer der Helfer fuhr die Solveig voller Stolz in seinen Hafen. Zum Glück hatten weder Schraube noch Motor Schaden genommen, und die Spuren am Unterschiff hielten sich, wie wir später bei der Überwinterung feststellen konnten, in Grenzen. Sie haben auch ihre Vorteile, die langsamen, aber stabilen Stahlschiffe!
Aber damit war die Geschichte noch nicht zu Ende: Was wir in der Hitze des Gefechtes nicht realisiert hatten: Eines der Hilfe leistenden Boote hatte sich mit der Schraube in der Verankerung einer grünen Markierungsboje verfangen und zog diese Boje beim Versuch, sich zu befreien, auf die andere Seite des Flusses.
So kam es, dass einige Stunden später – wir feierten unterdessen mit unseren Helfern erleichtert den glücklichen Ausgang des Abenteuers im Clublokal bei Bier und Wein – die Wasserpolizei gleich in doppelter Ausführung auftauchte: Per Auto kamen von Strasbourg zwei französische Beamte, der Chef der Wasserpolizei Strasbourg und seine Assistentin. Der unglückliche Bootsführer, der die grüne Markierungsboje ans deutsche Ufer verschleppt hatte, wurde von den per Schnellboot angerückten deutschen Beamten in die Zange genommen.
Ernste Mienen
Die Mannschaft der Solveig wurde, da es sich um eine Buhne am französischen Ufer handelte, von den Franzosen befragt. Sie waren sehr freundlich, aber machten klar, der Fall werde von einem Richter in Strasbourg beurteilt, und wir müssten im schlimmsten Fall mit einer Busse rechnen. Allerdings würden sie aufgrund meiner Schilderungen in ihren Rapport zur Sache die Meinung vertreten, den Schiffsführer treffe keine Schuld. Tatsächlich haben wir nie etwas aus Strasbourg gehört.
Übrigens schlossen sich nach getaner Arbeit die beiden Franzosen gerne unserer Weinrunde an, während die beiden Deutschen noch lange mit ernster Miene ihr Opfer mit Fragen traktierten und später ihr Boot mit aufheulendem Motor zum Hafen hinaus steuerten.
Vorsicht: Hilfeleistung!
Das Ereignis gab damals viel zu reden im Club. Der Alkohol floss in Strömen, und erst gegen Mitternacht wankten die letzten Clubmitglieder auf ihre Boote. Bei unserer Weiterfahrt am nächsten Tag lud man uns ein, künftig immer im Iffezheimer Club Station zu machen, man würde auch einen Lotsen für die Hafeneinfahrt stelle.
Sieben Jahre später waren wir also sozusagen auf Spurensuche. Wir fanden deren zwei: Erstens entdeckten wir eine neue Spierboje, welche die Buhne, die uns damals zum Verhängnis geworden war, markiert. Zweitens trafen wir im Hafen Kurt, einen jener Helfer von damals, der sich auch sieben Jahre später lebhaft an das Ereignis und die Solveig erinnerte. Wie er uns beim Apéritif im Clubhaus berichtete, hätte die deutsche Wasserschutzpolizei nach dem Vorfall die Mitglieder des Clubs darauf aufmerksam gemacht, dass in solchen Situationen eine Hilfeleistung durch Private im Prinzip verboten sei. Falls etwas schief gehe, könne das unliebsame Konsequenzen haben. Über die Konsequenzen nicht geleisteter Hilfe schwiegen sie sich offenbar aus.
Zum Glück gibt es sie noch immer, die zivilcouragierten Gesetzesbrecher!