Für Annette Schavan ist die Affäre um ihren Doktortitel doppelt peinlich. Nicht nur wird ihr vorgeworfen, dass sie ihren Titel unrechtmässig erworben hat. Die Bildungsministerin ist auch für die Forschung in Deutschland verantwortlich. Als Schirmherrin scheint jedoch eine Person kaum geeignet, die ihre Dissertation mit unrechtmässigen Mitteln erworben hat.
Häme musste sie auch ernten, weil sie sich im Fall ihres Ministerkollegen Karl-Theodor zu Guttenberg weit zum Fenster hinausgelehnt hatte. Öffentlich hatte sie damals zu Protokoll gegeben. „Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt. Und der Schutz geistigen Eigentums ist ein hohes Gut.“
Die Politik im Kreuzfeuer der Plagiatsjäger
Doch der Absturz des Freiherrn zu Guttenberg war nur der Anfang eines Halali auf Politiker und Minister in Deutschland, zu welchem mit Hilfe des Internets geblasen wurde. Auf einer Website namens VroniPlag wurden zweifelhafte Dissertationsfälle ausgebreitet, wobei jeder, der sich dafür interessierte, als Plagiatsjäger mitarbeiten konnte. Dies nach dem Vorbild von Wikipedia, dem Online-Lexikon, das auf die Schwarmintelligenz von Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzt.
Im Fall von zu Guttenberg, der nachweislich Dutzende von Passagen abgekupfert hatte, war der Rücktritt des Ministers wohl die logische Konsequenz. Doch auch Abgeordnete wie der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis gerieten unter Plagiatsverdacht. Aberkannt wurde der Titel zudem der Politikberaterin Margarita Mathiopoulos sowie der FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, die gerade erst im Forschungsausschuss des Europäischen Parlaments Platz genommen hatte und ihren Platz gleich wieder räumen musste.
Die Vorwürfe von „Schavanplag“
Im Fall von Annette Schavan gibt es unter dem Titel „Schavanplag“ eine ganze Website, welche ihre Dissertation minutiös nach anstössigen Stellen durchsucht. Das generelle Verdikt lautet: Die Verfasserin habe häufig vorgegeben, Primärquellen zu rezipieren, wo sie nur mit leichten Abwandlungen aus der Sekundärliteratur abgeschrieben habe. In vielen Fällen habe sie dabei auch Fehler bei Zitaten oder Literaturangaben mit übernommen.
Angekreidet werden ihr Stellen aus ihrer Dissertation „Person und Gewissen“ wie die folgende: „Im Gegensatz zu Freud führt also Fromm den Konflikt zwischen Eltern und Kindern nicht primär auf geschlechtliche Rivalitäten zurück, sondern auf den Druck der elterlichen Autorität allgemein.“ Die Plagjatsjäger kritisieren, dass Schavan hier einen Text des Psychoanalytikers Erich Fromm in den leicht abgewandelten Worten eines anderen Autors zusammenfasst. Dieser wird von ihr jedoch nicht als Quelle erwähnt.
Hexenjagd?
Das hört sich alles kompliziert an. So ist die Kontroverse in vollem Gang: Vertreter der Wissenschaft orten bei der Dissertation der Ministerin eine Täuschungsabsicht und sehen das Recht auf geistiges Eigentum der ursprünglichen Verfasserinnen und Verfasser bedroht. Schavan habe nur abgeschrieben, während die wirkliche Leistung von einem anderen Autor erbracht wurde.
Ganz anders die konservative „Welt“. Sie wittert eine Hexenjagd auf Schavan und „widerliches Denunziantentum“. Aber auch unter Professoren findet Schavan Verteidiger – etwa die Erziehungswissenschaftler Elmar Tenorth und Helmut Fend (letzterer von der Universität Zürich). Diese nehmen die Ministerin in Schutz, da man in jener Zeit, als die Dissertation entstanden sei, durch das Sammeln und Referieren von Texten versucht habe, dem Kern des eigenen Forschungsproblems auf die Spur zu kommen. Man habe geglaubt, auf diese Weise zum Erkenntnisfortschritt beizutragen.
Wie hoch sind die Ansprüche an Dissertationen?
An dieser Stelle wird es schwierig: Denn wie detailliert muss man fremde Texte in der eigenen Arbeit belegen? Muss man jeden Satz, den man irgendwo gelesen hat, bereits als Quelle angeben, wenn man sich die damit verbundene Idee aneignet und weitergibt? Gibt es nicht manchmal sogar allgemein verbreitete Überlegungen, die arglos wiedergegeben werden, obwohl sie mit einem akribischen Blick schon als Plagiat gelten.
Und wie weit ist es überhaupt mit dem Erkenntnisfortschritt her, der mit dem Doktortitel verbunden wird? Sind es nicht eher Fleissarbeiten – und ist es schon positiv, wenn sich darin wenigstens eine ganz kleine eigene Idee findet, die nicht auf fremdem Mist gewachsen ist? Vielleicht sieht es aus heutiger Perspektive auch ganz anders aus, wenn man den „Erkenntnisfortschritt“ einer dreissig Jahre alten Dissertation einzuschätzen versucht.
Uni Düsseldorf in der Zwickmühle
Die Universität Düsseldorf ist nicht zu beneiden, wenn sie in den nächsten Wochen über die Täuschungsabsicht im Fall Schavan beurteilen muss. Entweder wird sie schuld sein, dass eine angesehene Bildungsministerin über ihre dreissig Jahre zurückliegende Dissertation stolpert. Oder man wird ihr vorwerfen, die wissenschaftlichen Standards der Universität nicht konsequent hochzuhalten.
Bundesministerin Dr. Annette Schavan (Andreas Schepers: Wikimedia Commons)