Amerikas Flip-Flop-Präsident Donald Trump beteuerte noch im Januar, Chinas Staats- und Parteipräsident Xi Jinping sei ein „lieber Freund“. Wenige Wochen später im März bezichtigte er Xi, mit dem „China-Virus“ die USA infiziert zu haben, und schwadronierte abschätzig von der „Kong-Flu“. Je weniger der amerikanische Lügen-Präsident das Corona-Virus unter Kontrolle bekam, umso mehr hackte er auf China herum. Trump drohte böse und laut zwitschernd auf Twitter, verhängte Sanktionen etwa gegen Hongkong (siehe „Made in China“ vom 2. August) und kündigte an, die privaten chinesischen Tech-Firmen wie Huawei, Alibaba, Tencent (WeChat) oder TikTok in den USA zu verbieten und forderte westliche Staaten und Japan auf, es den USA gleichzutun.
Innovative Konkurrenz
Trump reagiert so, weil er die innovative Konkurrenz aus China fürchtet, vor allem aber weil er die Wahlen im November im Blick hat. Mit China-Bashing hofft Trump, Punkte gut zu machen. Da allerdings ist Trump nicht allein. Auch Joe Biden, der greise Herausforderer der Demokraten, profiliert sich mit antichinesischer Rhetorik. Zudem ist anti-chinesische Berichterstattung in westlichen Medien – auch in der Schweiz – seit langen Jahren Courant normal.
Kopieren
Bereits Ende 2018 entfachte Trump einen Handelskrieg gegen China mit dem Argument, das Reich der Mitte schaffe sich mit unfairen Handelspraktiken und mit dem Diebstahl geistigen Eigentums gewaltige Vorteile. Dass unfaire Handelspraktiken vor der Welthandelsorganisation WTO eingeklagt werden können, interessiert Washington wenig, denn dem Präsidenten sind multilaterale Organisationen suspekt. Kopieren, also Diebstahl geistigen Eigentums, ist mittlerweile in China die Ausnahme, denn nicht von ungefähr fürchten sich die USA vor der innovativen Kraft der chinesischen Forscher und Unternehmen. Copyright wird heute in China ganz gross geschrieben. Im Übrigen: Europäische Länder haben im 19. Jahrhundert fleissig von den Engländern, den Initianten der Industriellen Revolution, kopiert. Ebenfalls die USA und Russland. Danach kopierten die Japaner, Südkoreaner oder Taiwanesen vom Westen. Schliesslich waren eben die Chinesen an der Reihe.
Feind der freien Welt
US-Aussenminister Mike Pompeo erklärt unterdessen Peking zum Feind der freien Welt und fordert Alliierte auf, Chinas „Hegemonie-Bestreben“ entgegenzutreten. Bereits mit einigem Erfolg. Selbst der farblose Schweizer Aussenminister Cassis runzelt beim Wort China schon medienwirksam die Stirn. Westliche China-Experten und vor allem Politiker orten deshalb bereits einen neuen Kalten Krieg. Die Parallele mit dem Kalten Krieg USA–Sowjetunion freilich hinkt. Denn China ist, im Unterschied zum untergegangenen, ökonomisch implodierten Sowjetreich, nicht nur sehr viel grösser, sondern auch dank der „sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Besonderheiten“ wirtschaftlich reicher und sozial stabiler. Im Gegensatz zur Sowjetunion exportiert Peking nicht Marxismus, sondern Kapital, und ist bestrebt, Marktanteile international auszuweiten und Rohstoffquellen zu sichern.
Einmaliges Wirtschaftswachstum
China hat in den letzten 40 Jahren dank Reformen mit Privateigentum und hin zu immer freieren Märkten sowie der Öffnung nach Aussen und vom Staat kontrollierten Rahmenbedingungen ein in der Geschichte einmaliges Wirtschaftswachstum erreicht. So ist das Brutto-Inlandprodukt GDP von 200 Dollar pro Kopf im Jahre 1980 auf heute 10’000 Dollar gestiegen. US-Sanktionen werden das Riesenreich zwar treffen, aber kaum nachhaltig schwächen. Amerikanische und europäische sowie Schweizer Firmen wollen, wie Umfragen zeigen, weiterhin auf dem weltgrössten Markt dabei sein, zumal sich China in den letzten fünf Jahren weiter geöffnet hat. Konkret: 2015 gab es für ausländische Investoren noch Restriktionen in 93 Industrie-Bereichen, heute noch in 33. Trumps beabsichtigtes Verbot für chinesische High-Tech-Firmen wie Huawei, WeChat oder TikTok ist ein Rohrkrepierer. Nicht nur dass nun China dazu ansetzt, in sämtlichen IT-Bereichen im Eiltempo selbständig zu werden, auch amerikanische High-Tech-Unternehmen wie Intel oder Qualcomm – Schlüssel-Zulieferer ausgerechnet von Huawei – haben das Nachsehen.
Die neuen Kalten Krieger
Kurz: die neue Kalten Krieger in Washington haben weder eine Strategie noch verfügen sie über Taktiken, sich in der sich neu entwickelnden Welt zurechtzufinden. Wie US-Präsident Trumps Twitter zeigen, sind die Antworten auf die neue Lage beschränkt und engstirnig. Die Planung ist, falls überhaupt vorhanden, kurzfristig und wohl nur bis zum Präsidentschafts-Wahltag am 3. November reichend.
Dröges Strategie-Instrument
Langfristig dagegen plant die Volksrepublik China. Diesen Prozess zu verfolgen, ist nicht einfach. Für westliche Politiker und Medienschaffende ist das wenig attraktiv, weil es selten Aufmerksamkeit bringt und kaum Klicks generiert. Mit China-Bashing ist man da schon auf der sichereren Seite. Nun ist derzeit ein neuer, der 14. Fünfjahresplan 2021–25 im Entstehen begriffen. Schon beim Wort Fünfjahresplan zucken Marktwirtschaftler nervös lachend zusammen, denn wer ausser in der kommunistischen Welt nimmt ein solch dröges Strategie-Instrument überhaupt noch ernst oder auch nur zur Kenntnis.
Von der Sowjetunion kopiert
In der Tat, China hat den Fünfjahresplan von der Sowjetunion übernommen. Der erste Fünfjahresplan 1953–57 setzt denn, wie Moskau es seit langem vorgemacht hat, Produktionsquoten für Industrie und Landwirtschaft fest. Doch nach Beginn der Reform am Anfang der 1980er Jahre und dem Schwenk von der Plan- zur Marktwirtschaft wurde der Plan mehr und mehr zum umfassenden Strategie-Instrument. Vorhersehen, planen und etwa die Verbindung zwischen Kapitalismus und Staatskontrolle feinjustieren. Nicht nur Industrie und Landwirtschaft sind enthalten, sondern vor allem auch soziale oder ökologische Ziele. Die chinesischen Fünfjahrespläne enthalten so nicht mehr Quoten, sondern geben Richtlinien und Ziele sowie Rahmenbedingungen für die Wirtschaft vor. So sind zehn der insgesamt 25 wichtigsten Ziele des 13. Fünfjahresplans 2016–20 der Umwelt zugeordnet. Der 13. Plan setzt sich auch das ehrgeizige Ziel, die absolute Armut bis Ende dieses Jahres zu besiegen; trotz Corona-Virus wird an diesem Ziel festgehalten.
Delikate Aufgabe
Der Entwurf eines Fünfjahresplanes ist eine langwierige, delikate Aufgabe. Tausende von Beamten und Wissenschaftlern sowie viele Denkfabriken sind unter Anleitung des Politbüros daran beteiligt. Die Gestaltung des neuen, 14. Fünfjahresplan wurde bereits Ende 2018 von der Nationalen Entwicklungs- und Reform-Kommission in Gang gesetzt. Im Juli nun hat das mächtigste Organ Chinas, das Politbüro der Kommunistischen Partei, darüber beraten und angekündigt, dass im Oktober das Zentralkomitee darüber befinden wird. So früh wurde das alljährliche ZK zur Wirtschaftslage noch nie festgesetzt, meist wurde darüber erst einen Monat davor informiert. Nach dem ZK wird dann der Nationale Volkskongress im kommenden März Beschluss fassen und den 14. Fünfjahresplan 2021–25 in Kraft setzen.
Neue globale Situation
Im Westen fragen sich Politiker und Unternehmer ängstlich, ob im neuen Plan eine Verschärfung der ökonomischen Staatskontrolle angedacht ist und ob die USA im neuen Plan, schon wegen des von den USA vom Zaun gebrochenen Handelskrieges, Erwähnung finden wird. Washington wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit keinem Wort erwähnt werden. Was hingegen feststeht: Staats- und Parteichef Xi Jinping und die KP bereiten sich auf ein feindlicheres und schwierigeres internationales Umfeld vor. Xi wurde in den letzten Monaten verschiedentlich mit der Aussage zitiert, dass sich China für eine neue globale Situation vorbereiten müsse. „Es wird sich“, so Xi, „eine noch nie dagewesene Veränderung ereignen, eine Veränderung, wie wir sie in den letzten 100 Jahren noch nie gesehen haben.“ Das Volk müsse für einen „ausgedehnten Konflikt“ bereit sein. Bei den geschichtsbewussten Chinesinnen und Chinesen sind die Worte Xis ein Hinweis auf einen 1938 von Mao Dsedong verfassten Aufsatz mit dem Titel „Ueber den ausgedehnten Krieg“. Mao bezog sich damals auf den Konflikt mit den japanischen Imperialisten.
Qualitatives Wachstum
Eines der wichtigsten Ziele des 14. Fünfjahresplanes wird deshalb die Ankurbelung der chinesischen Wirtschaft im Innern und weniger Abhängigkeit vom globalen Handel sein. Ganz gross geschrieben wird mit Sicherheit auch Innovation und der Durchbruch bei Schlüssel-Technologien mit dem Ziel der technologischen Eigenständigkeit. Wie bereits erwähnt, hilft Trump dabei den Pekinger Kommunisten, dieses Ziel zu erreichen mit dem Verbot von Huawei und andern. Ob im neuen wie in allen vorhergehenden Fünfjahresplänen auch ein GDP-Wachstumsziel festgelegt werden wird, ist noch unsicher. Im 13. Plan war die Wachstums-Zielvorgabe jährlich 6,5 Prozent. Falls sie in den 14. Plan aufgenommen, werden es laut chinesischen Oekonomen allenfalls noch 6 Prozent oder weniger sein, denn der Schwerpunkt wird auf qualitativem, nachhaltigem Wachstum liegen.
Tellerrand
Das angekündigte Zentralkomitee zur Wirtschaft und Entwicklung Chinas im Oktober wird, auch für die internationale Gemeinschaft, richtungsweisend sein. Die chinesische Wirtschaft ist auch mit Corona gut aufgestellt und befindet sich derzeit in einer V-förmigen Erholung. US-Präsident Trump wird das kalt lassen. Und Herausforderer Jo Biden ebenfalls. Der chinesische Weg der Entwicklung seit vier Jahrzehnten ist für Europäer und Amerikaner nur schwer fassbar, weil sich die meisten Analytiker weigern, über den eigenen, neoliberalen Entwicklungs-Tellerrand zu blicken. Dass China einen eigenen Weg geht, ist offenbar für Europäer und Amerikaner undenkbar. Wohl bis zum Beweis des Gegenteils. Ein neuer Kalter Krieg indes steht nicht bevor, sehr wohl aber ein lang anhaltender globaler Konflikt ganz neuer Qualität.