Ein Krieg mit Iran wäre nach allem Ermessen bedeutend schlimmer
geworden als die bisher zerstörerischsten Kriege im Nahen Osten seit
der Mongolen Zeit, der irakische und der gegenwärtige syrische -
kombiniert! Kaum ermessbares Unglück und Leid für alle Beteiligten.
Fakten statt Worte
Dieser Krieg wäre fast unvermeidlich gekommen, wenn kein Übereinkommen in Genf erreicht worden wäre. Vor seinem endgültigen Zusammenbruch durch die amerikanischen und europäischen Sanktionen hätte Iran ihn geführt. Die israelische Regierung wollte diesen Krieg führen, vorzugsweise in Zusammenarbeit mit den USA. Sie droht, sie könnte ihn immer noch führen, wenn es notwendig werde, um die atomare Bewaffnung Irans zu verhindern.
Doch strebt Iran wirklich eine Atombombe an? Die iranischen Behörden und Machthaber streiten es immer wieder von neuem ab. Sie haben aber grosse Anstrengungen gemacht, um Anlagen zu bauen und zu betreiben, die in aller Wahrscheinlichkeit zu nichts anderem dienen können, als zur Entwicklung einer Bombe. In der Weltpolitik tut man im Allgemeinen gut daran, sich an Fakten zu halten, soweit sie erkennbar sind, nicht an Worte, die die Fakten sowohl bestätigen wie auch abstreiten können.
185 Kilo zu 20 Prozent angereichertes Uran
Urananreicherung bis zu 5 Prozent kann industriellen Zwecken dienen,
dem Betreiben eines atomaren Elektrizitätswerkes. Anreicherung bis zu
20 Prozent dient medizinischen Zwecken, etwa Strahlenbehandlung, doch dies braucht nur kleine Mengen von Material. Als Faustregel gilt, man braucht über 240 Kilo von zu 20 Prozent angereichertem Uranium, um in der Lage zu sein, relativ rasch, vielleicht innerhalb von 6 Monaten, eine einzige Atombombe zu entwickeln. Für diese braucht man zu 90 Prozent angereichertes Material.
Iran soll, nach den Beobachtungen der Internationalen Atomenergie Agentur, im August dieses Jahres über 185,5 Kilo von zu 20 Prozent angereichertem Uranium verfügt haben. Mit 55,5
Kilogramm mehr würde es die sogenannte "Ausbruch" (break out)- Schwelle erreichen. Deshalb die Schätzungen, in ungefähr einem Jahr könnte Iran über eine erste Atombombe verfügen, falls das Land trotz aller gegenteiligen Versicherungen eine Atombombe anstrebte. Israel soll zwischen 200 und 400 davon besitzen.
Gibt es ein "Recht auf Anreicherung"?
Im Zentrum der Verhandlungen von Genf stand der eiserne Willen Irans,sein "Recht auf Anreicherung" zu bewahren. Dies ist von jeher der
Standpunkt Irans gewesen. In der Tat erlaubt der Internationale
Atomvertrag, dem Iran beigetreten ist, Israel jedoch nicht,
Anreicherung durchzuführen, jedoch unter Kontrolle der Atomagentur,
die dafür zu sorgen hat, dass diese Anreicherung nicht die Schwellen
überschreitet, über welche hinaus, der Bau einer Bombe möglich wird.
Iran stimmt dem Prinzip einer Kontrolle durch die Atomagentur zu.
Allerdings gab es in der Vergangenheit des Öfteren Unstimmigkeiten
darüber, wie weit diese Kontrollen gehen sollen und wo ihnen Grenzen
gesetzt seien. Iran hat nun zugestimmt, dass die Kontrollen verschärft
werden können. Iran hat auch versprochen, für die nächsten 6 Monate
alle weitere Anreicherung über 5 Prozent hinaus einzustellen. Doch
Aussenminister Zarif hat betont, dass Iran sein "Recht auf
Anreicherung" nicht aufgebe und auch in Zukunft nie und nimmer
aufgeben werde. Dass dies so sei, wurde als die "Rote Linie" erwähnt,
die Khamenei, nach eigenen Angaben, seinem Staatspräsidenten Rouhani und dessen Aussenminister vorgeschrieben habe.
Denkbarer Kompromiss
Der amerikanische Aussenminister Kerry hat seinerseits sofort nach
den Verhandlungen erklärt, Amerika habe Iran "das Recht auf
Anreicherung" nicht zugestanden. Man kann daraus erkennen: in den
kommenden Verhandlungen, die während der nächsten sechs Monate
stattfinden müssen, dürfte ein Hauptpunkt sich um dieses Recht
drehen. Der denkbare Kompromiss würde natürlich lauten: "Anreicherung ja, das Recht darauf besteht weiter, jedoch innerhalb von feststehenden und kontrollierbaren Grenzen".
Dagegen würde Iran wohl auf der Aufhebung aller Sanktionen bestehen
und auf einer "Normalisierung" seiner Beziehungen mit den USA und
Europa, was immer genau unter dieser Bezeichnung zu verstehen sein
wird.
Der zweite Weg zur Bombe
Es gibt noch einen anderen heiklen Punkt in den Verhandlungen, den die Franzosen ansprachen. Er betrifft einen anderen Weg, der ebenfalls zu einer Atomwaffe führen kann, nicht den der Anreicherung von Uranium mit Zentrifugen sondern der Gewinnung von Plutonium über Schwerwasser-Reaktoren, wobei das Plutonium den Grundstoff für eine Bombe zu liefern hätte. Die neue Anlage Irans bei Arak ist ein Schwerwasser-Reaktor. Das Plutonium, das er als Nebenprodukt hervorbringt, könnte zu einer Bombe weiter verarbeitet werden. Doch dazu wäre der Bau einer weiteren Grossanlange notwendig, der bisher nicht begonnen hat. Er würde vermutlich mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen.
Ob es auch in Bezug auf Arak in Genf eine Übereinkunft gegeben hat, oder ob diese Frage offen gelassen wurde, weiss man zur Zeit in der Öffentlichkeit noch nicht. In den endgültigen Verhandlungen muss auch sie geregelt werden.
Neue Perspektiven für den Nahen Osten
Das sich nun abzeichnende neue Verhältnis der USA zu Iran, das
vielleicht künftig ein Ende der bisher 35-jährigen Feindschaft
zwischen den beiden Staaten herbeiführen wird, hat schon gegenwärtig
Folgen für die gesamte politische Nahostkonstellation. Israel und
Saudiarabien sind die beiden Nahoststaaten, die Iran weiterhin
fürchten und das Land lieber bekämpfen möchten als einer Versöhnung mit ihm zustimmen, weil sie einer jeden Versöhnung misstrauen.
Saudiarabien, zusammen mit den Erdöl Kleinstaaten am Golf fürchtet nicht nur eine mögliche iranische Bombe sondern auch eine Ausdehnung der Macht des Schiitentums, gestützt auf Iran, in der gesamten arabischen und islamischen Welt. Das Königreich hat sich zur Vorkämpferin des Sunnismus in der islamischen Welt erklärt. Es versucht zur Zeit, die Achse zwischen Iran und Hizbullah in Libanon, die über Syrien verläuft, zu brechen. Dies ist eine der vielen Facetten, aus denen der syrische Bürgerkrieg sich zusammensetzt.
Entspannung mit Israel möglich?
Die israelische Regierung gibt sich überzeugt davon, dass Iran ein Feind Israels sei und bleiben werde, mit oder ohne Bombe, natürlich lieber ohne als mit. Zur Zeit des Schahs wurde Iran in Israel als ein Freund eingestuft, jenseits der feindlichen arabischen Welt, mit dem Zusammenarbeit bestand. Damals erinnerte man sich an Kyros, der kurz nach 539 vor Christus den Juden erlaubt haben soll, aus der Gefangenschaft von Babylon heimzukehren und ihren Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Ein sehr langer Weg steht bevor, bis diese alte Verbindung wieder hergestellt werden kann.