Ich schicke voraus, dass ich als ehemaliger Bundeshauskorrespondent viel Verständnis habe für die anspruchsvolle Arbeit des Bundesrats, doch in letzter Zeit habe ich öfters Mühe, dessen Beschlüsse zu verstehen. Unser Land ist Sitz zahlreicher multinationaler Unternehmen die weltweit tätig sind, z. B. in der Ausbeutung von Bodenschätzen wie beispielsweise Glencore. Deren Tochterfirmen können besonders in Afrika und Lateinamerika schwere Schäden für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung und der Umwelt verursachen; Konzerne mit Sitz in der Schweiz geben immer wieder Anlass zu negativen Schlagzeilen.
Unnötiger Vorschlag des Bundesrats
Rund hundert Umwelt- und Dritt-Welt-Organisationen haben die Konzernverantwortungsinitiative lanciert, die auch von vielen Unternehmen unterstützt wird. Sie verlangt, dass die Regeln betreffend Schutz von Mensch und Umwelt, welche in der Schweiz gelten, auch von Tochterfirmen eingehalten werden und die Mutterfirmen mit Sitz in der Schweiz für allfällige Schäden im Ausland haftet. Der Nationalrat hat einem indirekten, etwas milderen, aber wirksamen Gegenvorschlag bereits zugestimmt. Der Ständerat wird, nach einem ersten Nein vielleicht einlenken. Plötzlich hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter Mitte August ihren Regierungskollegen einen fast wirkungslosen Gegenvorschlag unterbreitet. Danach sind die Konzerne bloss verpflichtet, jährlich über die Einhaltung der Menschenrechte sowie der Umweltschutzstandards im Ausland zu berichten; Sanktionen sind nicht vorgesehen, auch wenn Schäden entstehen. Dieser schwache Gegenvorschlag des Bundesrats – er hat den Vorschlag von Keller-Sutter übernommen – dient wohl dazu, den griffigen Gegenvorschlag des Nationalrats abzuwenden. In diesem Fall ist der Bundesrat zum Sprecher des mächtigen Wirtschaftsverbandes economiesuisse geworden, der überlall eine Behinderung der Wirtschaft vermutet. Die Konzernverantwortungsinitiative und der Gegenvorschlag des Nationalrats sind durchaus marktwirtschaftliche Anliegen. Das zeigt sich auch darin, dass auch bürgerliche Persönlichkeiten wie Cornelio Sommaruga, ehemaliger Staatssekretär für Aussenwirtschaft und alt Präsident des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, sowie der frühere FDP-Ständerat Dick Marty dem Initiativkomitee angehören.
Vergoldeter Militärattaché
Unsere Regierung hat leider den Kontakt zum schweizerischen Alltag verloren; das lässt sich am folgenden Bespiel aufzeigen. In den Skandal um die Gelage hoher Militärpersonen mit reichlichem Alkoholgenuss, welche die Spesen in die Höhe schnellen liessen, war auch Korpskommandant Daniel Baumgartner verwickelt, der Ausbildungschef der Armee. Er selber bat danach die Bundesrätin Viola Amherd, versetzt zu werden, und es wurde ihm der Posten des Militärattachés in Washington zugewiesen. Das Unverständliche: für die neue Tätigkeit, die viel weniger anspruchsvoll ist als jene des Ausbildungschefs, verdient er gleichviel wie zuvor, nämlich 300’000 Franken im Jahr, wie der Tagesanzeiger berichtet hat. Es ist unglaublich, dass er trotz seiner Verfehlungen keine Konsequenzen zu tragen hat und als Militärattaché weiter seinen früheren Lohn bezieht, d.h. über 100’000 mehr als für einen Militärattaché vorgesehen sind und zudem 50’000 Franken mehr verdient als sein Vorgesetzter, der Botschafter in den USA. Was zusätzlich stört: das Geschäft wurde an einer Bundesratssitzung offenbar ohne jede Diskussion durchgewinkt. Ausser einigen Journalisten und Bundesangestellten zeigten sich bloss ein paar Parlamentarier schockiert über diese Angelegenheit.
Keine Distanz zu Saudiarabien
Das Wichtigste ist, Geschäfte zu machen! Das scheint die Leitlinie des Bundesrats zu sein – auch gegenüber autokratischen Ländern, die konsequent die Menschenrechte missachten und weder Pressefreiheit noch Meinungsfreiheit kennen. Im Fall von Saudiarabien werden zudem die Frauenrechte missachtet und es gelten Körperstrafen wie Steinigungen und Peitschenhiebe. Überdies ist im saudiarabischen Konsulat in Istanbul im vergangenen Oktober Jamal Khaschoggi, ein saudischer Journalist, der in den USA lebte und u. a. für die Washington Post schrieb, brutal ermordet worden. Trotzdem sagte Bundespräsident Ueli Maurer am World Economic Forum in Davos im vergangen Januar, der saudische Finanzminister sei fast ein Freund.
Das Geschäft hat auch Vorrang in den Beziehungen mit China. Die vielen Besuche von Bundesräten – im Jahr 2013 reisten fünf der sieben Regierungsmitglieder nach China – kommen einer Hofierung der Grossmacht gleich. Das Ergebnis war eine Freihandelsabkommen, das erste solche Abkommen eines europäischen Landes; es trat Mitte 2014 in Kraft, verpflichtet China jedoch nicht mit Bezug auf Menschenrechte.
Zu ergeben gegenüber China
In diesem Frühling ist Bundespräsident Maurer nach China zurückgekehrt, wo er mit allen Ehren vom Präsidenten und Diktator Xi Jinping empfangen wurde. Er nahm danach am Forum zur Seidenstrasse teil und unterzeichnete eine Absichtserklärung im Hinblick auf eine Zusammenarbeit der beiden Staaten entlang der Seidenstrasse, um den Handel, Investitionen und die Finanzierung von Projekten voranzutreiben. Diese wichtige Baustelle wird von der Europäischen Union und den USA mit Misstrauen betrachtet. Doch Maurer wertet sie positiv als Gelegenheit für die Entwicklung, den Kampf gegen die Armut und den Frieden.
Nach Ansicht des Bundespräsidenten nützt es nichts, China zu kritisieren, besser sei mitzumachen und Einfluss zu nehmen. Doch lässt sich China von der kleinen Schweiz beeinflussen? Ich glaube nicht, China wird weiterhin die Menschenrechte mit Füssen treten und Minderheiten, wie die Uiguren, schikanieren und in abgeschirmten Lagern zu Chinesen machen, indem ihnen ihre Sprache und Kultur ausgetrieben wird. Der Schimmer von Freiheit, welchen Künstler, Journalisten und Verteidiger von Meinungsfreiheit vor einigen Jahren einen kleinen Spielraum liessen, ist unter dem neuen Staatspräsidenten ausgelöscht worden.
Die Menschenrechte – die entsprechende Erklärung der Uno ist praktisch von alle Ländern anerkannt worden –, werden in letzter Zeit von einer wachsenden Zahl Staaten in Frage gestellt, auch von einigen europäischen Regierungen und sogar den USA. Es sind deshalb zusätzliche Anstrengungen nötig, damit sie gewahrt werden. Unsere Regierung sollte deshalb eine gewissen Distanz halten und vorsichtig sein in ihren Beziehungen zu jenen Staaten, welche die Menschenrechte systematisch verletzen und die unsere Werte missachten wie das Zusammenleben verschiedener Sprachen und Kulturen und den Föderalismus. Menschenrechte und internationales Recht dürfen nicht zu einer blossen Deklaration verkümmern. Für ein kleines Land wie die Schweiz ist es nämlich wesentlich, dass sich die Staaten an vereinbarte Regeln halten. Sonst riskieren wir der Willkür, d.h. dem Gesetz des Stärkeren ausgesetzt zu sein.