
Das Elend Afghanistans unter der Herrschaft der Taliban: Interessiert uns nur noch die Abschiebung von Geflüchteten? Tim Guldimann diskutiert mit der Afghanistan-Spezialistin Almut Wieland-Karimi und Botschafter Markus Potzel.
Hat der überstürzte Abzug des Westens vor vier Jahren Afghanistan ins Elend gestossen? Die Afghanistanspezialistin Almut Wieland-Karimi konstatiert, dass «Trump 1 das Land einfach den Taliban übergeben hat». Sie sprach aber unlängst in einem NZZ-Interview von unserem Zerrbild des Landes. Sie hatte auf dem Land Bauersfrauen gefragt: «Welche Zeit war für euch besser, jetzt mit den Taliban» oder in den zwanzig Jahren zuvor? «Die Bauersfrauen haben unisono gesagt, dass es jetzt besser sei. (…) Das Wort Zerrbild beschreibt für mich, dass wir während der 20 Jahre ein Land haben sehen wollen, was es nicht gewesen ist. (…) Wir haben etwas auf das Land projiziert, was wir gerne so gehabt hätten.»
Potzel bestätigt, dass «die Sicherheitslage besser geworden ist. (…) Ich habe viel Resilienz der Bevölkerung gesehen». Er räumt gleichzeitig ein, dass er selbst mitverantwortlich war für das westliche Desaster und ruft in Erinnerung, dass der «Krieg Frauen und Kinder am härtesten trifft. Und das Land hat nun mal seit 1978/79 Krieg erlebt, praktisch ununterbrochen. (…) Es ist schwierig, wenn man versucht, in einem Land, was man nicht besonders gut kennt und versteht, seine eigenen Vorstellungen aufzuzwingen. (…) Ich habe daran geglaubt, dass das funktioniert und war dann letzten Endes überrascht (…) darüber, wie wenig Wurzeln das geschlagen hatte in der Bevölkerung». – Dazu Wieland-Karimi: «Wir sind auch nicht mehr in der Zeit, in der wir mit erhobenem Zeigefinger andern Menschen erklären können, was gut und richtig für sie ist. Daran sind wir genau in Afghanistan gescheitert.»
Was ist die Zukunft des Landes ? – Wieland sieht, «dass es in dieser weltpolitischen Veränderungslage einen Wettlauf gibt um Länder im sogenannten globalen Süden. (…) Da geht es viel um Rohstoffe, um Verbindungswege. Insofern kann das für Afghanistan positiv sein, es kann aber auch negativ sein, indem es einen neuen Stellvertreterkrieg dort gibt. (…) Die Chinesen kümmern sich ganz gezielt um Transportinfrastruktur, um diese Rohstoffe und Seltenen Erden ausbeuten zu können. (…) Es geht ganz klar um den Zugang zu Seltenen Erden, zu Rohstoffen. Afghanistan ist gesegnet damit oder auch verflucht.» – Potzel: «ich bin nicht sehr optimistisch. (…) Ich sehe keine Oppositionskraft (..) Ich glaube eher an evolutionäre Schritte von innen heraus. (…) Aber generell sehe ich eine düstere Zukunft für Afghanistan, denn wenn man die Hälfte der Bevölkerung von weitergehender Bildung ausschliesst, dann kann die Zukunft dieses Landes nicht rosig sein.»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.