„Das ist bei uns nicht möglich.“ So lautet der Titel des in diesem Jahr neu aufgelegten, im Jahr 1936 erstmals erschienenen Romans des amerikanischen Nobelpreisträgers Sinclair Lewis. (1) Lewis, geboren im kleinen Städtchen Sauk Centre (Minnesota), war schon durch seinen 1920 erschienenen Roman „Main Street“ bekannt geworden, in dem er das kleinbürgerliche Leben in seiner Heimatstadt beklagte.
In dem Roman „Das ist bei uns nicht möglich“ schildert Sinclair Lewis den Aufstieg des fiktiven Senators Buzz Windrip, dessen Präsidentschaftskandidatur gegen den – real amtierenden – Präsidenten Franklin D. Roosevelt und weiter Windrips fiktive Wahl zum US-Präsidenten, die Errichtung einer faschistischen Diktatur und schliesslich die Absetzung und Ermordung Windrips und dessen Nachfolger. Sinclair Lewis beschreibt auch den Widerstand gegen diese Diktatur durch den Zeitungsverleger und Journalisten Doremus Jessup, der ins Visier der Milizen des sich zum Diktator wandelnden Windrip gerät, dann in ein Konzentrationslager gesperrt wird und schliesslich auf abenteuerlichen Wegen nach Kanada entkommen kann. War oder ist – im Gegensatz zum Titel des Romans von Sinclair Lewis – der Faschismus in den USA doch möglich? Und gibt es eine Parallele zu Donald Trump?
Kandidat vom Schlage Hitlers
Die politische Szenerie der 1930-er Jahre in den USA bildet den Hintergrund für den Roman von Sinclair Lewis. Da war Huey Long, Gouverneur von Louisiana. Er verhängte das Kriegsrecht über seinen Bundesstaat, „verbot öffentliche Versammlungen, besetzte Gerichte und Parlamente mit seinen Kumpanen und machte seine 24-jährige Geliebte zur Ministerin“ (2). Ein Gesetz, welches das Lynchen verbieten sollte, lehnte er mit den Worten ab, dass wir „nur gelegentlich einen Nigger“ lynchen. Als Huey Long ernsthaft eine Präsidentschaftskandidatur gegen Roosevelt erwog, fragte Amtsingaber Roosevelt bei seinem Botschafter in Berlin nach. Long plane, schrieb Roosevelt, ein „Präsidentschaftskandidat vom Schlage Hitlers“ zu sein und werde bis 1940 versuchen, sich als Diktator einzusetzen. Dazu kam es nicht, Huey Long wurde 1935 ermordet.
Gouverneur Huey Long war das Vorbild für Buzz Windrip, den fiktiven Diktator im Roman von Sinclair Lewis. Der Name Windrip, schreibt Sarah Churchwell in den „Blättern“ beziehe sich aber auch auf Reverend Gerald B. Winrod, den „Kansas-Hitler“, der die Defenders of the Christian Faith anführte und seit den späten 1920-er Jahren durch das Land tourte, um über die „millenaristische“ (so Churchwell) Rolle von Hitler, Stalin und Mussolini in der biblischen Prophezeiung zu sprechen.
In dieselbe Kategorie fällt ein Pfarrer namens Gerald Lyman Kenneth Smith. Der gründete nicht nur den nationalistisch-populistischen Christian National Crusade, er war auch Initiator der American First Party, für die er im Jahr 1944 als Präsidentschaftskandidat – allerdings völlig erfolglos – ins Rennen ging. Zuvor, Ende der 1930-er Jahre, vor dem Hintergrund der Diskussion, ob die USA im Zweiten Weltkrieg intervenieren sollten, hatte sich eine Gruppe, gebildet die unter dem Slogan „America First“ gegen ein militärisches Engagement Amerikas in Europa wetterte. Donald Trump befasst sich zwar nicht mit Geschichte, aber die Parallele zwischen seinem Slogan „America First“ und der American First Party ist durchaus auffällig. Vielleicht ist einem seiner Berater die Partei des Reverend Kenneth Smith in den Sinn gekommen, als Trumps Slogan „America First“ erfunden wurde.
Auch gibt es auffällige Ähnlichkeiten zwischen der Rhetorik des Ku-Klux-Klans und der Wortwahl von Donald Trump. Sarah Churchwell schreibt in den „Blättern“, Trump selbst habe die „nordizistische Rhetorik der Klansmen und der amerikanischen Faschisten der Zwischenkriegszeit“ aufgegriffen, als er gesagt habe, er hätte lieber Einwanderer aus Norwegen und weniger aus Dreckslöchern wie Haiti und Afrika. Auch habe Trump den Industriellen Henry Ford gepriesen, der in den 1920-er Jahren eine Artikelserie unter dem Titel „Der internationale Jude – ein Weltproblem“ geschrieben und dabei die Protokolle der Weisen von Zion in den USA verbreitet habe. Sarah Churchwell schreibt: „Wir müssen Trump nicht für einen Strippenzieher halten, der einen faschistischen Coup plant, um zu erkennen, dass er nachweislich ein Gespür dafür hat, wie White Suprematism in Amerika funktioniert, und zwar ohne dass er jemals seine Gedanken darüber zu ordnen bemüht war.“
Diese ideologische Vorbelastung scheint in der Familie Trump Tradition zu haben. Sein Vater Fred Trump wurde in den 1920-er Jahren bei einer Memorial Day Parade verhaftet, weil er in eine Schlägerei verwickelt war, an der auch Mitglieder des Ku-Klux-Klan beteiligt waren. Von Donald Trump behaupten manche, er habe in den 1990-er Jahren die Reden Hitlers besessen, gelesen habe er sie, wie er selbst sage, aber nicht. Auch der berühmte Charles Lindbergh, der 1927 als erster den Atlantik mit dem Flugzeug überquert hatte, war auf Seiten der America-First-Verfechter zu finden.
Am 11. September 1941, so ist auch bei Wikipedia zu lesen, habe Lindbergh in seiner berüchtigten Rede „Who are the War Agitators?“ erklärt, die drei wichtigsten Gruppen, die die USA in den Krieg treiben wollten, seien „die Briten, die Juden und die Regierung Roosevelt“. Er sagte zwar, dass die Verfolgung der „jüdischen Rasse“ im Deutschen Reich von niemandem, „dem etwas an der Würde des Menschen liege“, gutgeheissen werden könne, habe aber gleichzeitig eine deutliche Warnung an die Juden gerichtet:
„Doch keine Person mit Ehrlichkeit und Weitsicht kann auf ihre [der Juden] kriegstreiberische Politik blicken, ohne die Gefahren zu erkennen, die solch eine Politik für uns und für sie mit sich bringt. Anstatt für den Krieg zu agitieren, sollten die jüdischen Gruppen in diesem Land in jeder möglichen Weise dagegen auftreten, weil sie die ersten sein werden, die seine Folgen zu spüren bekommen. Toleranz ist ein Wert, der von Frieden und Macht abhängt. Die Geschichte zeigt, dass sie den Krieg und seine Verwüstungen nicht überlebt.“
Adolf Hitler war so begeistert über Lindberghs fliegerische Leistung und über seine politischen Ansichten, dass er ihm durch Luftwaffenchef Hermann Göring das Grosskreuz des deutschen Adlerordens verleihen liess.
Die Informationen, die Romanautor Sinclair Lewis über Deutschland erhielt, stammen auch von seiner Frau Dorothy Thompson. Sie arbeitete als Korrespondentin für die „New York Times“ in Berlin. Im Nachwort zur deutschen Neuausgabe schreibt Jan Brandt, Dorothy Thompson habe in ihren Artikeln den Aufstieg der Nazis und die zunehmend brutaler werdende Verfolgung der Juden, Sozialisten, Kommunisten und Pazifisten beschrieben. Und in ihren Briefen habe sie geschildert, wie die Menschen in einem Land nach dem anderen, unter diesem oder jenem Banner, ihre Freiheit verlören. „Freiwillig geben die ihre Freiheit auf und überantworten sie der Staatsgewalt“, schreibt Dorothy Thompson.
Die Journalistin Thompson hatte auch Gelegenheit, Adolf Hitler (vor seiner Machtergreifung) zu sprechen. Sie beschreibt ihn als „Prototyp des kleinen Mannes“, der von „erschreckender Bedeutungslosigkeit“ sei. Keineswegs, schrieb sie, sei er fähig, an die Macht zu kommen.
Ein gewaltiger Irrtum, den Thompson allerdings mit vielen anderen Beobachtern teilte. In den USA indessen erlebte der Ehemann und Schriftsteller Sinclair Lewis eine andere, aber auch eine teilweise zerrissene Gesellschaft. Präsident Roosevelts New Deal, mit dem er durch staatliche Investitionen, aber auch durch Gründung staatlicher Behörden die wirtschaftliche Rezession überwinden wollte, löste in Städten und Gemeinden und bei vielen Bürgern eine Art Demokratieschub aus. Denn Bürgerbeteiligung war ein Aspekt des New Deal, wie etwa Stephen Lehndorff unter dem Titel „Vorbild und Verheissung – Roosevelts New Deal“ (3) schreibt. Der Autor zitiert den britischen Philosophen Isajah Berlin mit dessen Worten, dass der New Deal in den bleiernen dreissiger Jahren „die Regierung des Herrn Roosevelt und der New Deal in den Vereinigten Staaten das einzige Licht in der Dunkelheit“ gewesen seien.
Andererseits erlebt Sinclair Lewis mitten in einer aufblühenden Grassroots Democracy auch Ansätze eines amerikanischen Faschismus, die er in seinem Roman „Das ist bei uns nicht möglich“ anhand des fiktiven, sich zum Diktator wandelnden Buzz Windrip schildert. Im Roman wird amerikanischer Faschismus zumindest als Warnung dargestellt. Da sagt etwa der Verleger, Journalist und Widerstandskämpfer Doremus Jessup: „Wenn Buzz es schafft, dann wird er keine Krüppel mehr marschieren lassen. Das hiesse, den Faschismus schlecht kennen. Oh nein, er wird all diese armen Teufel von der Strasse schaffen und hinter Anstaltsmauern verstecken. Und zeigen wird er nur das blühende, gesunde Kanonenfutter in blitzneuen Uniformen.“
Solche Worte kamen an, offenbar trafen sie einen Nerv der Zeit – trotz der von Roosevelt entfachten neuen Basisdemokratie. Die erste Auflage des Romans von 94'000 Exemplaren war schnell vergriffen, in den Jahren darauf wurden insgesamt 320'000 Exemplare verkauft. Der „New Yorker“ bezeichnete den Roman als „das wichtigste Buch, das je in diesem Land verkauft wurde“. Es folgten Theateradaptionen in den Sprachen Englisch, Deutsch, Jiddisch und Italienisch (4). Metro Goldwyn Mayer kaufte die Filmrechte an dem Roman, verzichtete dann aber auf die Produktion, weil man die Absatzmärkte in Europa, speziell in Deutschland nicht verlieren wollte. Sinclair Lewis kommentierte diese Haltung mit den Worten, offenbar gehe hier Gewinnstreben über die freie Meinungsäusserung.
Parallelen zu heute? Wenn man will, findet man diese zuhauf, besonders in der Hauptfigur des Romans, dem fiktiven Präsidenten und Autokraten Buzz Windrip und in der freien, aber bei Donald Trump verpönten Presse wie der „Washington Post“, „New York Times“ und bei „CNN“. Hubert Wetzel von der „Süddeutschen Zeitung“ schrieb vor kurzem aus Washington, Trump sei sicher kein Faschist. Doch viele sähen in der Amtsführung von Trump und in dessen zahlreichen Tweets zumindest faschistische Züge. Sollte die Wahl im November knapp ausgehen, prognostizieren viele Kenner der USA, dass Trump unlautere, sprich undemokratische Mittel anwenden werde, um im Amt zu bleiben. Mit dem Tod der liberalen Richterin am Obersten Gerichtshof, Ruth Bader Ginsburg und der drohenden Berufung eines erzkonservativen Nachfolgers oder einer Nachfolgerin stehe, wie „SZ-Online“ schreibt, „das liberale Amerika auf der Kippe“.
Ist der fiktive Buzz Windrip in Sinclair Lewis`Roman „Das ist bei uns nicht möglich“ eine Vorwegnahme des realen Donald Trump? Sollte „Das“, nämlich eine Art faschistisches Regime in den USA, 84 Jahre nach dem Roman von Sinclair Lewis etwa doch möglich sein ?
(1) Sinclair Lewis: Das ist bei uns nicht möglich. Aufbauverlag Taschenbuch. 442. S. Berlin 2017, Neuauflage Berlin 2020
(2) Siehe auch: Sarah Churchwell: Der Amerikanische Faschismus. Vom Ku-Klux-Klan zu Trump. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin Ausgabe September 2020, Se. 57.ff
(3) Steffen Lehndorff: Vorbild und Verheißung. Roosevelts New Deal. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Berlin. Ausgabe September 2020, S. 83 ff
(4) Jan Brandt im Nachwort zum Roman von Sinclair Lewis