Am 12. Oktober fanden die sechsten Parlamentswahlen seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton im Jahr 1995 statt. Die Rahmenbedingungen für einen langersehnten politischen Richtungswechsel waren vorher so günstig wie noch nie.
Schlimmste Jahre nach dem Krieg
Rückblickend sind die letzten vier Jahre als Jahre des Stillstands einzustufen. Nach den letzten Wahlen im Jahr 2010 dauerte es 16 Monate, bis die Regierung gebildet werden konnte. Das war eine Regierung, die kurz darauf zusammenbrach.
In der vergangenen Legislaturperiode hatte die gesamtstaatliche Regierung insgesamt nur 106 Gesetze verabschiedet, während die Regierung Kroatiens im selben Zeitraum über 700 Gesetze verabschieden konnte. Nach Untersuchungen bosnischer NGOs hielt die noch amtierende Regierungskoalition ganze drei Prozent ihrer 2010 gegebenen Wahlversprechen ein. Es wurden praktische keine richtungsweisenden Gesetze verschiedet, keine Reformen eingeleitet und keine Schitte in Richtigung EU-Mitgliedschaft unternommen. Nicht wenige Beobachter sprechen von den schlimmsten Jahren nach dem Krieg.
Bittere Enttäuschung
Im Februar 2014 wehte endlich ein kurzer politischer Frühling durch Bosnien. Aus einem kleinen Arbeiter-Protest in Tuzla erwuchs ein gewaltsamer, landesweiter, ethnisch übergreifender Protest, der bis dato einzigartig war. Studenten, Arbeitslose, Arbeiter und Rentner kamen zusammen, um für eine bessere Zukunft und gegen das gegenwärtige politische System zu protestieren.
Im Anschluss auf die Proteste gab es durchaus interessante Versuche, jenes Momentum politisch zu aufzunehmen und strukturelle Veränderungen vorzunehmen. Die im Zuge der Proteste ins Leben gerufenen Volksversammlungen wurden allerdings aufgrund des starken politischen und medialen Drucks rasch aufgelöst. Kurze Zeit später folgten die schweren Überschwemmungen, die wiederum das kollektive Missmanagement der politischen Elite und das Versagen zentraler bosnischer Institutionen aufzeigte.
Wer nun hoffte, dass jene Geschehnisse Einfluss auf den jetzigen Wahlausgang haben würden, wurde bitter enttäuscht.
Betonierung des Status quo
Gewählt wurden die drei ethnischen Mitglieder der Präsidentschaft, das gesamtstaatliche Parlament, die Parlamente der beiden Entitäten, 10 Kantonsparlamente und der Präsident der Republik Srpska (RS). Dabei konnte die Bevölkerung zwischen 7.748 Kandidaten aus 735 Kandidatenlisten die neue Regierung wählen.
Schon vor der Auszählung aller Stimmen erklärte sich Bakir Izetbegovic, der Sohn des ersten Staatspräsidenten Bosniens, noch am Wahlabend mit seiner Partei SDA (Partei der demokratischen Aktion), zum Wahlsieger. Unter den Siegern für die drei Sitze der Präsidentschaft, sind abermals zwei Nationalisten zu finden. Die Kroaten wählten mit großer Mehrheit den Nationalisten Covic (HDZ BiH), mit seinen reflexartigen Forderungen nach einer selbstständigen kroatischen Entität, konnte er insbesondere im südlichen Landesteil die Massen für sich mobilisieren.
Studentenwohnheim Radovan Karadžic
Lediglich durch die Wahl des Serben Mladen Ivanic (PDP – Partei des Demokratischen Fortschritts) wird der nationalistische Block aufgebrochen. Mit einem hauchdünnem Vorsprung konnte sich Ivanic vor der Hardlinerin Cvijanovic durchsetzen. In der Republika Srpska konnte der omnipräsente Milorad Dodik sich an der Macht halten, jedoch weit weniger souverän als bei den letzten Wahlen. Dodik gewann mit 47,10 Prozent aller Stimmen. Sein Kontrahent Tadic (SDS-Serbisch Demokratische Partei) konnte knapp 45 Prozent verbuchen. In den letzten Wochen des Wahlkampfes dominierte Dodiks Rhetorik der Sezession. Eindrucksvolle Beispiele dieser PR-Strategie waren die Benennung eines Studentenwohnheim in Pale nach dem Kriegsverbrecher Radovan Karadžic und die symbolträchtige Russland-Reise zu Wladimir Putin.
In der Föderation wurde ein differenzierterer Wahlkampf geführt, der dennoch von der fundamentalistischen SDA geprägt wurde. So konnten die neuen liberalen und multiethnischen Parteien DF (Demokratische Front) und NS (Unsere Partei) solide Ergebnisse verbuchen, welche einen pragmatischen und sachlichen Wahlkampf führten. Inwieweit sie sich aber im zermürbenden Polit-Alltag bewähren können, bleibt abzuwarten.
Welche Schlüsse lassen sich ziehen?
Der Wahlausgang stellt für die jungen liberalen Kräfte Bosniens eine herbe Enttäuschung dar. Das gilt gleich in mehrfacher Hinsicht. Die Wahlbeteiligung von lediglich 54 Prozent zeigt deutlich die Politikverdrossenheit. Zu desillusioniert, frustriert und enttäuscht ist die Gesellschaft von der gegenwärtigen Parteienlandschaft als auch vom undurchsichtigen und hochkomplizierten politischen System: „Egal wen ich wähle, es wird sich nichts ändern“. Diese kapitulierenden Worte sind mittlerweile eine standardisierte Floskel auf den Straßen Sarajevos. Besorgniserregend ist die Stärkung der bosnjakisch-nationalistischen SDA, die massiv vom stillen Niedergang der Sozialdemokraten profitieren konnte. Im Kanton Tuzla, ehemals eine Hochburg der SDP, konnte die rechte SDA mehr Stimmen verbuchen, als alle anderen Parteien zusammen.
Symbolisch für den gegenwärtigen Zustand Bosniens ist die Wahl seitens der kroatischen Bevölkerung. Die Kroaten wählten zwischen dem liberalen, pro-bosnischen Kandidaten Raguz und dem nationalistischen Covic ihren Vertreter aus. Es glich einer Wahl zwischen einem liberalen Neubeginn oder der Erhaltung des Status quo und der Wahrung kroatischer nationalistischer Interessen. Sie entschieden sich mit überwältigender Mehrheit für Covic.
Das Wahlergebnis aus dem Jahr 2014 gleicht einem nationalistischen „Best of“ der neunziger Jahre. Das Kernproblem ist institutionell bedingt: Es ist die Verfassung nach Dayton, die maßgeschneidert ist für rein ethnisch-dominierte und nationalistische Parteien. Aufgrund der ethnischen Selektion der Kandidaten und des Drei-Präsidenten Systems ist für eine liberale, etnisch-übergreifende politische Kraft kein Platz vorhanden. Der Friedensvertrag von Dayton konnte zwar den Krieg beenden, aber nie einen Neubeginn gewährleisten. So konstruierte man ein fragiles, teures, hochkomplexes politisches System, das immer wieder den selben Status quo generieren wird. Die jetzige Wahl ist ein eindrucksvoller Beweis dafür.